4058/J XXVI. GP

Eingelangt am 26.07.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA, Kolleginnen und Kollegen,
an die
Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend im Bundeskanzleramt
betreffend
Entwicklungen in der Kinder- und Jugendhilfe

19 Organisationen, darunter die Volkshilfe, kritisieren zu recht fehlende (bundesweite) Qualitätsstandards in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Obwohl die Volksanwaltschaft die föderalistische Ausprägung regelmäßig kritisiert, wurde sie von der Bundesregierung durch die sogenannte „Veränderung" der Kinder- und Jugendhilfe zuletzt noch verstärkt.

In Österreich leben rund 13.600 Kinder und Jugendliche (vorübergehend) nicht in ihren Herkunftsfamilien. Von diesen werden im Rahmen der „vollen Erziehung" rund 8.400 Heranwachsende außerhalb ihrer Herkunftsfamilie in sozialpädagogischen Einrichtungen betreut. Gefährdete Kinder und Jugendliche zu schützen und bestmöglich auf ihrem Entwicklungsweg zu fördern, ist der gesetzlich verankerte Auftrag der Kinder- und Jugendhilfeträger. Im Fachdiskurs besteht Einigkeit, dass in diesem höchst sensiblen öffentlichen Aufgabenbereich qualitätsvolle Betreuung unabdingbar ist. „Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen haben das Recht auf die bestmögliche Betreuung - unabhängig davon, in welchem Bundesland sie leben und betreut werden", unterstreicht Volksanwalt Dr. Kräuter.[1]

Bettina Terp, MA, Präsidentin der FICE Austria und Projektleiterin der am 7. Mai präsentierten Publikation „Qualitätsstandards für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe" stellt fest: „Die Rechte der Kinder sind unteilbar. Dies gilt auch und besonders für die Rechte von Kindern, die nicht bei ihren Eltern leben können. Es darf nicht vom Wohnort abhängen, mit welcher Qualität ein Kind betreut wird. Diese Grundhaltung, Dialog und Kooperation sind das Grundgerüst, das dieses Projekt so erfolgreich gemacht hat. Die Präsentation und Veröffentlichung der ,Qualitätsstandards für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe' sind ein persönlicher Meilenstein, aber auch eine einzigartige Errungenschaft in der österreichischen Kinder- und Jugendhilfe."[2]

Univ.-Prof. Dr. Stephan Sting von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, der im Projekt mitarbeitete, betont, dass die kooperativ entwickelten Qualitätsstandards einer breiten, dialogischen Verständigung darüber entspringen, „was gute Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe in Österreich bedeutet. Zugleich liefern sie eine gemeinsame Richtschnur dafür, wie möglichst förderliche, sozial gerechte Chancen für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in stationärer Betreuung gewährleistet werden können."[3]

Auch wir stehen der „Veränderung" der Kinder- und Jugendhilfe von Beginn an kritisch gegenüber und der Kern unserer Kritik richtet sich ebenfalls an die fehlenden Qualitätsstandards. Doch es sind auch viele weitere Fragen offen, die aus unserer Sicht einer Klärung bedürfen:

So wird im Bericht der Volksanwaltschaft (Sonderbericht - Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen 2017) bemängelt, dass die Unterbringung in vielen Fällen außerhalb des Bundeslandes erfolgt. Als Grund werden die Zuschläge angegeben, welche die privaten Träger für Minderjährige aus anderen Bundesländern verlangen können und die somit deren Versorgung attraktiver machen (vgl. S. 25).

Wichtig für die Resozialisierung der Jugendlichen ist zweifellos, dass ihre Beziehung zu Familie (Geschwister, nicht betroffene Elternteile,...) und Freunden nicht abreißt. Regelmäßige Besuchsmöglichkeiten werden von sämtlichen internationalen Standards gefordert, zB in den Havana-Regeln, den Beijing-Regeln (vgl. Volksanwaltschaftsbericht S. 92f) oder in Artikel 8 der Menschenrechtskonvention, wo es heißt:

(1)   Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2)   Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratische Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Der Großteil der budgetären Mittel wird laut Kinder- und Jugendhilfestatistik 2017 (S. 42) für die volle Erziehung aufgewendet und nur ein geringer Teil für andere Erziehungshilfen. So sind es beispielsweise in Wien 94,8% der Ausgaben, die für die „volle Erziehung“ ausgegeben werden, im Bundesschnitt sind es immerhin noch 76,1%.

