3339/J XXVI. GP

Eingelangt am 18.04.2019
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Anfrage

 

 

der Abgeordneten Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Arbeit‚ Soziales‚ Gesundheit und Konsumentenschutz

 

betreffend Länder-Arzneimittel-Bewertungsgremien - Medizinisches Innovationsboard (MIB)

 

Priorität bei innovativen Therapien: Schneller Zugang oder Preisdrücken?

Es ist die Aufgabe all jener, die für die medizinische Versorgung der Bevölkerung zuständig sind, mit den vorhandenen Mitteln ein Maximum an Versorgung zu organisieren. Damit befindet man sich im Spannungsfeld von schnellstmöglichen Therapiezugang und Therapiekosten. Letztere können bei innovativen Therapien sehr hoch sein, speziell zu Beginn. Die Frage stellt sich zudem, wie sehr die Verantwortlichen den Fokus auf niedrige Preise richten, um Kosten einzusparen.

Therapie-Genehmigung: Einige Länder/Spitalsträger setzen neuerdings auf Therapie-Bewertungsboards

Im Bereich der Sozialversicherung erfolgt die Aufnahme von innovativen Therapien in den Erstattungskodex (EKO) durch die die Bewertung der Heilmittelevaluierungskommission (HEK). Das gilt für Innovationen genauso wie für die Preisbildung bei Generika und Biosimilars, die in weiterer Folge auf den Markt gelangen. Im Spitalsbereich beginnen nun einzelne Spitalsträger eine Art Eintrittsbarriere für innovative Medikamente zu schaffen, wie beispielsweise die KAGES mit dem sogenannten „Medizinischen Innovationsboard“ (MIB) [1]. Weil dafür die gesetzlichen Grundlagen fehlen, herrscht wenig Klarheit darüber, wie Patient_innen oder Produzenten zu informieren sind, nach welchen Kriterien und Entscheidungsregeln eine Therapie in der KAGES Anwendung an Patient_innen findet und unter welchen Umständen das nicht der Fall ist. Es fehlt darüber hinaus jeder Rechtsschutz für Patient_innen, denen der Zugang zu bestimmten medikamentösen Therapien verwehrt wird [2]. Der ORF Steiermark berichtet zum MIB der KAGES: [3]Für besonders teure Medikamente gibt es in den Spitälern einen eigenen Topf mit insgesamt fünf Millionen Euro für das vergangene und das heurige Jahr - wer davon Geld bekommt, entscheidet ein Ärzteteam, das sogenannte [sic] Innovationsboard.

Zu lange Entscheidungsdauer und Intransparenz bei der MIB

Davon abgesehen gilt für schwere Krankheiten häufig, dass Zeit der entscheidende Faktor ist. Derzeit ist nicht klar, wie sich die Entscheidungen des MIB auf die Lebensqualität oder das Überleben von betroffenen Patient_innen auswirken. Für schwerkranke Patient_innen kann eine verlängerte Verfahrensdauer (auch wenn es sich nur um wenige Wochen handelt) nicht selten den Tod bedeuten.

Auch bezüglich der Zusammensetzung des MIB bedarf es weiterer Klärung. Aus einem Bericht des steirischen Rechnungshofes [4] ist bekannt: „Das MIB tagt unter dem Vorsitz des Vorstandsvorsitzenden der KAGes. Vertreter folgender Bereiche sind in das MIB entsandt: Ärztliche Direktionen, (Fach-)Ärzte (Onkologie, Hämatologie, Dermatologie, Gynäkologie, Pulmologie, Strahlentherapie, Interne Medizin, Kardiologie), Recht und Ethik, Krankenanstalten-und Sozialrecht, Apothekenleitungen, HTA-Experten, Statistik, Betriebsdirektionen, Einkauf.“

Einschlägige Besetzung des MIB

Welche Personen konkret Mitglieder des MIB sind, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Dem RH-Bericht zufolge sind jedenfalls keine Patientenvertreter_innen oder andere relevante Stakeholder des Gesundheitssystems vertreten.

LRH-Bericht suggeriert einen Spargedanken des MIB 

Aus dem RH-Bericht geht außerdem hervor, dass das MIB unter anderem einer Kostenbremse durch Verknappung dient: „(…) Einzelfallgenehmigung durch den Vorstand auf Basis der Ergebnisse aus dem MIB unterworfen. Auch mit diesem Instrument werden Kosten und Effektivität der Behandlung in die Therapieüberlegungen miteinbezogen.Es geht also nicht in erster Linie um Effektivität. Es geht um Kostenersparnis.

