3796/J XXVI. GP
Eingelangt am 26.06.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
des Abgeordneten Bruno Rossmann, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus betreffend Abschaffung „PVC-Weichmacher"
Begründung
Seit den 1980er Jahren wurde über die Schädlichkeit von Phthalat-Weichmachern in PVC-Produkten diskutiert. Dabei geht es um Weich-PVC-Produkte, um Bauprodukte wie Bodenbeläge, Tapeten, Kabelummantelungen oder Dachbahnen.
Aus
dieser Gruppe der Phthalat-Weichmacher war Bis(2-ethylhexyl)phthalat (kurz
DEHP, nach der
früher gebräuchlichen Benennung dieser Substanz:
Diethylhexylphthalat) der weltweit mengenmäßig
mit Abstand wichtigste Weichmacher.
Mit der EU-Verordnung Nr. 143/2011 vom 17. Februar 2011 wurden ua die
Phthalsäureester
Bis(2-ethylhexyl)phthalat (DEHP), Benzylbutylphthalat (BBP) und Dibutylphthalat
(DBP) als reproduktionstoxisch eingestuft und der 21. Jänner 2015 als
Datum festgelegt, von dem an das Inverkehrbringen und der Gebrauch dieser
Stoffe ohne Zulassung verboten ist. Die genannten
Weichmacher dürfen gemäß REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006
(Anhang XVII) nicht für die
breite Öffentlichkeit in Verkehr gebracht werden, wenn die
einstufungsrelevanten Grenzwerte
erreicht sind. In Babyartikeln sind alle Phthalsäureester ab einer
Konzentration von
0,1 Gewichtsprozent verboten.
Während in PVC-Neuprodukten die bereits verbotenen Weichmacher
weitgehend eliminiert sein
sollten, stellt sich abfallseitig genau das Gegenteil dar: Im Zuge von
Renovierungen, Umbauten und Abbrüchen von Gebäuden fallen in Österreich alljährlich tausende Tonnen
Weich-PVC-Abfälle an.
Eine durchaus bedeutende Abfallmenge vor allem in älteren
Bürobauten stellen Bodenbeläge aus
Weich-PVC dar. Diese sind verklebt, somit eindeutig
Gebäudebestandteil und daher ua den
Regelungen der Recycling-Baustoff-Verordnung unterworfen.
Bei der Feststellung, ob ein Abfall gefährlich (bzw gefährlich kontaminiert) ist, dienen ua die "Gefahrenrelevanten Eigenschaften" gem Anlage 3 Abfallverzeichnisverordnung als Richtschnur.
Ihrem
Herstellungszeitraum entsprechend enthalten PVC-Beläge aber praktisch
ausschließlich
Weichmacher (in der Größenordnung von mehr als 30 Gewichtsprozent),
welche in der Zwischenzeit
als reproduktionstoxisch (= Nachfolge des in der Abfallverzeichnisverordnung in
der
Gefahrenrelevanten Eigenschaft H10 noch als "teratogen" bezeichneten
Kriteriums) eingestuft sind.
Von der PVC-lndustrie wird seit Jahren
das werkstoffliche Recycling von Alt-PVC-Belägen propagiert.
Dies ist abfallrechtlich aus Sicht der Antragsteller nur dann zulässig,
wenn entweder durch geeignete analytische Maßnahmen nachgewiesen wurde,
dass diese Abfälle keine reproduktionstoxischen Weichmacher enthalten oder
die gemessenen Anteile unter der in Kriterium H10 der
Abfallverzeichnisverordnung angeführten Schwelle von 20 Gewichtsprozent
liegen oder im Zuge
eines Ausstufungsverfahrens gem § 6 AWG nachgewiesen wurde, dass die
angeführten
reproduktionstoxischen Stoffe durch geeignete und zulässige Verfahren von den angeführten Stoffen befreit bzw letztere durch geeignete und zulässige Verfahren zerstört wurden.