Auch der Forschungsbericht des ÖIF zur Evaluierung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes (B- KJHG) 2013 lässt einige Fragen offen. Auf Seite 27 des Berichts heißt es, dass in der gesamten Alterskohorte der 0- bis 18-Jährigen in Österreich im Jahr 2017 bei 2,7% der Kinder und Jugendlichen einmal bzw. mehrmals eine Gefährdungsabklärung eingeleitet wurde. Diese Zahl scheint doch sehr hoch und daher wäre es interessant zu erfahren, welche präventiven Maßnahmen hier ergriffen werden. Weiters ist interessant, inwiefern die Empfehlungen umgesetzt werden sollen. Die Empfehlung 1 des Berichts fordert auf Seite 117: „Ausbau der zeitlichen und finanziellen Ressourcen zur Sicherstellung der weiteren Stärkung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und anderen Gefährdungen“. In der Empfehlung 7 wird auf Seite 122 die „Formulierung und Implementierung österreichweit einheitlicher Standards“ gefordert - womit sich der Kreis zu den Forderungen der Volksanwaltschaft sowie der weiteren Organisationen wieder schließt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE:

1.       Viele Bundesländer bringen Minderjährige auch weit entfernt von ihrer Familie und dem
gewohnten Umfeld in einem anderen Bundesland unter (zB Burgenland 29,22%) wie im
Sonderbericht der Volksanwaltschaft (Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen
2017, S. 25ff) angeführt wird. Welche Schlüsse werden seitens des Ministeriums daraus
gezogen und wie will man dem entgegenwirken?

2.       Regelmäßige Besuchs- bzw. Kontaktmöglichkeiten werden von sämtlichen internationalen
Standards gefordert, zB in den Havana-Regeln, den Beijing-Regeln (vgl.
Volksanwaltschaftsbericht S. 91f) oder im Artikel 8 der Menschenrechtskonvention. Sind
diese Kontaktmöglichkeiten derzeit in ausreichender Form gegeben?

3.    Regelmäßige Besuchs- bzw. Kontaktmöglichkeiten werden von sämtlichen internationalen
Standards gefordert, zB in den Havana-Regeln, den Beijing-Regeln (vgl.
Volksanwaltschaftsbericht S. 91f) oder im Artikel 8 der Menschenrechtskonvention. Welche Maßnahmen werden seitens des Ministeriums getroffen, um diese Vorgaben ausreichend zu
erfüllen?

4.       In der Evaluierung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes des ÖIF heißt es, dass in der
gesamten Alterskohorte der 0- bis 18-Jährigen in Österreich im Jahr 2017 bei 2,7% der Kinder
und Jugendlichen einmal bzw. mehrmals eine Gefährdungsabklärung eingeleitet wurde.

a.       Wie erklärt man sich diesen hohen Wert?

b.       Welche Maßnahmen werden angedacht, um diesen Wert zu senken?

c.        Ist die Präventionsarbeit aus Ihrer Sicht ausreichend?

5.       Der Großteil der budgetären Mittel wird laut Kinder- und Jugendhilfestatistik 2017 (S. 42) für
die volle Erziehung aufgewendet und nur ein geringer Teil für andere Erziehungshilfen. So
sind es beispielsweise in Wien 94,8% der Ausgaben, die für die „volle Erziehung
" ausgegeben
werden, im Bundesschnitt sind es immerhin noch 76,1%.

a.       Wäre es aus Ihrer Sicht nicht sinnvoller, verstärkt in präventive Maßnahmen zu
investieren, da diese im Vergleich zur „vollen Unterbringung
" auch günstiger und
nachhaltiger sein können?

b.       Wäre es aus Ihrer Sicht nicht sinnvoller, verstärkt in Maßnahmen der
„Erziehungshilfe
in den Familien" - dh. ohne die Herausnahme des Kindes/des
Jugendlichen aus der Familie - zu investieren, da diese Maßnahmen im Vergleich zur
„vollen Unterbringung
" auch günstiger und nachhaltiger sein können?

6.       Die Empfehlung 1 des Forschungsberichts des ÖIF (Evaluierung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes) fordert auf Seite 117: „Ausbau der zeitlichen und finanziellen
Ressourcen zur Sicherstellung der weiteren Stärkung des Schutzes von Kindern und
Jugendlichen vor Gewalt und anderen Gefährdungen
".

a.       Wie soll diese Empfehlung umgesetzt werden?

b.       Wie wollen Sie das vor dem Hintergrund, dass 16% der Sozialarbeiterinnen im letzten
Jahr mehr als 101 Betreuungsfälle hatten, sicherstellen?

