4091/J XXVI. GP

Eingelangt am 07.08.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

des Abgeordneten Dr. Peter Pilz, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Inneres

betreffend „Verdacht des Verrats von Hausdurchsuchungen an Martin Sellner"

Begründung

Im Zuge der Ermittlungen zum rechtsextremen Anschlag in Christchurch am 15.3.2019, bei dem 51 Menschen ermordet wurden[1], wurde bei Martin Sellner, dem Anführer der rechtsextremen Identitä- ren Bewegung Österreichs, am 25.3.2019 eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Anlass der Haus­durchsuchung war eine Spende des mutmaßlichen Christchurch-Attentäters an Martin Sellner in der Höhe von 1500 Euro.

Mitte Mai 2019 wurden Details zu der Hausdurchsuchung öffentlich bekannt. Sowohl die Berichter­stattung über die Hausdurchsuchung als auch Details in deren Vorbereitung und Ablauf legen nahe, dass Martin Sellner gezielt über die anstehende Amtshandlung informiert wurde. So wurde bekannt, dass Martin Sellner ca. 40 Minuten vor der Hausdurchsuchung den Email-Verkehr zwischen ihm und dem Christchurch-Attentäter gelöscht hat.[2] Darüber hinaus wurde bekannt, dass Martin Sellner kurz vor der Hausdurchsuchung ein Handy in einem Blumentopf vergraben hat, um es zu verstecken.[3] Dar­aus ergibt sich der Verdacht, dass Martin Sellner aufgrund einer Vorwarnung wichtige Beweise seiner Verbindungen zum Christchurch-Attentäter vernichtet hat, um etwaige Straftaten zu verdunkeln.

Am 18.6.2019 wurde medial bekannt, dass zwei weitere Hausdurchsuchungen in zwei Wohnungen stattgefunden haben, die ebenfalls von Martin Sellner benutzt wurden. Laut Medienberichten wurden bei diesen weiteren Hausdurchsuchungen weitere Beweismittel und Datenträger beschlagnahmt.[4]

Aus der letzten Beantwortung (3565/AB, XXVI. GP) der Anfrage von Peter Pilz an den Bundesminister für Inneres geht hervor, dass der damalige Generalsekretär Goldgruber bereits am 21.3.2019 über die Hausdurchsuchung bei Martin Sellner informiert wurde und dass ein Ermittlungsverfahren gegen un­bekannte Täter wegen eines denkmöglichen Verrats der Hausdurchsuchung eingeleitet wurde.

Vier Tage vor der Hausdurchsuchung bei Sellner richtete GS Goldgruber um 13:54 Uhr ein Mail an BVT-Chef Peter Gridling und dessen Stellvertreter Fasching.

„Lieber Peter,

Ich ersuche um ergänzende Information ob Sellner oder andere Mitglieder IBÖ bereits befragt wur­den.

Nach einer knappen Stunde erhielt er die Antwort:

"Mit einer Befragung des Martin Sellner, auch als Leiter der IBÖ, muss bis zur Entscheidung der StA Graz und allfä. Vorliegen strafprozessualer Anordnungen zugewartet werden. Über mündlichen Auf­trag der StA Graz wurden mit dem Anlassbericht Maßnahmen (HD, Sicherstellungen, Vorführungen zur Vernehmung, Auskünfte über Inhaltsdaten, Daten über Nachrichtenübermittlungen) beantragt.“

„HD" steht für „Hausdurchsuchung". Goldgruber war damit bereits vier Tage vor der Durchführung über den Plan der StA Graz, eine Hausdurchsuchung bei Sellner durchführen zu lassen, informiert. Da­mit stand er angesichts des möglichen Verrats der Hausdurchsuchung, der Gegenstand von Ermittlun­gen der StA Graz ist, zumindest im Gelegenheitsverhältnis.

