19.16

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Damen und Herren der neuen Bundesregierung! Sehr geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In meiner Funktion als Sozialsprecher sage ich, dass wir in der nächsten Zeit sehr viel Arbeit vor uns haben werden, wenn es darum geht, dieses Koalitionsab­kommen auch wirklich sachlich zu diskutieren und vielleicht Änderungen herbeiführen zu wollen, die fair und gerecht sind.

Ich habe heute bisher allen Rednerinnen und Rednern aufmerksam zugehört: Es wur­de hier gesagt, es werde in fünf Jahren noch gerechter in diesem Land werden. Es wur­de gesagt, dass das Regierungsprogramm ein Programm ohne neue Belastungen sei. – Das stimmt nicht.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren von der Bundesregierung! Sie haben ei­nen ganz schlechten Start hingelegt. Eine Ihrer ersten Handlungen war es, Arbeitslo­senversicherungsbeiträge zu kürzen – mit der Folge, dass es bei weniger Einnahmen zu Versicherungsleistungen kommt, die ebenfalls gekürzt werden. Das haben Sie schon angekündigt. Die nächste Folge ist, dass Sie auch Maßnahmen beim AMS gerade für jene Menschen, die es brauchen – 50 plus –, einsparen wollen.

Das ist nicht die Sozialpolitik, die Österreich bis dato ausgezeichnet hat. Mit Ihrem Pro­gramm belasten Sie wirklich die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Alle Vorredner haben es, glaube ich, sehr, sehr gut auf den Punkt gebracht, nämlich dass das untere Einkommensdrittel hier wirklich durch den Rost fällt.

Es wird für uns von der SPÖ ein klarer Auftrag sein, wenn Sie das wirklich so durchzie­hen, wie Sie es in 179 Seiten skizziert haben, dass Sie bei den sozial Schwächsten mit dem Rasenmäher drüberfahren wollen, indem Sie den Menschen mit dem Familienbo­nus vorgaukeln, dass Sie ihnen helfen werden, indem Sie bei den Pensionen Ein­schnitte machen, indem Sie für jene Menschen, die schwer gearbeitet haben, wesent­lich mehr Hürden aufbauen, damit sie die Pension antreten können. Zusätzliche Hür­den gibt es bei einer Invaliditätspension, bei einer Berufsunfähigkeitspension, bei einer Schwerarbeiterpension. Das ist gegenüber jenen Menschen nicht gerecht, die dieses Land jahrelang aufgebaut haben, die Beiträge gezahlt haben.

August, ich schätze dich als Sozialpolitiker, aber der eine Punkt, dass ihr prüft, bei der Berechnung von Pensionen nur zwei Jahre Arbeitslosenzeiten zu berücksichtigen, ist eine Schweinerei gegenüber all jenen, die in einer Saisonarbeit tätig sind. (Zwischen­rufe bei der FPÖ.) Das ist nicht gerechtfertigt gegenüber jenen (Abg. Wöginger: Nur bei der Korridor--!), die ihren Job verlieren. (Abg. Wöginger: Nur bei der Korridor--!) – Sogar dort! (Abg. Wöginger: Die anderen gehen ja in die Schwerarbeiter--!) Diese Ein­schnitte in das Sozialsystem sind nicht gerechtfertigt. Ihr müsst euch wirklich überle­gen – gerade du warst bei diesen Untergruppen dabei –, wie man auch das untere Ein­kommensdrittel abfängt.

Oder die Arbeitszeit: August, wir werden dich beim Wort nehmen, wenn du sagst, es wird ab der achten Stunde Überstundenzuschläge geben. Wir werden euch beim Wort nehmen. Fragt einmal draußen die Menschen, die jetzt mehr als acht Stunden arbei­ten, ob sie Überstundenzuschläge kriegen!

Und dann noch zu glauben, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbaren, ob sie zwölf Stunden arbeiten oder nicht, und dass das im beiderseitigen Interessenausgleich passiert – das ist ein völliger Schwachsinn. Dort, wo es keine Betriebsräte gibt, wird über diese Menschen drübergefahren werden. Das zeigt jetzt schon die Praxis. Ich ge­be euch jetzt eine Chance, weil es mir wirklich sachlich wichtig ist, bei diesem Thema fachlich zu diskutieren und gemeinsam vorzugehen.