Die Entscheidungsregeln und die Entscheidungsbegründungen bleiben ungeprüft und dem MIB und der KAGES vorbehalten. Eine Antragstellung beim MIB durch betroffene Patient_innen ist nach derzeitigem Kenntnisstand nicht vorgesehen.

Die Gesundheitsministerin hat im Rahmen einer Veranstaltung im März 2018 – aber auch in weiterer Folge bei anderen Anlässen – erklärt, sie wolle auf Bundesebene eine dem steiermärkischen MIB vergleichbare Einrichtung schaffen. Dazu eröffnet sich der erste Fragenkreis.

Innerhalb des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger befasst sich eine Gruppe rund um Generaldirektor-Stellvertreter Mag. Alexander Hagenauer mit der „neuen HEK im Krankenhaus“. Weil die Spitalsversorgung nicht in den Aufgabenbereich der Sozialversicherung fällt, eröffnet sich dazu ein weiterer Fragenkreis.

MIB auch in Niederösterreich

Laut Anfragebeantwortung Ltg.-597/A-5/115-2019 [5] der NÖ Landesregierung ist mittlerweile auch ein MIB in NÖ etabliert. "In der NÖ Landeskliniken Holding gibt es ein Medizinisches Innovationsboard, welches neue Produkte und Therapien entsprechend der Evidenz beurteilt. Es erfolgt eine bundesländerübergreifende Abstimmung durch die Kooperationsvereinbarung mit der KAGES zur Teilnahme an deren "Medizinischem Innovationsboard." Vertreter der NÖ Landeskliniken-Holding steuern in Abstimmung mit dem NÖGUS Expertise zum Pilotprojekt „Spitals HEK“ auf Bundesebene bei.

Das Vorliegen eines NÖ MIB ist insofern interessant, da die Abstimmung zwischen NÖ und Wien im stationären Bereich nicht zu funktionieren scheint. So warf der Wiener Stadtrat Hacker im Jänner der NÖ Landesregierung vor, Therapie-intensive Patient_innen zunehmend nach Wien zu verlagern  [6]. In der Regel erfolgen solche Patientenverlagerungen nicht direkt, sondern indirekt, wie beispielsweise über Therapie-Einschränkungen unter dem Deckmäntelchen der Evidenz, wobei ein MIB dafür als Instrument "geeignet" scheint.



[1] http://www.landesrechnungshof.steiermark.at/cms/dokumente/12653535_3515517/adc2d0a3/Pr%C3%BCfbericht%20Onkologische%20Versorgung%20Steiermark.pdf

[2] https://steiermark.orf.at/news/stories/2892085/

[3] https://steiermark.orf.at/news/stories/2892085/

[4] http://www.landesrechnungshof.steiermark.at/cms/dokumente/12653535_3515517/adc2d0a3/Pr%C3%BCfbericht%20Onkologische%20Versorgung%20Steiermark.pdf

[5] https://www.landtag-noe.at/service/politik/landtag/LVXIX/05/597/597B.pdf

[6] https://www.krone.at/1837117




 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Welche Schwächen sieht man seitens des BMASGK bei der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (HEK) der Sozialversicherung, bezogen auf eine zügige Aufnahme von innovativen Therapien in den Erstattungskodex (EKO)?

2.    Wie stellt das BMASGK sicher, dass die HEK innovative Therapien bei der Aufnahme in den EKO nicht hinauszögert, um den Kassen Ausgaben zu ersparen?

3.    Welche Schwächen sieht man seitens des BMASGK beim „Medizinischen Innovationsboard“ (MIB) der KAGES, bezogen auf eine schnelle Erstattungs-Zulassung von innovativen Therapien?

a.    Inwiefern stellt das BMASGK sicher, dass die MIB innovative Therapien bei der Erstattungs-Zulassung nicht hinauszögert?

4.    Wie bewertet man seitens des BMASGK die Bildung von Therapie-Bewertungsboards in den Bundesländern/Spitalsträgern?

5.    Liegen dem BMASGK Informationen vor, dass in weiteren Bundesländern/Spitalsträgern Therapie-Bewertungsboards gebildet werden sollen bzw. bereits gebildet sind?

6.    Welche Schritte hat man seitens des BMASGK gemäß den Ankündigungen der Bundesministerin bereits gesetzt, um eine bundesweite Struktur nach dem Vorbild des steirischen MIB zu schaffen?

7.    Auf welchen Kompetenztatbestand nach B-VG basieren die entsprechenden Aktivitäten?

8.    In welcher Form sieht man seitens des BMASGK die Vertreter_innen aller relevanten Stakeholder des Gesundheitswesens in einer solchen Struktur (stimmberechtigt) repräsentiert?

a.    Welche Stakeholder sind konkret vertreten?

b.    Warum werden diese der Öffentlichkeit nicht bekannt gemacht?

