13.18

Abgeordneter Mag. Christian Kern (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Sehr geehrte Abgeordnete des Hohen Hauses! Wir wissen, dass uns die österreichische Bundesverfassung den Schutz grundsätzlicher Freiheitsrechte garantiert. Die Polizei und die Sicherheitsbehörden haben dabei eine besonders prominente Aufgabe; ihnen kommt die wichtige Aufgabe zu, diese Grund- und Freiheitsrechte abzusichern. Die Menschen in unserem Land sind auf funktionierende Institutionen angewiesen, die ihre Sicherheit garantieren, und der Sicherheitsapparat ist umgekehrt wiederum darauf angewiesen, dass ihm die Menschen in unserem Land vertrauen.

Sehr geehrter Herr Bundesminister, Sie haben keine 100 Tage im Amt dafür ge­braucht, dass dieses Vertrauen nachhaltig in Zweifel gezogen wird. Es hat keine 100 Tage ge­dauert, um Zweifel zu nähren, ob Sie imstande sind, dieses Vertrauen der öster­reichischen Bevölkerung herbeizuführen – beziehungsweise ob Sie willens sind. Was wir hier erleben, ist ein politisches Spiel auf dem Rücken der Sicherheit, ein Spiel, das unsere Bürger und Bürgerinnen und die Polizisten und Polizistinnen, die jeden Tag ihre Knochen hinhalten, so nicht verdient haben. (Beifall bei SPÖ und Liste Pilz.)

Sie haben in den vergangenen Wochen eine Vorgehensweise gewählt, die dazu geführt hat, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung regelrecht lahmgelegt worden ist, und noch schlimmer: Das hat auch dazu geführt, dass das internationale Ansehen unserer Sicherheitsinstitutionen beschädigt wurde. Das ist keine Kleinigkeit, denn es geht darum, dass die Bekämpfung des Terrorismus mittlerweile eine grenzüberschreitende Aufgabe ist; dementsprechend bedeutet dieser internationale Vertrauensverlust einen realen Sicherheitsverlust für die Österreicher und Österreicherinnen.

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Tagen in Form unterschiedlicher Per­sonen mehrfach versucht, für Aufklärung zu sorgen. Ich und viele Staatsbürger und Staatsbürgerinnen haben den Eindruck bekommen, dass nach jedem dieser Auftritte mehr Fragen zu beantworten waren als vorher, dass man sich in Widersprüche ver­wickelt hat, dass Informationen in Salamitaktikform gegeben worden sind und jeden­falls kein Beitrag zur Aufklärung geleistet worden ist. Ich verweise auf den Ge­ne­ralsekretär des Justizministeriums, der erst gestern wiederholt hat, dass die Verhält­nismäßigkeit der Hausdurchsuchung seines Erachtens in Zweifel zu ziehen ist. Wenn man sich diesen Vorgang kurz vor Augen führt, dann kann man diese Zweifel des Generalsekretärs im Justizministerium durchaus nachvollziehen.

Diese Hausdurchsuchung wurde eingeleitet, indem man sich um halb elf am Vorabend mündlich einen Durchsuchungsbefehl organisiert hat. Bundesminister Moser, der Justizminister, hat erklärt: Das war notwendig, weil Gefahr im Verzug war! Wenige Stunden später haben sich die Fakten folgendermaßen dargestellt: Es war schon bekannt, dass seit Oktober in den inkriminierten Fällen ermittelt worden ist, und dem Chef des BVT war seit spätestens 2. Februar klar, dass bereits ermittelt wurde – das heißt, die Begründung Gefahr im Verzug ist, mit Verlaub, begrenzt glaubwürdig. Wie antwortet der Justizminister, damit konfrontiert, wenige Stunden später? – Er sagt, es bestand die Gefahr einer Datenfernlöschung. Selbst ohne allzu große technische Expertise drängt sich die Frage auf, warum man dem potenziellen Fernlöscher nicht einfach die Administratorrechte entzogen hat.

Da gibt es eine Vielzahl von kleineren und größeren Fragen, durch die sich ein ganz anderer Umstand offenbart: Offenbar hat man deshalb nicht das gelindeste Mittel gewählt, weil es auch darum gegangen ist, maximales Aufsehen zu erregen, eine maximale Einschüchterung bei den ermittelnden Beamten zu gewährleisten. Das Bundesministerium für Inneres hat sich mit dieser Situation offenbar selbst nicht ganz wohlgefühlt. Sie haben dann in weiterer Folge offenbar realisiert, wie denn das alles auf die Bürger und Bürgerinnen wirken wird; dann hat es geheißen, man habe ja nur einen Konnex mit den vier Zeugen herbeigeführt, einen Konnex mit der Staats­anwaltschaft. Bemerkenswerterweise hat das Justizministerium dann darauf hinge­wiesen: Nein, es hat sich um eine handfeste Anzeige gehandelt! Wieder einen Tag später haben wir festgestellt, dass diese Anzeige erfolgt ist, indem der Generalsekretär des Innenministeriums und Mitarbeiter Ihres Kabinetts, Herr Minister Kickl, diese Zeugen der Staatsanwaltschaft zugeführt hat.

