11.15

Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M (PILZ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Mitglieder der Bundesregierung! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! „Die Idee der großen Gemeinschaft verliert an Kraft, die Menschen grenzen sich in immer klei­nere Gruppen ab“, denn jede dieser Gruppen will für sich allein „eine Insel sein“ – so kommentiert „Die Zeit“ das Ergebnis der kürzlich erschienenen Arena Analyse.

Der soziale Zusammenhalt in Europa nimmt ab. Das merkt man am besten, wenn man sich die Wahlergebnisse der europäischen Staaten der letzten Jahre anschaut. Es wur­den in der Europäischen Union vermehrt Regierungen gewählt, die im Spektrum von Mitte-rechts bis rechtsaußen angesiedelt sind (Ruf bei der ÖVP: Das wird einen Grund haben! – Abg. Steger: Vielleicht haben Sie die falsche Politik betrieben!); man denke an die Regierung in Polen oder Ungarn oder den kürzlich erfolgten Rechtsruck bei der Abgeordnetenwahl in der Tschechischen Republik. Wir dürfen aber auch nicht verges­sen, dass der Front National in Frankreich beim zweiten Wahlgang der Präsident­schaftswahl über ein Drittel der Stimmen erhielt (Abg. Gudenus: Das ist Demokratie, oder?) und die AfD die drittstärkste Partei in Deutschland wurde. (Abg. Haider: Ist auch gut so!) Unser Österreich ist das prominenteste und aktuellste Beispiel – und es gibt unzählige weitere. (Abg. Neubauer: Sogar Sie sind herinnen! – Abg. Gudenus: Die Liste Pilz wurde auch gewählt!)

Was bedeutet das nun für Europa? – Wir erkennen in all den erwähnten Regierungen und Parteien klare Tendenzen zu Nationalismus, Protektionismus und Abschottung. Während wir Donald Trumps Mauerpläne noch vor einiger Zeit belächelt haben, sagten einige, wir Europäer feiern, wenn Mauern eingerissen werden, wir feiern, wenn Brü­cken gebaut werden, doch wenn man sich die letzten fünf Jahre anschaut, sieht man, es ist gar nicht so. Es wurden in den letzten fünf Jahren 12 000 Kilometer Stacheldraht­barrieren neu aufgestellt – dies aber nicht nur an den EU-Außengrenzen, sondern auch innerhalb der Europäischen Union, zwischen Bulgarien und Griechenland und für kurze Zeit sogar zwischen Slowenien und Österreich. – So sieht kein gesamtheitlicher Lö­sungsweg für eine globale Migrationskrise aus!

Die Herausforderungen, denen sich die EU stellen muss, können national von einzel­nen Mitgliedstaaten nicht gelöst werden. (Abg. Martin Graf: Wie zum Beispiel?) Auf globale Probleme gibt es nur globale Antworten, Herr Minister. 2015 haben wir eine beispiellose Fluchtbewegung erlebt. Europa war überfordert, weil es nicht zusammen­spielte. (Abg. Martin Graf: Das sind Worthülsen!) Als Reaktion wurden Grenzen in­nerhalb Europas hochgezogen, und in weiterer Folge wurde mit menschenverach­tenden, sklaventreibenden Regimen zusammengearbeitet – Stichwort: Libyen. Damit ist das Flüchtlingsthema aber noch lange nicht vom Tisch. Studien zeigen auf, dass Fluchtbewegungen in den kommenden Jahren zunehmen werden, und zwar weltweit zunehmen werden. Es gilt daher, Herr Minister, nachhaltig gemeinsam einen europäi­schen Weg zu gehen. (Abg. Gudenus: Das hat er eh!)

Es geht auch um die globale Wirtschaft. In einer globalen Wirtschaft braucht es eine europäische Steuerpolitik. Nationale Instrumente reichen nicht aus, wenn Großkonzer­ne europäische Staaten gegeneinander ausspielen. Während die kleine Buchhandlung brav ihre Steuern zahlt, ist sie gegenüber einem internationalen Großkonzern, der sei­ne Steuern durch Tricks minimiert, nicht mehr wettbewerbsfähig. Es gehen uns darüber hinaus Milliarden an Steuereinnahmen verloren.

Es gibt viele weitere europäische Herausforderungen, über die wir dringend sprechen müssen, nämlich auf europäischer Ebene sprechen müssen. Dazu gehören der Klima­wandel, die Stärkung der Währungsunion, die gesamte Finanzpolitik. Diesen Heraus­forderungen, Herr Minister, können wir uns nur gemeinsam stellen.

Um zum Beispiel die wirtschaftsbedingte Migration in den Griff zu bekommen und den Menschen, die vor Krieg und politischer Verfolgung flüchten, schnell europäischen Schutz zu gewähren, braucht es klare europäische Spielregeln, eine gemeinsame eu­ropäische Asylpolitik und vor allem eine gemeinsame europäische Asylbehörde.

Gerechte Steuerpolitik kann nur mit einer europäischen Steuerbehörde bewerkstelligt werden. Die Steuertricks der internationalen Großkonzerne können nur dann vermie­den werden, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen und der europäischen Steu­erbehörde die notwendigen Kompetenzen geben. Innereuropäische Steueroasen wie in Irland, auf Malta und Zypern darf es in Europa nicht geben. (Beifall bei Liste Pilz und SPÖ. – Präsidentin Bures gibt das Glockenzeichen.)

Wir brauchen ein starkes Europa, um für die Zukunft vorbereitet zu sein. Der proeuro­päische Kurs der Regierung darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, Herr Minister. Österreich als eines der wohlhabendsten Länder der EU muss mehr eine Vorreiterrolle für ein gemeinsames, starkes Europa übernehmen. Die nächste Ratspräsidentschaft braucht daher eine klare und aktivere proeuropäische Rolle.

Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete, Sie müssen bitte zum Schlusssatz kom­men!

Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M (fortsetzend): Ein letzter Satz: Nationalismus, Pa­triotismus und Abschottung haben uns noch nie weit gebracht, daher wollen wir keine abdriftende Insel in Europa sein. – Vielen Dank. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Ab­geordneten der SPÖ.)

11.21

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Martin Engelberg. – Bitte.