17.15

Abgeordneter Mag. Dr. Matthias Strolz (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Re­gierungsmitglieder, die Sie jetzt neu an Bord sind – es sind fast ausschließlich solche –, für Ihre Aufgaben möchte ich Ihnen alles Gute mit auf den Weg geben, Sie haben wichtige Funktionen! Neue Besen kehren gut, sagt der Volksmund, und darin liegt eine gewisse Hoffnung, möchte ich sagen.

Geschätzte Bürgerinnen und Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verhandeln jetzt die Regierungserklärung, schauen, wie sie zu bewerten ist. Natürlich wird sich auf 180 Seiten Prosa auch Gutes finden; das ist so und das möchte ich auch nicht verheh­len.

Ich glaube, dass es zum Beispiel erfreulich ist, dass die Elementarpädagogik jetzt zum Bildungsressort kommt – ein alter NEOS-Vorschlag, soweit man in unserem Kontext von alt sprechen kann.

Ich glaube, dass es gut ist, dass die Transparenzdatenbank jetzt scharfgeschaltet wird, versehen auch mit einer Sanktion für unwillige Landesfürsten, für jene Fürsten der In­transparenz. Daran sieht man, dass sich Oppositionsarbeit rentiert, dass man, wenn man auf einem Thema draufbleibt, auch aus der Opposition heraus gestalten kann. (Zwischenruf des Abg. Rädler.) – Das, Herr Rädler, gibt uns natürlich Kraft und Ener­gie für die nächsten fünf Jahre. Rechnen Sie mit uns alle Zeit!

Es ist auch okay und nicht überflüssig, sondern längst an der Zeit, dass wir die Digitali­sierung höher hängen, als das durch die Bundesregierung, die wir zuletzt hatten, pas­siert ist. Die Digitalisierung ist eine Riesenchance, aber es sind auch Risken damit ver­bunden. Eine Regierung und auch ein Parlament müssen sich sehr entschlossen pro­aktiv darum kümmern.

All das kann natürlich nicht wettmachen, dass das Regierungsprogramm insgesamt ei­ne Enttäuschung ist. Sie haben verkündet, dass Leuchttürme kommen werden. Es sind sich aber so gut wie alle Beobachterinnen und Beobachter einig: Leuchttürme haben wir nicht gefunden!

Auf diesen 180 Seiten fehlen die mutigen Ansagen, fehlt die Einlösung Ihrer Verspre­chen, dass Sie es wirklich entschlossen angehen. Es sind viele kleine Schritte enthal­ten, aber insgesamt ist das Programm nicht ambitioniert und zutiefst unverbindlich. Das heißt, immer dort, wo es konkret werden sollte, legen Sie mit vielen Worten und großer Unverbindlichkeit die Dinge in einen Nebel, und wir wissen nicht genau: Wird es pas­sieren? Wird es nicht passieren? Sie haben ganz wenig Zeitleisten aufgezeigt, die be­legen, wann Sie die Dinge wie machen. Und wir wissen aus Erfahrung: Dort, wo die Zeitleisten fehlen, dort fehlt auch die Aussicht auf Umsetzung in mindestens der Hälfte der Fälle. Deswegen werden wir eine große Aufgabe haben: als Reformturbo jene Din­ge zu beschleunigen, von denen wir glauben, dass sie zu tun sind, und diese auch noch mit in die richtige Richtung zu biegen.

Natürlich kann man die Sozialversicherungen so oder so zusammenlegen, aber wenn man eben die Landeshauptleute hört, die jetzt sagen, dass sie eigentlich zufrieden sei­en – jene, die vorher gesagt haben: Da ist meine rote Linie! –, die jetzt sagen, das pas­se schon so, dann muss einem natürlich auch gewahr sein, dass das, was Sie planen, auch eine Verschlimmerung sein könnte, indem Sie eine bürokratische Holding drüber­spannen. Deswegen werden wir sehr wachsam sein, wie Sie das umsetzen. (Beifall bei den NEOS.)