Die Frage, die sich aufdrängt, ist: Warum hat man das nicht gleich so dargestellt, nicht gleich die Fakten auf den Tisch gelegt, sondern das erst dann zugegeben, als es nicht mehr vermeidbar war?

Diese Geschichte hat noch einen weiteren bemerkenswerten Seitenaspekt. Die Zeu­gen sind nicht bekannt, sie haben das Recht auf Anonymität gemäß § 162 der Straf­gesetzordnung in Anspruch genommen. (Abg. Kassegger: „Strafgesetzordnung“?) Dieser Paragraf regelt, dass Menschen diesen Schutz bekommen sollen, wenn sie Angst um Leib und Leben haben. Die Frage, die sich dann stellt, ist natürlich: Was bedeutet das eigentlich, wegen Datenlöschungen, die erfolgt sind beziehungsweise nicht erfolgt sind, hat jemand Angst um Leib und Leben, wegen drei Passrohlingen, die nach Südkorea gegangen sind, hat jemand Angst um Leib und Leben? – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben da tatsächlich Aufklärungsbedarf, Fragwürdigkeiten gibt es in diesem Zusammenhang sonder Zahl. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Einer der interessantesten Punkte – auch das wurde bereits öffentlich diskutiert – ist die Frage, von wem und wie diese Hausdurchsuchungen durchgeführt worden sind. Man hat sich entschieden, die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität heranzuziehen. Bemerkenswert ist die Begründung, warum gerade sie, denn im Umkehrschluss heißt das, man konnte dem Bundesamt zur Korruptionsbekämpfung nicht vertrauen, man konnte der Cobra nicht vertrauen, weil dort ein gestandener ÖVP-Mann der Chef ist. Das heißt, da passiert Folgendes: Sie entziehen dem halben Sicherheitsapparat, dem BVT, der Cobra und dem Bundesamt zur Korruptions­be­kämpfung einfach so das Vertrauen.

Sehr geehrter Herr Minister, ich frage Sie allen Ernstes: Wenn Sie schon diesen Einheiten des Sicherheitsapparates nicht vertrauen, wie sollen denn unsere Bürger und Bürgerinnen noch Vertrauen in diese Institutionen haben? (Beifall bei der SPÖ.)

Es gibt noch einen Aspekt, den ich durchaus als bedrückend einreihen würde: Der Chef der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität ist ein bekennender FPÖ-Gewerkschafter und -Politiker. Gestern hat sich herausgestellt, welche politische Gesinnung dieser Mann vertritt, welche Inhalte er im Internet postet und über Face­book weiterverbreitet. (Abg. Gudenus: Gesinnungs...!) Das Bemerkenswerte ist, wenn man sich das anschaut, ich sage es Ihnen ehrlich, da dreht es einem den Magen um. (Abg. Gudenus: Bei Ihren Ausführungen auch!) Das ist antisemitischer Mist, das ist rassistische Hetze, das ist sogar Material, das die Reichsbürger verbreitet haben. Der Herr Präsident, Herr Sobotka, weiß, wie oft wir im Ministerrat gesessen sind und uns überlegt haben, wie wir diese Menschen, die die Staatsordnung gefährden, in den Griff kriegen – und ein Spitzenrepräsentant der Polizei postet und verbreitet diese Inhalte weiter und wird dann auch noch beauftragt, diese Hausdurchsuchungen durchzu­führen. – Sehr geehrter Herr Minister, versuchen Sie einmal, das einem Staatsbürger oder einer Staatsbürgerin zu erklären! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz.)

Was hier passiert, ist Folgendes: Wir werden soeben Zeugen eines Machtkampfes, der auf offener Bühne zwischen ÖVP- und FPÖ-nahen Seilschaften im Innenministerium geführt wird. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Wir erleben ein Pingpongspiel zwischen dem Justizministerium und dem Innenministerium, wenn es darum geht, die Verantwortung dem jeweils anderen zuzuschieben. Die Verlierer bei all diesen Vorgängen sind die Polizisten und Polizistinnen, die täglich ihre Arbeit leisten, sind die Menschen in unserem Land, ist die innere Sicherheit.