9.    In welcher Form gewährleistet man seitens des BMASGK in einer solchen Struktur den Rechtsschutz für die Patient_innen, denen eine innovative Therapie verwehrt wird?

10. Wie gewährleistet man seitens des BMASGK, dass der Fokus des MIB und der Therapie-Bewertungsboards nicht ausschließlich auf der Vermeidung kurzfristiger Erstbehandlungskosten liegt, sondern auch die mittel-/längerfristige Reduktion von Behandlungs- und Folgekosten berücksichtigt?

a.    Welche Faktoren sind bei der Beurteilung durch das MIB relevant?

b.    Wie sind diese Faktoren gewichtet?

c.    Über welchen Zeithorizont werden Behandlungsalternativen verglichen?

11. Sind dem BMASGK Entwicklungen bekannt, wonach Krankenkassen vermehrt Therapie-intensive Patient_innen in die Spitäler verlagern?

a.    Wenn nein, stellt man seitens des BMASGK über Zielvorgaben und damit verknüpfte finanzielle Transfers sicher, dass solche Entwicklungen ausgeschlossen werden können und ein gesamtstaatlich sparsamer Vollzug gewährleistet ist?

b.    Wenn ja, was unternimmt man seitens des BMASGK im Sinne eines gesamtstaatlich sparsamen Vollzug dagegen?

12. Sind dem BMASGK Entwicklungen bekannt, dass sich die Bundesländer im Spitalsbereich vermehrt Therapie-intensive Patient_innen gegenseitig zuschieben?

a.    Wenn nein, stellt man seitens des BMASGK über Zielvorgaben und damit verknüpfte finanzielle Transfers sicher, dass solche Entwicklungen ausgeschlossen werden können und ein gesamtstaatlich sparsamer Vollzug gewährleistet ist?

b.    Wenn ja, was unternimmt man seitens des BMASGK im Sinne eines gesamtstaatlich sparsamen Vollzugs dagegen?

13. Zwischen NÖ und Wien scheint die Abstimmung bei Therapie-intensiven Patient_innen nicht zu funktionieren. Wie bewertet das BMASGK die Aussage des Wiener Stadtrat Hacker, wonach niederösterreichische Krebs-Patient_innen möglicherweise von einer Versorgung in Wien ausgeschlossen werden sollen? (https://www.krone.at/1837117)

a.    Ist eine Patienten_innen-Wegweisung von Krankenhäusern rechtlich möglich?

                                  i.    Wenn nein, haben Sie Stadtrat Hacker darüber informiert?

b.    Liegen dem BMASGK Analysen vor, die zeigen, dass niederösterreichische Krebspatienten zunehmend nach Wien verlagert werden?

                                  i.    Wenn ja, sind diese Verlagerungen abgestimmt, auch wenn Stadtrat Hacker in der Kronenzeitung (5.1.2019) das Gegenteil angedeutet hat?

14. Laut einer Anfragebeantwortung der NÖ Landesregierung ist nun auch ein MIB in Niederösterreich etabliert.

a.    Können Sie ausschließen, dass die NÖ Landeskliniken bzw. der NÖGUS über das NÖ MIB Therapien einschränken, die in anderen Bundesländern durchgeführt werden?

b.    Welche konkreten Therapien hat das NÖ MIB bisher ausgeschlossen, welche in anderen Bundesländern durchgeführt werden?

c.    Wie sehr steht man seitens des BMASGK mit dem NÖ MIB im Austausch, um "Fehlentwicklungen" zu verhindern?

15. Wie stellt man seitens des BMASGK sicher, dass den Patient_innen innovative Therapien auch in Zukunft offenstehen, wenn Spitalsträger – wie am Beispiel der KAGES ersichtlich – aus finanziellen Gründen zur Methode der Verknappung greifen?

16. Wie stellt man seitens des BMASGK sicher, dass die Versorgung der Patient_innen mit innovativen Therapien wohnortunabhängig gleichermaßen gut funktioniert, wenn einzelne Träger Verknappungsschritte setzen, wie am Beispiel innovativer Präparate sichtbar wird?

17. Auf wessen Auftrag hin befasst sich eine Gruppe innerhalb des Hauptverbandes der SV-Träger (HVSVT) mit einer Art „Krankenhaus-HEK“?

18. Auf Basis welcher Gesetzesgrundlage wird der HVSVT nun auch bei der Heilmittel-Evaluierung in Krankenhäusern aktiv?

a.    Welche finanziellen und personellen Ressourcen wendet der HVSVT dafür auf?