7.       Die Empfehlung 7 des Forschungsberichts des ÖIF (Evaluierung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes) fordert auf Seite 122 die „Formulierung und Implementierung
österreichweit einheitlicher Standards
". Wie ist diese Implementierung bundeseinheitlicher
Standards mit der Kompetenzverschiebung zu den Ländern in Einklang zu bringen?

8.       Gibt es Pläne des Ministeriums zu einer gesonderten Evaluierung der Gefährdungsabklärungen?

9.       Im Fachdiskurs besteht Einigkeit, dass in dem höchst sensiblen öffentlichen Aufgabenbereich
der Kinder- und Jugendhilfe eine qualitätsvolle Betreuung unabdingbar ist. Wie wollen Sie
eine solche qualitätsvolle Betreuung in Anbetracht der „Veränderung
" der
Gesetzgebungskompetenz sicherstellen?

10.    In der Publikation „Qualitätsstandards für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe" von FICE
Austria, Volksanwaltschaft sowie weiteren Organisationen wird angeführt, dass sich die
Anforderungen an private sowie öffentliche Einrichtungen der stationären Kinder- und
Jugendhilfe in den Bundesländern mitunter beträchtlich unterscheiden. Beispielsweise wird
von „unterschiedlichen Qualitätsanforderungen an die Betreuungsprozesse in
sozialpädagogischen Einrichtungen
" gesprochen. Welche Maßnahmen wollen Sie hier für
eine Verbesserung setzen und welche Schritte setzen Sie für eine bundesweite
Vereinheitlichung der Standards in diesem Bereich?

11.   In der Publikation „Qualitätsstandards für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe" von FICE
Austria, Volksanwaltschaft sowie weiteren Organisationen wird angeführt, dass sich die
Anforderungen an private sowie öffentliche Einrichtungen der stationären Kinder- und
Jugendhilfe in den Bundesländern mitunter beträchtlich unterscheiden. Beispielsweise wird
von nicht einheitlichen Personalschlüsseln gesprochen. Welche Maßnahmen wollen Sie hier
für eine Verbesserung setzen und welche Schritte setzen Sie für eine bundesweite
Vereinheitlichung der Standards in diesem Bereich?

12.   In der Publikation „Qualitätsstandards für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe" von FICE
Austria, Volksanwaltschaft sowie weiteren Organisationen wird angeführt, dass sich die
Anforderungen an private sowie öffentliche Einrichtungen der stationären Kinder- und
Jugendhilfe in den Bundesländern mitunter beträchtlich unterscheiden. Beispielsweise wird
von „unterschiedlichen Personalbesetzungen (doppelt vs einfach)
" gesprochen. Welche
Maßnahmen wollen Sie hierfür eine Verbesserung setzen und welche Schritte setzen Sie für
eine bundesweite Vereinheitlichung der Standards in diesem Bereich?

13.   In der Publikation „Qualitätsstandards für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe" von FICE
Austria, Volksanwaltschaft sowie weiteren Organisationen wird angeführt, dass sich die
Anforderungen an private sowie öffentliche Einrichtungen der stationären Kinder- und
Jugendhilfe in den Bundesländern mitunter beträchtlich unterscheiden. Beispielsweise wird
von „unterschiedlichen Ausbildungsanforderungen und Qualifikationsprofilen
" gesprochen.
Welche Maßnahmen wollen Sie hier für eine Verbesserung setzen und welche Schritte setzen
Sie für eine bundesweite Vereinheitlichung der Standards in diesem Bereich?

14.   In der Publikation „Qualitätsstandards für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe" von FICE
Austria, Volksanwaltschaft sowie weiteren Organisationen wird angeführt, dass sich die
Anforderungen an private sowie öffentliche Einrichtungen der stationären Kinder- und
Jugendhilfe in den Bundesländern mitunter beträchtlich unterscheiden. Beispielsweise wird
von unterschiedlichen Gruppengrößen gesprochen. Welche Maßnahmen wollen Sie hier für
eine Verbesserung setzen und welche Schritte setzen Sie für eine bundesweite
Vereinheitlichung der Standards in diesem Bereich?


 



[1].https://volksanwaltschaft.gv.at/artikel/Gleiche-Qualitaet-fuer-alle-Kinder-und-Jugendlichen?topic_type=aktuelles&archiv=0.

[2] https://volksanwaltschaft.gv.at/artikel/Gleiche-Qualitaet-fuer-alle-Kinder-und-Jugendlichen?topic_type=aktuelles&archiv=0.

[3] https://volksanwaltschaft.gv.at/downloads/f3seg/01%20PK_Unterlage_QS%20KiJu%202019.pdf.