Ich möchte kurz ein Best-of der Enttäuschungen über Schwarz-Blau schildern, weil es wichtig ist, auch einzumahnen, dass diesbezüglich noch etwas Bewegung kommt. Ich möchte – nicht überraschend – bei der Bildung beginnen. Bildung, Herr Minister Faß­mann, ich glaube, darin sind wir uns einig, ist der Schlüssel zur Selbstermächtigung des Menschen. Bildung ist so wichtig für sämtliche Politikbereiche, und diesbezüglich läuft es nicht gut genug in diesem Land; darin sind wir uns auch einig. Und wenn ich jetzt das Bildungskapitel in Ihrem Regierungsprogramm lese, dann muss ich sagen, das ist uninspiriert, und da liegen meine Hoffnungen auf Ihnen als Minister, Herr Faß­mann!

Ich erinnere an das Bildungsprogramm 2013, das ebenso uninspiriert war, aber wir konnten während der Legislaturperiode noch einiges an Tempo zulegen. Zum Beispiel wurde dann auch unter dem Druck der Opposition in Ansätzen eine Bildungsreform – die war 2013 nicht geplant – nachgereicht, und sie brachte zumindest in Teilen kleine Schritte in die richtige Richtung.

Wenn ich mir das Bildungskapitel anschaue, dann stelle ich fest, das Grundthema, das sich da durchzieht, ist: Zucht, Ordnung, die Fantasie, dass mit mehr Zucht und Ord­nung alles gut wird; und das kombinieren Sie dann mit Sanktionen. Auf jeder Seite dieses Bildungskapitels finden sich Sanktionen. Ja, ich bin auch dafür, dass man zum Beispiel die Eltern stärker in die Pflicht nimmt, aber ich bin dagegen, dass wir bei etwas so Wichtigem wie bei den Talenten unserer Kinder, wo es darum geht, dass etwas auf­blüht, sich entfaltet, mit einem Ansatz von Zucht, Ordnung und Sanktionen vorgehen. Das ist zu wenig, das ist uninspiriert, das geht besser, und da werden wir den Druck hoch halten – zum Beispiel beim Thema Chancengerechtigkeit.

Ich sehe in Ihrem Programm nichts, womit wir die Chancengerechtigkeit auf ein höhe­res Niveau bringen; aber wir alle wissen, wie es in Österreich läuft. Die Frage: Wie verläuft deine Bildungskarriere und auch deine Berufskarriere?, ist in Österreich leider zu wenig von den Fragen: Was ist dein Talent?, Was ist dein Bedürfnis?, Was ist deine Neigung?, abhängig, sondern sie ist von den Fragen: Was ist dein Vater?, Was ist dei­ne Mutter?, Was sind die sozioökonomischen Hintergründe? – wenn man es technisch bespricht –, abhängig. (Abg. Kassegger: Gelesen haben Sie es nicht! – Abg. Rosen­kranz: Was waren Ihre Eltern?)  Mein Vorschlag wäre zum Beispiel, Herr Rosenkranz (Abg. Rosenkranz: Was waren Ihre Eltern?!), Sie sind ja im Unterrichtsausschuss ge­wesen, dass wir von den Niederlanden lernen – Chancenbonus, Sozialindex, wie es manche nennen –, dass wir für Chancengerechtigkeit für die jungen Menschen sorgen, dass sie auch wissen: Ja, ich kann in die Entfaltung kommen – oder wie immer das ein Zehnjähriger, eine Achtjährige worden würde, aber sie spüren es, ob sie eine Chance haben oder nicht. Allzu viele sind heute in dieser Gesellschaft abgehängt; und das ist die Spaltung der Gesellschaft, die hier betrieben wird, und das wird durch Ihre Politik, so wie sie jetzt einmal festgeschrieben ist, verschärft.

Eine weitere Enttäuschung bei Schwarz-Blau ist natürlich, dass die kalte Progression weiter bestehen soll. Sie sagen, Sie werden einmal evaluieren. Das entspricht der For­mulierung auf Österreichisch: Wir werden einmal schauen. – Also konnte sich Schwarz-Blau nicht einmal auf das einigen, was beide wollten, und das ist schon einigermaßen schräg. Sie beide wollten die kalte Progression abschaffen, haben dann lange verhan­delt und sich das wechselseitig wegverhandelt – oder wie kann man das verstehen? (Beifall bei NEOS und Liste Pilz.)