Bei der Verbrennung von PVC entstehen
aber (NB: unabhängig vom Gehalt an gefährlichen
Zusatzstoffen!) große Mengen hoch korrosiven Chlorwasserstoffs, was ua
technische und
ökonomische Probleme für die Anlagen bedeutet, erhebliche Mehrkosten
aufgrund der
erforderlichen Neutralisation bei der Abgaswäsche sowie eine erhebliche
Zunahme der
Gefährlichkeit der im Zuge der Abfallverbrennung entstehenden Flugaschen
verursacht.
Schwermetalle bilden mit dem
in den verbrannten Abfällen enthaltenen Chlor Chloride, welche bei
den Verbrennungsbedingungen flüchtig sind und daher nicht in der Schlacke,
sondern in der
Flugasche landen, Flugaschen aus Verbrennungen von Abfällen mit relevanten
Chloranteilen gehören
zu den gefährlichsten und zu den am schwierigsten und am teuersten zu
entsorgenden gefährlichen Abfällen. (Im Fall
der ungesetzlichen Entsorgung in Hausmüllverbrennungsanlagen finanziert
der kommunale Gebührenzahler diesen von ihm meist gar nicht verursachten
Mehraufwand.)
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage
1. Sind PVC-Abfälle mit reproduktionstoxischen Phthalsäureestern als Weichmachern gefährliche Abfälle gemäß Kriterium H10 der Abfallverzeichnisverordnung?
a. Falls nein, warum nicht?
b. Falls ja, wie hoch ist das jährliche Abfallaufkommen an gefährlich kontaminierten PVC- Abfällen in Österreich?
c.
Falls ja, wie werden Sie das
den in der Abfallwirtschaft tätigen Personenkreisen,
Gutachtern sowie Verbänden mitteilen?
2. Wie viele und welche Anlagen in Österreich dürfen derzeit solche PVC-Abfälle verbrennen?
3. Wie hoch sind die jährlichen Kapazitäten der bestehenden Anlagen in Österreich zur Verbrennung der anfallenden Mengen kontaminierter PVC-Abfälle?
4. Welche Menge an kontaminierten PVC-Abfällen wurde in diesen Anlagen seit 2011 verbrannt?
5. Wie groß sind die abfallrechtswidrig entsorgten Weich-PVC-Mengen seit 2011?
6.
Wie ist der Anteil
abfallrechtswidrig deponierter, in nicht genehmigten Anlagen verbrannter
sowie recyclierter Weich-PVC-Abfälle pro Jahr bzw seit 2011?
7. Welche gesetzlichen und
organisatorischen Maßnahmen wurden von Ihrem
Ministerium seit
2011 ergriffen, um dem Problem Rechnung zu tragen?
8. Welche gesetzlichen bzw organisatorischen Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die abfallrechtlich korrekte und ökologisch vertretbare Entsorgung dieser Abfälle vollständig durchzusetzen?
9.
Von der PVC-lndustrie wird
seit Jahren das werkstoffliche Recycling von Alt-PVC-Belägen
propagiert. Unter welchen Bedingungen ist dies für Sie zulässig?
10. Sind die drei in der Einleitung angeführten
Schritte (analytischer Nachweis und Mengenbestimmung, Ausstufungsverfahren)
für ein werkstoffliches Recycling von Alt-PVC-
Belägen der einzig zulässige Weg? Wenn nein, warum nicht?
11. Werden Sie mit der PVC-Recycling-Branche diesbezüglich in Kontakt treten?
12. Das Verbrennen von PVC-Produkten ist aufgrund des
Deponierungsverbots wegen zu hohen Kohlenstoffgehalts derzeit der einzig
gesetzlich erlaubte Entsorgungsweg. Erachten Sie diese derzeitige Entsorgungspraxis
für solche Abfälle für ökologisch akzeptabel und
ökonomisch
sinnvoll?
a. Falls ja, warum?
b.
Falls nein, gibt es im Ministerium Pläne für eine
ökologischere, ökonomischere und
dem Verursacherprinzip gerechter werdende Vorgangsweise bei der Entsorgung von
Massenabfällen mit relevanten Anteilen chlor- (bzw fluor-)organischer
Stoffe (zB
Hart-PVC, HBCDD-haltiges Polystyrol) - etwa die Herstellung von industrieller
Salzsäure oder anorganischen Chlorsalzen aus den Verbrennungsgasen in
einer
eigens dafür konzipierten Anlage?