Ich möchte daher folgenden Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „keine Ver­schlechterungen bei der Arbeitszeit für ArbeitnehmerInnen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Höchstarbeitszeit auf dem derzeitigen Ni­veau zu belassen und nicht generell auf 12 Stunden/Tag und 60 Stunden/Woche aus­zuweiten. Die Vornahme von Arbeitszeitflexibilisierungen darf nur in einem ausgewo­genen Verhältnis zwischen Interessen der ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen er­folgen.“

*****

Das ist genau jene Formulierung , die ihr vor der Wahl den Menschen versprochen habt. Das ist jene Formulierung, die du heute auch hier als Klubobmann wiedergegeben hast. Seht das wirklich als Brücke – als Brücke, denn nur im gemeinsamen Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern können flexible Arbeitszeiten diskutiert oder auch eingeführt werden. Ansonsten ist es wieder ein großer Etikettenschwindel und ihr haltet wieder nicht ein, was ihr vor der Wahl angekündigt habt. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

19.21

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Muchitsch

Kolleginnen und Kollegen

betreffend keine Verschlechterungen bei der Arbeitszeit für ArbeitnehmerInnen

Schon jetzt können Beschäftigte in bestimmten Fällen 12 Stunden arbeiten. Etwa bei erhöhtem Arbeitsbedarf, das heißt in Zeiten von Auftragsspitzen, bei Tätigkeiten mit einem erheblichen und regelmäßigen Anteil an Arbeitsbereitschaft (z.B. Wachpersonal) oder bei Schichtarbeit. Das heißt, heute gibt es den 12 Stunden-Tag nur in Ausnahme­fällen, künftig soll die Höchstarbeitszeit generell ausgeweitet werden.

Die derzeit geltende Regelung des § 7 Abs. 4 Arbeitszeitgesetz besagt, dass Unter­nehmen die Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden erhöhen können, wenn sich der Arbeits­bedarf in Zeiten von Auftragsspitzen erhöht und sonst ein schwerer wirtschaftlicher Schaden für das Unternehmen droht. Das Unternehmen muss die Kollektivvertrags­parteien und das Arbeitsinspektorat über die Betriebsvereinbarung informieren. Die ma­ximale Dauer ist begrenzt. Besteht kein Betriebsrat, müssen bis zu zwei Fachgutachten die arbeitsmedizinische Unbedenklichkeit dieser Maßnahmen bestätigen.

Bislang brauchen daher die gängigen Ausnahmen bei der täglichen Höchstarbeitszeit (wie Schichtarbeit oder bei Arbeitsbereitschaft) kollektivvertragliche Regelungen oder Er­mächtigungen, also die Zustimmung der Gewerkschaft. Und das ist entscheidend: Denn die Gewerkschaft wird einer kollektivvertraglichen Regelung für den 12 Stunden-Tag oder einer kollektivvertraglichen Ermächtigung für Betriebsvereinbarungen nur zustimmen, wenn dies auch mit positiven Maßnahmen für die ArbeitnehmerInnen einher geht: Zum Beispiel mehr dienstfreie Wochenenden im Schichtbetrieb – und diese Änderungen wür­den dann für die Beschäftigten der gesamten Branche gelten.

Genau das will Schwarz-Blau verhindern: Geht es nach dieser Regierung, sollen Ver­einbarungen zum 12 Stunden-Tag nur mehr auf betrieblicher Ebene oder mit jedem Ar­beitnehmer einzeln ausgehandelt werden. Dann gibt es keine branchenweiten Ver­handlungen und auch keine Gegenleistungen mehr. Starke Betriebsräte können viel­leicht das Niveau des Kollektivvertrags halten, unter massivem Druck stehende Be­triebsräte werden aber schlechtere Ergebnisse erzielen. ArbeitnehmerInnen ohne Be­triebsrat werden in der Praxis wohl überhaupt keine Gegenforderungen durchsetzen kön­nen.

Arbeiterkammer und Gewerkschaft befürchten mit Recht, dass die Verlagerung auf die betriebliche Ebene Schule machen könnte. Und das wird die ArbeitnehmerInnen viel Verhandlungsmacht, Freizeit und Geld kosten. Dazu kommt ein drohender Wirrwarr: Unterschiedliche Regelungen in Betrieben und Einzelverträgen werden das Arbeitszeit­recht völlig unüberschaubar machen.

Schwarz-Blau behauptet, dass die generelle 60 Stunden-Woche mehr Freizeit am Stück mit sich bringen würde. Doch in Wahrheit bringt die Neuregelung nur Verschlech­terungen für ArbeitnehmerInnen.

Derzeit gilt: Wenn regelmäßig an nur vier Tagen pro Woche gearbeitet wird, kann per Betriebsvereinbarung eine Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden verein­bart werden. Da 12 Stunden arbeiten am Stück als besondere Belastung gilt, ist sie an die 4-Tage-Woche als Ausgleich dafür geknüpft. Wird die tägliche Höchstarbeitszeit aber generell und ohne Einschränkungen ausgeweitet, fallen auch verpflichtende Ausgleichs­maßnahmen wie die 4-Tage-Woche weg.

Wenn die Wirtschaft den 12 Stunden-Tag fordert, geht es ihr in den allermeisten Fällen um die Zuschläge für Überstunden. Denn die gesetzlichen Möglichkeiten, länger zu ar­beiten, gibt es schon jetzt, sie sind aber an Gegenleistungen, an Bedingungen und Schutzregelungen gebunden. Die generelle Anhebung der Höchstarbeitszeiten bringt für Unternehmen nur den Vorteil, dass Gegenleistungen und Ausgleichsmaßnahmen für Arbeitnehmer wegfallen.