Kollege Kurz, Kollege Strache, Sie erkennen die Brisanz der Geschichte gewisserma­ßen schon selbst, also dass Sie eine Gemeinsamkeit haben, die keine mehr ist. (Zwi­schenbemerkung von Vizekanzler Strache.) Da schüttelt es mich als Bürger, als der ich jedes Jahr mit der kalten Progression vom Finanzminister abgezockt werde. Ohne parlamentarische Debatte wird den Menschen jedes Jahr mehr aus der Geldtasche gezogen. Das ist das Geld, das dann am Monatsende für die Reparatur der Waschma­schine, für das Ansparen für ein Eigenheim, für eine Pensionsvorsorge – wir kommen noch dazu – oder für einen Kurzurlaub – für manche mag es der einzige Urlaub im Jahr sein – fehlt.

Sie sagen aber: Nein, das automatische Inkassobüro behalten wir, das Geld können wir brauchen. Dabei kriegen Sie heuer von den Menschen ohnehin 5 Prozent mehr. Die Steuereinnahmen sprudeln wie arabische Ölquellen. Sie haben einen glücklichen Moment gewählt. Es wäre eine Position der Stärke, sodass Sie jetzt Reformen ange­hen könnten, aber nein, Sie lehnen sich zurück und gehen in die Unambition. Das ist falsch! (Abg. Hauser: Wir wollen die Abgabenquote auf 40 Prozent reduzieren!) Und auch bei den Steuerplänen sind Sie insgesamt viel zu wenig konkret, ganz unkonkret. Wir wissen nicht, wie Sie es gestalten werden. Dann, wenn es so unkonkret im Nebel liegt, ist natürlich auch die Hoffnung klein, dass sich das irgendwann in den nächsten Monaten konkretisieren wird. Wir werden hier weiter Druck ausüben – keine Frage.

Pensionen – halleluja! –: Es gab einmal einen mutigen JVP-Chef, der gesagt hat, bei den Pensionen müsse man ran, man müsse das System so umbauen, dass unsere Kinder sich darauf verlassen können, dass auch für sie dieses System halten wird, denn es ist ein Generationenvertrag, den wir da haben. Sie aber gehen her und sagen: Die eine Hälfte der Vertragspartner ist derzeit noch nicht wahlberechtigt und deswegen sind sie uns blunzn! – Anders kann ich es nicht interpretieren.

All die Dinge, die Sie, Sebastian Kurz, Josef Moser, der Reihe nach gefordert haben, sind aus Ihrem Kopf, aus Ihren Gedanken, aus Ihren Ambitionen verschwunden: kein Pensionsautomatismus, keine Flexipension, keine frühere Anpassung des Frauenpen­sionsantrittsalters – das kann man flexibel schnitzen, die Italiener haben das in fünf Jahren gemacht (Ruf bei der FPÖ: Das ist aber kein Beispiel!) –; all das ist verschwun­den, alle diese früheren Versprechen sind Schall und Rauch.

Informationsfreiheitsgesetz: Die Schwarzen und die Roten hatten es zumindest im Re­gierungsprogramm, sie haben es aber halbjährlich verschoben, nicht zustande ge­bracht (Zwischenruf des Abg. Drozda); und jetzt sagen Sie: Nein, wir schreiben es nicht einmal mehr ins Regierungsprogramm. Wir wollen das Amtsgeheimnis weiterhin. H.-C. Strache, Freiheitliche Partei, in diesem Namen steht doch Freiheit drinnen – ge­ben Sie Ihrem Herzen einen Stoß! (Abg. Rosenkranz: Wahlfreiheit! – Abg. Schie­der: ... Missverständnis!) Das österreichische Amtsgeheimnis ist das Letzte auf diesem Kontinent, das gehört nicht in eine moderne Demokratie! (Beifall bei NEOS und Liste Pilz sowie des Abg. Drozda.)

Es liegen – von uns und von den Grünen ein Vermächtnis – fertige Anträge hier im Par­lament. Nehmen Sie sie her, finalisieren Sie sie mit der Zivilgesellschaft und bringen Sie sie zur Abstimmung!

