22.17

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren der Bundesregierung! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ein ähn­liches Schicksal wie der ehemalige Nationalratspräsident Kopf: Ich habe mich jetzt auch etwas umorientiert, ich darf mich aber trotzdem bei Herrn Deimek für das Lob be­treffend die Übergabe bedanken. Die Verkehrspolitik macht mir auch gar nicht so viel Sorgen. Ich widme mich jetzt aber mehr der Europapolitik, und da, muss ich sagen, mache ich mir schon welche, nachdem ich Ihr gemeinsames Programm durchgeschaut und studiert habe. Auch diese Aussprache hier hat es nicht wirklich besser gemacht, sage ich Ihnen jetzt ganz offen. (Zwischenruf des Abg. Rupprechter.)

Mich hätte zum Beispiel interessiert, was der Verkehrsminister über europäische Ver­kehrspolitik zu sagen gehabt hätte, mich hätte interessiert, ob die Frau Wirtschaftsmi­nisterin etwas über europäische Wirtschaftspolitik hätte sagen können, der Finanzmi­nister etwas über Finanzpolitik. (Abg. Neubauer: Da ist heute keine Zeit dafür!) Das Schweigen der anderen Regierungsmitglieder, geschätzte Damen und Herren, ist mei­nes Erachtens kein guter Stil für diese erste Sitzung und eigentlich nicht akzeptabel. Ich bin nicht wirklich zufrieden, wie das bis jetzt hier abgelaufen ist, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe überhaupt das Gefühl – jetzt ist Herr Kurz zur Abwechslung nicht da, was aber eh schon Standard ist (Rufe bei der ÖVP: Na, na, na!) –, dass sich Europapolitik bei Herrn Kurz darauf beschränkt, in die Schlagzeilen zu kommen, wenn es passt, um gute Bilder zu erzeugen, aber dieser Kampf, dieser stetige Kampf um das Bestehen und das Weiterentwickeln der Europäischen Union, der fehlt mir bei ihm und der fehlt mir bei Ihnen, geschätzte Damen und Herren, der ist aber gerade jetzt unbedingt not­wendig! Wenn wir nicht um Europa kämpfen, wird sich dieses Europa nicht zum Bes­seren wenden – und das tun Sie nicht, geschätzte Damen und Herren! Ihnen geht es um Schlagzeilen und Bilder, und damit hat es sich! (Beifall bei der SPÖ.)

Geschätzte Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei, dazu kommt, dass Ihr Koalitionspartner, Ihr Regierungspartner, Ihr neuer politischer Verbündeter, die Freiheitlichen, alles, was Sie in dieses Regierungsprogramm hineingeschrieben haben, eigentlich ad absurdum führt. (Zwischenruf des Abg. Rupprechter.)

Ich frage Sie: Wie können Sie es als ehemalige Europapartei, als Regierungspartei ei­nes Landes, das im Zentrum Europas steht, mit Ihrem Gewissen vereinbaren, dass Sie mit einer Partei koalieren, die einer Fraktion angehört, die Europa zerstören möchte (Abg. Schimanek: Ajajaj!), die im Bund mit den Le Pens, mit den Wilders und anderen ist?!

Geschätzte Damen und Herren, da kann ich Ihre Europapolitik nicht ernst nehmen – gute Nacht, Europapartei ÖVP! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS. – Abg. Neubauer: Jetzt habe ich schon geglaubt, wir brauchen den Arzt!) – Ich komme eh zu Ihnen, keine Sorge! (Abg. Rosenkranz: Wir nehmen Sie aber nicht!)

Apropos gutes Gewissen: Fast noch mehr erstaunt hat mich eigentlich, was ich sonst noch im Regierungsprogramm gelesen habe. Ich war ganz verwundert, als der Herr Bun­deskanzler in seiner Rede gesagt hat, das Regierungsprogramm ist die Summe der Wahlversprechen. – Ja, das gilt schon, das gilt für die ÖVP. Das, was sie den Sponso­ren ihres Wahlkampfes versprochen hat, das ist passiert. Geschätzte Damen und Her­ren, Ceta wird sang- und klanglos umgesetzt (Zwischenrufe der Abgeordneten Rupp­rechter und Winzig), ausländische Bevormundung wird sang- und klanglos akzeptiert, Schiedsgerichte, Privattribunale werden sang- und klanglos akzeptiert.

Ich muss mich jetzt bei den Freiheitlichen entschuldigen, geschätzte Damen und Her­ren, ich habe Ihnen in meiner letzten Rede vorgeworfen, dass Sie, bevor Sie noch in der Regierung waren, zweimal umgefallen sind. Ich muss mich wirklich entschuldigen, denn es ist jetzt mit Ceta schon das dritte Mal passiert, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Noll.)

