3913/J XXVI. GP

Eingelangt am 12.07.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

des Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim, Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz

betreffend Kürzungen beim Justizpersonal

Die Regierung Kurz/Strache war unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sie im Bereich der Justiz nicht die erforderlichen Budgetmittel zur Verfügung gestellt hat, wohl auch aus dem Grund, weil sie der Justiz grundsätzlich nicht sehr positiv gegenübergestanden ist. Nicht umsonst wurde die Justiz von Fachleuten gerne als „Stiefkind der Regierung Kurz/Strache“ bezeichnet.

Die personelle Situation innerhalb der Justiz ist jedenfalls außerordentlich angespannt, vor allem seit dem türkis-blauen Doppelbudget für die Jahre 2018/19. Diese besorgniserregende Entwicklung betrifft nahezu alle Bereiche der österreichischen Justiz - angefangen von der Justizwache über die Sachverständigen und Dolmetscher, bis hin zu den RichterInnen und StaatsanwältInnen, sowie besonders das nichtrichterliche Personal.

In den österreichischen Justizanstalten sehen sich die JustizwachebeamtInnen mit einer neuen Zusammensetzung der Insassen konfrontiert und müssen gleichzeitig feststellen, dass die Regierung Kurz/Strache nicht auf die besorgniserregenden Entwicklungen reagierte. Ein großer Teil der Insassen hat eine andere Muttersprache als deutsch. Die damit einhergehenden Probleme aufgrund verschiedener Kulturen und der vorhandenen Sprachbarriere sind nicht von der Hand zu weisen.

Die JustizwachebeamtInnen klagen über eine Verdreifachung der tätlichen Angriffe in den Justizanstalten. Gleichzeitig sind bis heute über 200 offene Stellen nicht besetzt. Zugleich beschlossen ÖVP und FPÖ bei der Verabschiedung des Doppelbudgets, dass bis 2020 keine neuen regulären Planstellen für die Justizwache vorgesehen sind. Die Situation in manchen Justizanstalten ist mittlerweile überaus dramatisch:

-    In der Justizanstalt Wien-Josefstadt gibt es 1.200 Insassen bei einer Belagsfähigkeit von 990! Die Auslastung beträgt daher 120%.

-    In der Justizanstalt Graz-Jakomini werden von 175 ausgewiesenen Planstellen lediglich 137 JustizwachebeamtInnen für Nacht- und Wochenenddienste eingesetzt. 20 Planstellen sind generell nicht besetzt.

-    In der Justizanstalt Innsbruck sind von 162 Planstellen lediglich 154 besetzt, 5 weitere BeamtInnen befinden sich im Dauerkrankenstand. Die Folgen: über 250 Überstunden und nur 2 freie Tage pro Monat.

Die Folgen dieser kurzsichtigen Budgetierung der JustizwachebeamtInnen: Viel zu oft müssen (nicht Lebensmittel verarbeitende) Betriebe geschlossen werden, sodass Häftlinge unterbeschäftigt sind. Die JustizwachebeamtInnen haben bis zu drei Wochen durchgehend Dienst, ohne einen einzigen freien Tag. Aufgrund der angespannten Personalsituation innerhalb der Justizwache kam es 2018 zu insgesamt 180 Fluchtversuchen, von denen 47 erfolgreich waren. Für das Sicherheitsgefühl der österreichischen Bevölkerung sind solche Zahlen selbstredend nicht vertrauensstärkend. Zudem ist die Resozialisierung, welche ebenso ein Teil des Aufgabengebietes der Justizwache ist, bei solchen Arbeitsverhältnissen nur schwer umsetzbar.

Bei einem Besuch des damaligen Vizekanzlers Strache und des damaligen Justizministers Moser in der Justizanstalt Stein versprach Letzterer 150 zusätzliche Justizwacheplanstellen, welche von Strache nur sehr vage zugesagt wurden[1].