Erschwerend kommt dazu: Im BVT-Untersuchungsausschuss erklärte Goldgruber am 6.11.2018 unter Wahrheitspflicht, dass er die Weisung erteilt habe, ihn nicht im Vorhinein über geplante Ermittlungs­handlungen zu informieren:

Ich habe dann angeordnet, dass (...) ich in Zukunft derartige Informationen keinesfalls mehr haben möchte, bevor die Ermittlungshandlung abgeschlossen ist.“[5]

Das Wissen über eine bevorstehende Hausdurchsuchung unterliegt dem Amtsgeheimnis und eine Wei­tergabe dieses Wissens ist strafbar. Sollte es zutreffen, dass die Informationen über die anstehende Hausdurchsuchung von BeamtInnen des Innenministeriums verraten wurden, wäre dies eine schwer­wiegende Behinderung der laufenden Ermittlungen. Angesichts eines ehemaligen freiheitlichen Innen­ministers, eines FPÖ-Generalsekretärs und der weitreichenden Verflechtungen zwischen der rechts­extremen Identitären Bewegung Österreich und der FPÖ besteht dringender Aufklärungsbedarf.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.         Welche Abteilungen des Innenministeriums werden auf dienstlichem Wege über den aktuellen Ermittlungsstand bezüglich der Ermittlungen gegen Martin Sellner informiert? (Bitte um genaue Auflistung der Abteilungen, Personen und Datum der Kenntnisnahmen)

a.       Wurde der damalige Innenminister Herbert Kickl über die Ermittlungen gegen Martin Sellner auf dienstlichem Wege informiert?

                                                        i.      Wenn ja, von wem?

                                                      ii.      Wenn ja, wie oft?

                                                    iii.      Wenn ja, was wurde dem damaligen Innenminister Herbert Kickl zur Kenntnis gebracht?

                                                     iv.      Wenn ja, wurde der damalige Innenminister Herbert Kickl über die Hausdurch­suchung bei Martin Sellner vorab informiert?

                                                       v.      Wenn ja, wurde vom damaligen Innenminister Herbert Kickl der Auftrag er­teilt, über die Ermittlungen gegen Martin Sellner informiert zu werden?

                                                     vi.      Was war der jeweilige Anlass für die Information?

b.      Wurde der damalige Generalsekretär Peter Goldgruber über die Ermittlungen gegen Martin Sellner auf dienstlichem Wege informiert?

                                                        i.      Wenn ja, von wem?

                                                      ii.      Wenn ja, wie oft?

                                                    iii.      Wenn ja, was wurde dem damaligen Generalsekretär Peter Goldgruber zur Kenntnis gebracht?

                                                     iv.      Wenn ja, wurde vom damalige Generalsekretär Peter Goldgruber der Auftrag erteilt, über die Ermittlungen informiert zu werden?

                                                       v.      Was war der jeweilige Anlass für die Information?

Betreffend der Hausdurchsuchung am 25.3.2019:

2.         In der Anfragebeantwortung (3565/AB, XXVI. GP) wird ausgeführt, dass der damalige General­sekretär Goldgruber über die Hausdurchsuchung bei Martin Sellner am 21.3.2019 schriftlich vom BVT informiert wurde.

a.       Auf wessen Anordnung hin wurde der damalige Generalsekretär informiert?

b.      Ist es richtig, dass Goldgruber am 21.3.2019 um 14.41 Uhr über die bevorstehende Hausdurchsuchung bei Sellner informiert wurde?

c.       Von wem wurde Goldgruber informiert?

d.      Wurden noch weitere Informationen betreffenden der Ermittlungen gegen Martin Sellner an den damaligen Generalsekretär Goldgruber weitergegeben?

                                                        i.      Wenn ja, welche?

e.      War dies eine einmalige Information oder wurde der der damalige Generalsekretär laufend informiert?

                                                        i.      Wenn ja, wie oft?

                                                      ii.      Wenn ja, in welchen zeitlichen Abständen?

                                                    iii.      Wenn ja, was war deren Inhalt?

f.        Wurden außer dem damaligen Generalsekretär auch MitarbeiterInnen seines Büros auf dienstlichem Wege über die Hausdurchsuchung informiert?

g.       Wem hat Goldgruber seinerseits über die bevorstehende Hausdurchsuchung bei Sell­ner berichtet?