Freiheit insgesamt: Beim Kammerzwang ist die FPÖ in die Horizontale gegangen, um­gefallen. Jetzt können Sie sagen: Ja, wir haben es nicht durchgesetzt, dass wir den Kam­merzwang abschaffen!; aber dass Sie nicht einmal die Sozialpartnerschaft aus der Ver­fassung rausverhandelt haben, ist eine große Enttäuschung. Die hat es früher auch nicht gegeben, die hat es nicht gebraucht. Sie lassen die Kammern im Verfassungsrang, ge­ben ihnen das Signal: Liebe Kammern, ihr seid unsterblich!, und das ist das falsche Sig­nal, weil sie sich dann auch nicht bemühen, weil sie nicht Richtung Bewährung durch Leistung gehen. Deswegen sage ich Ihnen Folgendes: Wenn Sie bei diesen Fragen der Strukturreformen für die Zweidrittelmehrheit irgendwann in unsere Gasse kommen, dann werden wir Ihnen dieses Thema noch einmal auftischen, an dem werden Sie nicht vor­beikommen, dafür sorgen wir als Freunde der Freiheit. (Beifall bei den NEOS.)

Zum Abschluss: direkte Demokratie – das ist natürlich auch ein Umfaller und eine Au­genauswischerei. Sie wissen, Sie verschieben es auf den letzten Tag der Legislaturpe­riode, und an diesem Tag wird nichts mehr gelingen. Um das zu wissen, sind wir alle lang genug im Geschäft, selbst jene, die noch nicht so lange dabei sind. Studieren Sie, was die Regierungen in der Regel in den letzten Monaten zustande gebracht haben: nichts!

Eine letzte Sache ist ein persönlicher Schmerz und, wie ich finde, eine große Sorge unseres Landes, nämlich das Europathema. Ich finde, dass Sie da mit einer Doppel­züngigkeit unterwegs sind, die an Zwiespältigkeit schwer zu übertreffen ist. Just an dem Tag, an dem Sie gemeinsam am Kahlenberg stehen und Ihre Regierung verkün­den, versammeln sich die Rechtspopulisten und die Rechtsextremen in Prag zu einem europaweiten Treffen, und just bei diesem Treffen ist auch wieder ein Mandatar der FPÖ mit dabei. Auf dem einen Hügel proklamieren Sie Europa, und ein paar Hundert Kilometer weiter sind Sie bei einem Treffen dabei, bei dem Le Pen und Wilders die Zerstörung des Gemeinschaftswerks fordern – unverhohlen fordern!

Da stellt sich die Frage: Was soll man davon halten? – Ich interpretiere es so, dass natürlich diese Prosa, die Sie hier stehen haben – Papier ist geduldig –, nicht für voll zu nehmen ist, solange Sie in Taten etwas anderes zu erkennen geben. Es ist auch so, dass uns das Miteinander in Europa Frieden, Wohlstand, Lebensqualität gebracht hat; und es ist so, dass uns das Gegeneinander über Jahrhunderte Blut und Tränen ge­bracht hat. Nur das engagierte Miteinander wird uns auch in eine gute Zukunft führen.

Ich finde, dass eine österreichische Regierungspartei nicht Le Pen, nicht Wilders und nicht die AfD als politische Freunde haben sollte. Herr Bundeskanzler, ich glaube, dass Sie da rasch für Klarheit sorgen müssen. Wenn Glückwünsche von der AfD kommen, die lauten: „Österreich wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf!“, dann ist das falsch. Wenn Abgeordneter Mayer an solchen Treffen teilnimmt, dann ist das falsch und dann können Sie sich nicht mit zwei, drei wohlformulierten Sätzen aus der Affäre ziehen, sondern das ist der Lackmustest für diese Regierung, dafür, ob die­se Regierung auch faktisch zu Europa steht oder ob die Menschen einfach verschau­kelt werden.

Ich hege den Verdacht, dass an dem Tag, an dem der Wind wieder günstig steht, die Freiheitliche Partei wieder den Öxit betreiben wird – und ich befürchte, dieser Tag wird kommen. Solange Sie sich unter diesen Freunden bewegen, die eben auch solches wollen, bleiben Sie mit Ihrem Verhalten eine gefährliche Bedrohung für die Zukunft die­ses Landes und zukünftiger Generationen. Da werden wir entschlossen dagegenhal­ten – wann immer wir können, wo immer es uns angemessen erscheint, bei jeder Ge­legenheit! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Liste Pilz.)

17.30

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Zu Wort ist nun Herr Abgeordneter Rosenkranz gemeldet. – Bitte.