4086/J XXVI. GP

Eingelangt am 01.08.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Alfred J. NolI, Kolleginnen und Kollegen, an den Bundesminister für Inneres,

betreffend die Vollziehung des Fremdenpolizeigesetzes und des „Visakodex“ in Zusammenhang mit „elektronischen Verpflichtungs­erklärungen“.

Für Familienangehörige aus Drittstaaten (außerhalb der EU) ist meistens ein Visum gemäß des „Visakodex“ (Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Ra­tes vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft idF Verordnung (EU) 2019/1155) erforderlich. Dafür ist bei Einladungen durch Inländer das Verfahren mittels so­genannter „elektronischer Verpflichtungserklärung“ (EVE) erdacht worden.

Für diese Prozedur muss der Angehörige in Österreich einen Termin bei seiner zuständigen Polizeidirektion (Wien: Kommissariat) vereinbaren und eine Vielzahl an Unterlagen beibrin­gen: Identitätsausweis, Meldezettel, Geeignete Einkommensnachweise (z.B. Lohn- und Ge­haltszettel, Einkommensteuerbescheid, Einkommensteuererklärung, aktuelle Gewinn- und Verlustrechnung), Mietvertrag oder vergleichbares Dokument bzw Grundbuchsauszug, bei Vorliegen Nachweise über bestehende Sorgepflichten, Nachweise über Kredite, eventuell Selbstauskunft des Kreditschutz-Verbandes oder Ähnliches, Unterlagen betreffend die Be­ziehung zur Visumwerberin/zum Visumwerber.

In manchen Wiener Bezirken (zB 21. Bezirk) beträgt die Wartefrist für einen Termin häufig mehrere Monate, sodass eine kurzfristige Einladung selbst von Familienangehörigen gar nicht möglich ist. Die Prozedur ist insgesamt entwürdigend und in Anbetracht der beizubrin­genden Dokumente eine Zumutung. Diese Vorgangsweise entspricht nicht der Vorstellung vom Schutz des Familienlebens, wie es in Art 8 EMRK und Art 7 GRC beschrieben und in der Judikatur des EGMR und des VfGH konkretisiert wurde. Zum Schutzbereich dieser Arti­kel gehört auch die Familie im weiteren Sinne, also auch Tanten und Neffen etc[1]. Auch Aus­ländern steht das aus Art 8 EMRK und Art 7 GRC abzleitende Recht zu, gemeinschaftlich mit ihren Familienangehörigen zu leben[2], worunter auch ein Besuch bei der an einem anderem Ort lebenden Teil der Familie zu subsumieren ist.

Häufig werden Visa-Anträge von ausländischen Familienangehörigen trotz EVE abgelehnt, da nach Meinung der Behörde das Einkommen des EVE-Verpflichteten zu gering ist. Die Höhe des Einkommens kann aber kein Kriterium für das Grundrecht auf den Schutz des Fa­milienlebens sein, welches auch eine Gewährleistungspflicht des Staates einschließt. Zwar steht dem Visum-Werber gem. § 11 FPG die Beschwerden gegen den ablehnenden Be­scheide der österreichischen Vertretungsbehörde offen, dem inländischen Antragsteller ge­mäß dem EVE-Procedere steht jedoch kein Mittel des Rechtsschutzes zur Verfügung.

Die beschriebene Prozedur und der Visakodex werfen in Zusammenhang mit den zititerten Grundrechten etliche Fragen auf, daher ergeht an den Bundesminister für Inneres folgende

ANFRAGE

1)    Wurden das beschriebene Verfahren (EVE) jemals einer Beurteilung im Lichte der Art. 8 EMRK und Art 7 GRC unterworfen, und einer Untersuchung in Hinblick auf Bedingungen, die über die Mindeststandards des Visakodex hinausgehen?

2)   Wurden die Bestimmungen des Visakodex, welche die Details der polizeilichen Ermittlungen beim Einladenden vorschreiben, jemals einer Beurteilung im Lichte der Art. 8 EMRK und Art 7 GRC unterworfen?

3)    Warum wird ein Verfahren angewandt, das offensichtlich das Grundrecht auf Schutz des Familienlebens verletzt, insbesondere durch eine Verknüpfung der Einkommensverhältnisse mit einem zum Wesenskern des Grundrechtes gehörigen Anspruch?

4)     Falls nicht (Frage 2), beabsichtigen Sie, diese Bestimmungen des Visakodex, wie zuletzt gefragt untersuchen zu lassen, und allenfalls auf eine entsprechende Modifikation des Verfah­rens und der EU-Verordnung ,,visakodex“ hinzuwirken?

5)   Werden Sie Schritte unternehmen, um die unzumutbar langen Wartefristen für einen Termin beim EVE-Verfahren in bestimmten Wiener Bezirken oder Bundesländern zu verkürzen?

6)    Werden Sie Schritte unternehmen, um den Mangel an jedem Rechtsschutzmechanismus beim EVE-Verfahren für den inländischen Einladenden zu beheben?

7)   Werden Sie Schritte unternehmen, um das EVE-Verfahren insgesamt zu vereinfachen?



[1] Baumgartner, Institutsgarantien und institutionelle Garantien, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayr (Hg), Handbuch der Grundrechte (HGR), Bd Vll/12 (2014), C.F. Müller, Manz, § 7, RN 49

[2] Ennöckl, Der Status der Ausländer, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayr (Hg), Handbuch der Grund­rechte (HGR), Bd VII/12 (2014), CF Müller, Manz, § 5, RN 43 u 44, vgl auch RN 18.