3.         Ist es richtig, dass der damalige Generalsekretär Goldgruber am 20.3.2019 um 13.54 Uhr per E­Mail an das BVT eine Anordnung erteilte, dass er über die getroffenen Ermittlungsmaßnahmen bezüglich der Österreich-Verbindungen des Christchurch-Attentäters bis auf weiteres zu infor­mieren sei?

a.       Wenn ja, wurde dieser Anordnung nachgekommen?

                                                        i.      Wenn ja, was für Informationen wurden im Zuge dieser Anordnung an den damaligen Generalsekretär Goldgruber weitergegeben?

                                                      ii.      Wenn ja, wurde der damalige Generalsekretär im Zuge dieser Anordnung über die Hausdurchsuchung bei Martin Sellner informiert?

                                                    iii.      Wenn ja, ist es üblich, dass ein Generalsekretär derartig detailliert über Ermitt­lungen informiert wird?

                                                     iv.      Wenn ja, was war der Grund für diese Anordnung?

4.         Ist es richtig, dass sich der damalige Generalsekretär Goldgruber am 21.3.2019 per E-Mail beim BVT darüber erkundigte, ob Martin Sellner oder andere Mitglieder der IBÖ bereits von den er­mittelnden Behörden vernommen wurden?

a.       Wenn ja, wurde diesem Begehren nachgekommen?

                                                        i.      Wenn ja, was für Informationen wurden an den damaligen Generalsekretär Goldgruber weitergegeben?

                                                      ii.      Wenn ja, ist es üblich, dass ein Generalsekretär derartig detaillierte Informati­onen über ein laufendes Ermittlungsverfahren erfragt?

b.      Wenn ja, was war der Grund für diese Frage?

5.         Ist es richtig, dass sich der damalige Generalsekretär Goldgruber über im Zuge der Ermittlungen gegen Martin Sellner auftauchenden Listen von Identitären erkundigte?

6.         Ist es richtig, dass sich der damalige Generalsekretär Goldgruber vom BVT eine Liste von poten­tiellen IBÖ Mitgliedern im BMI übermitteln ließ?

a.       Wenn ja, geschah dies auf seinen Auftrag hin, oder wurde dies vom BVT aus eigenem veranlasst?

                                                        i.      Wenn sie auf seinen Auftrag hin übermittelt wurde, woher hatte er Informa­tion über die Liste?

                                                      ii.      Wenn sie auf seinen Auftrag hin übermittelt wurde, aus welchem Grund erging der Auftrag?

b.      Wenn ja, wie wurde mit dem Inhalt der Liste verfahren?

                                                        i.      Wenn ja, ist es Usus im BMI, dass der Generalsekretär in dieser Detailtiefe über laufende Ermittlungen informiert wird?

c.       Wenn ja, wurde BMI-intern zu dieser Liste ermittelt, bzw. Disziplinarmaßnahmen oder -verfahren eingeleitet?

Betreffend der Hausdurchsuchung am 18.6.2019:

7.         Liegen Ihnen Hinweise vor, dass Martin Sellner betreffend der Hausdurchsuchungen am 18.6.2019 vorab informiert wurde?

a.       Wenn ja, welche Hinweise liegen Ihnen vor?

b.      Wenn ja, haben Sie diese Informationen an die Staatsanwaltschaft übermittelt?

c.       Wenn ja, hat es deswegen personelle Konsequenzen gegeben?

d.      Wenn ja, liegen Ihnen Hinweise vor, dass Bedienstete Ihres Vollzugsbereich Informa­tionen an Martin Sellner weitergegeben haben?

8.         Welche Abteilungen des Innenministeriums wurden auf dienstlichem Wege vorab von den Haus­durchsuchungen am 18.6.2019 informiert? (Bitte um genaue Auflistung der Abteilungen, Perso­nen und Datum der Kenntnisnahme)

9.         Wann sind die damit beauftragten Beamten des BVT über die bevorstehenden Hausdurchsu­chungen am 18.6.2019 informiert worden?