Auch zeigte sich die damalige Bundesregierung in der parlamentarischen Anfrage (2517/J) vom Dezember 2018 betreffend der desaströsen Situation der Justizwachebeamten völlig planlos bei Maßnahmen zur Verbesserung. So zeigte die Anfragebeantwortung (2495/AB) deutlich, dass keine stichhaltigen Pläne, wie die unhaltbare personelle Unterbesetzung kurz- oder mittelfristig behoben werden würde. Auch das von der Regierung publikumsträchtig verkaufte Projekt „Haft in der Heimat“ erwies sich offenbar als „Rohkrepierer“. Auch konnten keine nachvollziehbaren Pläne zur Behebung der unhaltbaren Zustände in der Justizanstalt Josefstadt mit ihrer chronischen Überbelegung entnommen werden. Genauso wenig wurde darauf eingegangen wie der weitere Fahrplan für das Jahr 2019 auszusehen hat - nämlich wohin die InsassInnen verlegt werden sollen und wie die Belagszahl nachhaltig und dauerhaft reduziert werden soll.

Bedauerlicherweise sieht die Situation bei den beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen und Dolmetschern nicht besser aus. Da die ohnehin bescheidenen Honorare seit dem Jahr 2007 nicht valorisiert wurden, besteht bereits jetzt ein massives Nachwuchsproblem. Kein Gutachter ist unter 55 Jahre alt! Bei den Gerichtsdolmetschern wurde das Honorar im Jahr 2014 sogar noch herabgesetzt. Der Kaufkraftverlust beträgt daher unglaubliche 20%. Warnungen vom Präsidenten des Hauptverbandes der allgemein beeideten und gerichtlich zertifierten Sachverständigen, Dr. Matthias Rant, sowie eine Resolution des Österreichischen Verbands der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher blieben wirkungslos[2]. Die Novelle des Gerichtsorganisationsgesetzes brachte für Sachverständige und Dolmetscher zwar längst überfällige Erleichterung beim Betreten der Gerichtsgebäude, keineswegs jedoch eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation.

Bereits im April 2018 protestierten mehr als 5.000 RichterInnen, StaatsanwältInnen, RechtspflegerInnen sowie KanzleimitarbeiterInnen aufgrund der Kürzungen im Justizbereich. Die Protestnote „Justiz wird totgespart - Rechtsstaat in Gefahr“ fand bei insgesamt 7.500 betroffenen Justiz-MitarbeiterInnen über 5.100 UnterstützerInnen, das sind immerhin 68% des Personals. Die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, forderte die damals zuständigen Minister auf, ausreichend Ressourcen und Personal zur Verfügung zu stellen, damit die Justiz ihre verantwortungsvollen Aufgaben auch weiterhin gewissenhaft erfüllen könne[3]. Die Situation ist auch hier für den Rechtsstaat nicht ungefährlich:

-    Auf 100.000 Einwohner kommen derzeit 20 RichterInnen. Im Jahr 2016 waren es noch durchschnittlich 27,4 RichterInnen.

-    Auf 100.000 Einwohner kommen derzeit 4,1 StaatsanwältInnen. Im europäischen Schnitt sind es hingegen 11,7 StaatsanwältInnen.

-    Auf 100 Einwohner in Österreich kommen pro Staatsanwalt 5,9 Fälle (pro Jahr: 1.624 Fälle). Im europäischen Schnitt sind es hingegen 578 Fälle, also in etwa ein Drittel der Belastung in Österreich[4] .

Auch der Bereich der Rechtspfleger ebenso der Kanzleibereich sieht sich mit massiven Kürzungen konfrontiert. In den Jahren 2013 bis 2018 wurden rund 330 systemisierte Planstellen eingespart. Für das Jahr 2019 war die Streichung von 94 Planstellen vorgesehen. Wenig überraschend verlieren die MitarbeiterInnen die Motivation und wechseln immer öfters in das Finanz- und Innenressort. Binnen eines Jahres haben 30 MitarbeiterInnen des Sprengels OLG Wien die Justiz in andere Ressorts verlassen.