Entscheidend für die Zuschläge wird auch sein, ob sich bei den Durchrechnungsmo­dellen etwas ändert. Diese ermöglichen schon jetzt, dass die Arbeitszeit je nach Bedarf flexibel verteilt werden kann, ohne dass Überstunden anfallen: So kann eine Ange­stellte im Handel in einer Woche 44 Stunden arbeiten, wenn sie in der nächsten Woche nur 33 Stunden im Geschäft steht. Solange im Schnitt 38,5 Stunden nicht überschritten werden, fallen keine Überstundezuschläge an. Im Handel beträgt der Durchrechnungs­zeitraum derzeit maximal ein Jahr.

Und hier können bei der Gesetzesänderung noch böse Überraschungen auf uns zu­kommen. Dabei wird sich zeigen, ob nicht entgegen der bisherigen Ankündigungen, Änderungen bei den bestehenden „Durchrechnungsmodellen“ vorgenommen werden. So können Überstundenzuschläge entfallen, ohne dass die gesetzlichen Regelungen zur Bezahlung von Überstunden verändert werden müssten.

Das Arbeitszeitrecht schützt die ArbeitnehmerInnen vor unternehmerischer Willkür. Es verhindert, dass sich Einzelne schinden und ihre Gesundheit gefährden. Das ist heute wichtiger denn je. Aktuelle Studien zeigen die negativen Auswirkungen überlanger Arbeitszeiten: Burn Out steigt in Folge regelmäßiger Überstunden rapide an, wie erst im Sommer eine Studie im Auftrag des Sozialministeriums gezeigt hat. So sind 8 Pro­zent von Burn Out betroffen und weitere 36 Prozent sind zumindest in einem Über­gangsstadium dorthin. Dass dies Folgen einer immer schneller werdenden Arbeitswelt und auch des Drucks der Dauererreichbarkeit sind, liegt auf der Hand.

Mehr noch: Die Gefahr, nach 12 Stunden Arbeit am Heimweg einen Unfall zu haben, ist doppelt so hoch wie nach 8 Stunden. Aus einem 12 Stunden-Tag wird auch sehr schnell ein 15, 16 Stunden-Tag, wenn man nämlich als PendlerIn auch noch die Weg­zeiten zum und vom Arbeitsplatz dazurechnet.

Auch die Leistungsfähigkeit sinkt bei längeren Arbeitszeiten rapide, wie internationale Studien belegen.

Von der Familienfeindlichkeit dieses Vorschlages ganz zu schweigen: Berufstätige El­tern sind jetzt schon häufig an ihren Belastungsgrenzen mit den täglichen Herausfor­derungen zwischen Beruf und Betreuungspflichten. Tatsächlich sind in den meisten Re­gionen Österreichs die Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen gar nicht auf 12 Stunden-Tage der Eltern ausgerichtet. Dann ist es schnell vorbei mit der Verein­barkeit. Überhaupt unzumutbar ist dieser lebensfremde Vorschlag für AlleinerzieherIn­nen. „Wie soll denn das gehen, wenn es keine zweite Betreuungsperson gibt? Soll das Kind dann im Kindergarten übernachten?

Diese Maßnahme ist ein Geschäft zulasten der ArbeitnehmerInnen, bei dem die Arbeit­geberInnen die Bedingungen diktieren. Mit diesen schwarz-blauen Plänen werden die Machtverhältnisse zugunsten der ArbeitgeberInnen verschoben.

Die Arbeitswelt und die Bedürfnisse der Menschen verändern sich, auch die der Ar­beitgeberInnen. Aber es kann nicht sein, dass einseitig Vereinbarungen getroffen wer­den, bei denen nur die ArbeitgeberInnen profitieren, denn das Kapital der Unterneh­men sind ihre MitarbeiterInnen.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Höchstarbeitszeit auf dem derzeitigen Ni­veau zu belassen und nicht generell auf 12 Stunden/Tag und 60 Stunden/Woche aus­zuweiten. Die Vornahme von Arbeitszeitflexibilisierungen darf nur in einem ausgewoge­nen Verhältnis zwischen Interessen der ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen er­folgen.“

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher mit in Verhandlung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim größten Verständnis dafür, dass na­türlich eine Regierungserklärung auch eine sehr emotionale Debatte mit sich bringt, würde ich Sie wirklich ersuchen, die Würde des Hauses nicht mit einer Ausdrucksweise zu gefährden, die wir alle auch so nicht wollen. Herr Abgeordneter Muchitsch, ich wer­de Ihnen keinen Ordnungsruf erteilen, aber ich ersuche alle Rednerinnen und Redner, darauf wirklich Bedacht zu nehmen. (Abg. Schimanek: Das heißt, wir dürfen in Zukunft auch „Schweinerei“ sagen!)

*****

Ich erteile als Nächstem Herrn Abgeordnetem Mag. Roman Haider das Wort. – Bitte, Herr Abgeordneter.