10.     Wann sind die Hausdurchsuchungen vom 18.6.2019 von der StA Graz angeordnet worden?

a.       Falls die Hausdurchsuchungen nicht unmittelbar nach der Anordnung der StA Graz durchgeführt wurden:

                                                        i.      Warum wurden die Hausdurchsuchungen erst am 18.6.2019 durchgeführt?

                                                      ii.      Wurden Nachforschungen angestellt, weshalb mit den Hausdurchsuchungen solange zugewartet wurde? Falls nein, warum nicht?

Wenn die Hausdurchsuchungen vor dem 22.05.2019 von der StA Graz angeordnet wurden:

11.     Liegen Ihnen Informationen vor, dass der damalige Innenminister Herbert Kickl auf dienstlichem Wege vorab über die Hausdurchsuchungen am 18.6.2019 informiert wurde?

a.       Wenn ja, wann wurde der damalige Innenminister informiert?

b.      Wenn ja, von wem wurde der damalige Innenminister informiert?

c.       Wenn ja, warum wurde der damalige Innenminister informiert?

12.     Liegen Ihnen Informationen vor, dass der damalige Generalsekretär Goldgruber auf dienstli­chem Wege über die Hausdurchsuchungen am 18.6.2019 informiert wurde?

a.       Wenn ja, wann wurde der damalige Generalsekretär informiert?

b.      Wenn ja, von wem wurde der damalige Generalsekretär informiert?

c.       Wenn ja, warum wurde der damalige Generalsekretär informiert?

13.     Liegen Ihnen Informationen vor, dass damalige Bedienstete des Ministerkabinetts von Herbert Kickl auf dienstlichem Wege vorab über die Hausdurchsuchungen am 18.6.2019 informiert wur­den?

a.       Wenn ja, wann wurden diese informiert?

b.      Wenn ja, von wem wurden diese informiert?

c.       Wenn ja, warum wurden diese informiert?

14.     Liegen Ihnen Informationen vor, dass damalige Bedienstete des Büros von Generalsekretär Goldgruber auf dienstlichem Wege vorab über die Hausdurchsuchungen am 18.6.2019 infor­miert wurden?

a.       Wenn ja, wann wurden diese informiert?

b.      Wenn ja, von wem wurden diese informiert?

c.       Wenn ja, warum wurden diese informiert?

15.     GS Goldgruber hat nach eigenen Darstellungen vor dem 6.11.2018 Weisung erteilt, ihn nicht im Vorhinein über geplante Ermittlungsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen zu informieren. Wa­rum ist diese Weisung am 21.3.2019 missachtet worden?

16.     Ein FPÖ-Generalsekretär lässt sich entgegen seinen Beteuerungen im U-Ausschuss über eine Be­vorstehende Hausdurchsuchung bei einem rechtsextremen Sympathisanten der FPÖ berichten. Letzterer wird offensichtlich vorgewarnt. Die Kronenzeitung berichtet im Zusammenhang mit den engen Verflechtungen zwischen Identitären und FPÖ über diesbezügliche Wahrnehmungen des LV Wien über Kickls Kabinettschef Reinhard Teufel. Entspricht es den Tatsachen, dass dem BMI diesbezügliche Hinweise vorliegen?

17.     Welche Rolle spielte Teufel laut Informationen, die dem BMI zur Verfügung stehen, als Verbin­dungsmann zwischen Identitären, rechtsextremen Burschenschaften und FPÖ?

18.     Haben unter Kickl Verfassungsschützer Rechtsextremisten oder Rechtsextremisten den Verfas­sungsschutz überwacht?



[1] https://derstandard.at/2000104847934/Mutmasslicher-Angreifer-von-Christchurch-sieht-sich-nicht-schuldig

[2] https://kurier.at/politik/inland/nur-41-minuten-vor-der-hausdurchsuchung-loeschte-sellner-seine-mails/400495462

[3] https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/5629292/SellnerMaiIs-zu-Attentaeter_Handy-im-Blumen- topf_Pilz-vermutet

[4] https://derstandard.at/2000105057014/ldentitaeren-Chef-Sellner-spricht-von-erneuter-Razzia

[5] BVT-Untersuchungsausschuss: Befragung Goldgruber am 6.11.2018, KOMM 126, S 54