Die derzeitige Situation ist in einem solchem Maße besorgniserregend, dass selbst RichteramtsanwärterInnen große Sorge haben müssen, ob sie nach ihrer aufwendigen Ausbildung überhaupt in den Richterstand übernommen werden. RechtspraktikantInnen mit ausgezeichneter Eignung für einen Posten als RichteramtsanwärterInnen werden so in andere Berufe abgedrängt, da es keine Garantie gibt, dass diese in absehbarer Zeit übernommen werden können. Dies führt immer häufiger dazu, dass die Ausfertigungsfristen bei vielen Gerichten immer länger werden. Akten liegen zum Teil mehrere Wochen im Fach, obwohl die Akten von den zuständigen RichterInnen eigentlich erledigt sind. Jedoch hat aufgrund des Personalnotstandes niemand die Zeit, diese zu bearbeiten. Dies führt zur skurrilen Situation, dass mitunter sogar Lehrlinge und Verwaltungspraktikanten, welche zunächst einmal eingeschult gehören, fehlende DienstnehmerInnen quasi komplett ersetzen müssen. Dass darunter sowohl deren Ausbildung, als auch die Qualität der zu erledigenden Arbeit leidet, ist wenig überraschend.

Die SPÖ hat während der gesamten Zeit der türkis-blauen Regierungszeit immer wieder auf die ernsten Zustände innerhalb der Justiz hingewiesen, ohne Erfolg. In der nächsten Gesetzgebungsperiode muss jedenfalls ein schnelles Umdenken hinsichtlich der österreichischen Justiz stattfinden, da diese sonst ihrer eigentlichen Aufgabe nicht mehr in dem Ausmaß nachkommen kann, wie sie es sollte, könnte und möchte.

Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen daher an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz nachstehende

Anfrage

1.      Die in der Begründung dargestellten Zahlen im Zusammenhang mit der personellen Situation basieren überwiegend auf dem 44. Wahrnehmungsbericht der österreichischen Rechtsanwälte vom Dezember 2018. Verfügen Sie im Vergleich dazu über aktuellere Zahlen - insbesondere in jenen Beriechen, die in der Begründung der Anfrage angeführt sind?

a.      Wenn ja, bitte um Bekanntgabe derselben.

b.      Wenn ja, bitte um genaue Aufschlüsselung von

                                                               i.      RichterInnen

                                                             ii.      StaatsanwältInnen

c.      Wenn nein, wann rechnen Sie mit einer Bekanntgabe der aktuellen Zahlen?

2.      Die Justizwache ist stark unterbesetzt. In vielen Justizanstalten fehlt das dringend notwendige Personal. Wie viele eigentlich vorgesehene Planstellen innerhalb der Justizwache sind aktuell nicht besetzt?

a.      Bitte um konkrete Aufschlüsselung nach

                                                               i.     Justizanstalten in ganz Österreich

                                                             ii.      Nicht besetzte bzw. offene Planstellen

3.      Warum erfolgt seit 2018 eine Abkoppelung der 10-prozentigen Planstellen-Vermehrung zulasten der Justizwache?

4.      Gibt es im Bereich der KanzleimitarbeiterInnen und Rechtspfleger konkrete Pläne zur Aufstockung der von 2013 - 2018 insgesamt 330 eingesparten Planstellen?

a.      Wenn ja, welche?

b.      Wenn nein, warum nicht?

5.      Ist geplant bei den DolmetscherInnen- und Sachverständigengebühren endlich eine Valorisierung durchzuführen?

a.      Wenn ja, wann?

b.      Wenn nein, warum nicht?

6.      Welche personellen Verbesserungen wurden unter der Regierung Kurz/Strache zugunsten

a.      der JustizwachebeamtInnen

b.      der RichterInnen

c.      der StaatsanwältInnen

d.      der Kanzleikräfte vorgenommen?

7.      Welche materiellen Verbesserungen hat es für die Amtssachverständigen bzw. die DolmetscherInnen unter der Regierung Kurz/Strache gegeben?



[1]       https://www.derstandard.at/story/2000101093427/wie-moser-strache-mit-planposten-forderung-ueberraschte

[2]     https://kurier.at/wirtschaft/justiz-aufstand-der-sachverstaendigen/400069019

[3]     https://diepresse.com/home/innenpolitik/5404634/Justizbudget_Richter-uebergeben-Strache-5100-ProtestUnterschriften

[4]             https://www.rechtsanwaelte.at/fileadmin/user_upload/PDF/02_Kammer/Stellungnahmen/Wahrnehmungsbericht/wnb_2017-2018_hp.pdf (Seite 9)