Deshalb: Wenn Sie noch einen Sinn für Ihre Wahlversprechen haben, wenn Sie noch an diejenigen, die Sie gewählt haben, denken, wenn Sie diejenigen nicht verraten wol­len, dann stimmen Sie bei diesem Antrag, den wir hier stellen werden, mit, geschätzte Damen und Herren von den Freiheitlichen, denn sonst werden Ihnen die Wähler in Massen davonlaufen! Das haben Sie eh schon einmal erlebt, dass das geschehen ist. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Bißmann.)

Ich möchte folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Nein zu Sonderklagerechten für Konzerne - Mitbestimmung des Parlaments sichern“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und die Bundesministerin für Wirtschaft, wird aufgefordert, ein endgültiges Inkrafttreten von CETA zu verhindern, so lange das Abkommen Bestimmungen über Sonderklagerechte für Konzerne enthält.

Der Bundeskanzler und die Bundesministerin für Wirtschaft haben im Rat der EU au­ßerdem sicherzustellen, dass alle zukünftigen Handelsabkommen der Europäischen Uni­on mit Drittstaaten nur mit Zustimmung der nationalen Parlamente ratifiziert werden dür­fen.“

*****

(Zwischenruf des Abg. Neubauer.) – Sie könnten sich vielleicht an das halten, was Ihre Kollegin vorher bezüglich Zwischenrufen gesagt hat!

Geschätzte Damen und Herren, herzlichen Dank!

22.23

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Genossinnen und Genossen

betreffend Nein zu Sonderklagerechten für Konzerne - Mitbestimmung des Parlaments sichern

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 2) Erklärung der Bundesregierung in der 5. Sitzung des Nationalrates.

Begründung

Die bedingungslose Zustimmung von ÖVP und FPÖ zu CETA, die im Regierungspro­gramm verankert ist, zeigt: Schwarz-Blau will österreichische Interessen den Konzer­nen opfern. Dies ist das Gegenteil von dem, was die FPÖ ihren WählerInnen verspro­chen hat.

Der nunmehrige Vizekanzler Strache erklärte am 20. September 2017: „Sogenannte ‚un­abhängige‘ Schiedsgerichte, vor denen Konzerne ganze Staaten verklagen können, sind in dieser Form nicht zu akzeptieren! Es ist völlig unklar, wer diese Urteile fällt und wem diese ‚Richter‘ verpflichtet sind. Wir aber wollen unseren österreichischen Rechts­staat, der ein Pfeiler der Demokratie ist, schützen und bewahren. Daher darf eine Ent­scheidung darüber nur mit Volksabstimmung erfolgen.“ (https://www.fpoe.at/artikel/hc-strache-mehr-direkte-demokratie-und-selbstbestimmung-statt-ceta-und-ttip-diktate/)).

Noch drei Tage vor der Wahl, am 12.10.2017, stimmte die FPÖ einem Antrag der SPÖ zu, der ein endgültiges Inkrafttreten von CETA verhindern wollte, so lange das Abkom­men Bestimmungen über Sonderklagerechte für Konzerne enthält.

Auf Facebook sprach der nunmehrige Vizekanzler für eine Volksabstimmung zu CETA sogar eine Garantieerklärung der FPÖ aus und ließ die Forderung nach einer solchen auch in ganz Österreich plakatieren.

Jetzt nach der Wahl ist von alledem nichts mehr übrig. Im Gegenteil enthält das schwarz-blaue Regierungsprogramm die bedingungslose Zustimmung zu CETA. Zu Sonderkla­gerechten für Konzernen wird einfach geschwiegen.

Derzeit verhandelt die EU Kommission rund 20 weitere Abkommen. Diese Verhandlun­gen befinden sich in unterschiedlichen Stadien. Alle diese Abkommen enthalten aber Bestimmungen zum Konzernschutz. Jedes einzelne dieser Abkommen greift tief in die Regelungshoheit des Nationalrates ein. Die zuständige Wirtschaftsministerin sollte da­her unbedingt sicherstellen, dass solche Abkommen nur nach ausdrücklicher Zustim­mung des Nationalrates ratifiziert werden können.

Die Gefahr von Sonderklagerechten bleibt gleichzeitig evident: zuletzt haben sich über 100 führende RechtsprofessorInnen in einem flammenden Appell an die europäischen Regierungen gewandt, diese Sonderklagerechte zu verhindern. Sie würden dem euro­päischen Recht widersprechen und unser Justizsystem aushöhlen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und die Bundesministerin für Wirtschaft, wird aufgefordert, ein endgültiges Inkrafttreten von CETA zu verhindern, so lange das Abkommen Bestimmungen über Sonderklagerechte für Konzerne enthält.

Der Bundeskanzler und die Bundesministerin für Wirtschaft haben im Rat der EU außerdem sicherzustellen, dass alle zukünftigen Handelsabkommen der Europäischen Union mit Drittstaaten nur mit Zustimmung der nationalen Parlamente ratifiziert werden dürfen.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unter­stützt und steht daher in Verhandlung.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Nationalrätin Carmen Schimanek. Ich erteile ihr das Wort.