Mein Punkt ist: Ich werfe Ihnen nicht vorrangig vor, dass es da um eine politische Umfärbung geht (Ruf bei der FPÖ: Nein!), nein, ich werfe Ihnen vor, dass es da zu einer nachhaltigen Beschädigung des Sicherheitsapparats gekommen ist. Das ist wesentlich schlimmer als bloß Umfärbung. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn man sich diesen Sachverhalt genau ansieht, dann sieht man noch einen zweiten problematischen Handlungsstrang. Wir alle wissen, dass das BVT die Aufgabe hatte, Extremismus zu bekämpfen – Extremismus von allen Seiten, unter anderem auch den Rechtsextremismus. In dieser Zuständigkeit hat das BVT zum Beispiel den Kongress der Verteidiger Europas beobachtet, hat zum Beispiel Internetplattformen wie unzen­suriert.at beobachtet; und da gibt es einen interessanten Konnex, da gibt es in der Tat einen Konnex, und zwar jenen, dass Sie, Herr Bundesminister, im vergangenen Jahr bei diesem Kongress aufgetreten sind, der wegen Extremismusverdachts unter Beobachtung des BVT gestanden ist. Es gibt auch den Zusammenhang, dass der Chefredakteur von unzensuriert.at mittlerweile bei Ihnen im Kabinett wirkt – wieder jemand, der ganz offenbar wegen verfassungsfeindlicher Umtriebe beobachtet wurde. Das Interessante ist natürlich die Frage, was in diesen Berichten drinnen steht, was denn die Observierungsergebnisse sind und wer da möglicherweise noch aller ver­wickelt ist.

Die Leiterin des Extremismusreferats wurde als Zeugin in diesem Prozess geführt, und es hat den Anschein, dass eine Reihe von Daten beschlagnahmt worden sind, die ursächlich mit ihrer Arbeit zu tun haben. Interessanterweise hat es am Anfang dieser Diskussion geheißen, dass gar keine Daten beschlagnahmt worden sind, seitens des Innenministeriums. Dann hat es geheißen: Na ja, die Beschlagnahme der Daten war ja nicht unser Ziel!, und dann trat der Ex-Chefredakteur von unzensuriert.at, jetzt Ihr Kabinettsmitarbeiter, auf den Plan und behauptete, das seien ja alles Fake News – nur um festzustellen, dass selbstverständlich Daten mitgenommen worden sind (Abg. Rosenkranz: Vom BMI?), und zwar nicht ein paar Blätter Papier, sondern Handys, PCs, Dutzende DVDs, CDs, Festplatten und Ähnliches.

Die spannende Frage, die uns jetzt alle bewegt, ist: Was passiert mit diesen Daten und wer kann gewährleisten, dass es da nicht noch zu einem Missbrauch kommt?

In jedem Fall ist der Effekt gelungen, dass das ein mehr als einschüchterndes Vor­gehen war, das letztendlich die unter Druck setzt, die den Rechtsextremismus bekämpfen sollen. Es ist ein Signal an die rechte Szene, das dieser zweifellos wieder jede Menge Selbstbewusstsein geben kann. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Kolba. – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Das Bedauerliche ist, Herr Minister, dass damit nicht nur die Sicherheit gefährdet wird, sondern Sie auch ein Signal geben, dass Polizisten eingeschüchtert werden, die entschlossen gegen Rechtsextremismus vorgehen.

Über all dem steht natürlich die Verantwortungsfrage. Wir wissen alle ganz genau, dass das Innenministerium seit 18 Jahren von einem ÖVP-Minister geführt worden ist, und als es um das Übernehmen von Verantwortung gegangen ist, haben wir erlebt, dass – wenig überraschend – wieder nach dem üblichen Muster agiert worden ist: Der Bundeskanzler war für gar nichts zuständig, hat sich als unzuständig erklärt, und der Herr Vizekanzler hat via Facebook gepostet, dass es da um einen Staat im Staat geht, also, wenn man so will, noch Öl ins Feuer gegossen.

Interessant wird das, weil Sie beide sich im Bundesministeriengesetz eine Berichtslinie direkt zu den Geheimdiensten haben einräumen lassen. Die Frage, die daraus resultiert, ist: Wie haben Sie eigentlich die Verantwortung wahrgenommen? Was haben Sie eigentlich in den letzten Wochen und Tagen getan, um diese Zustände zu verhindern und den Österreichern die notwendige Sicherheit zu geben?

Ein Kapitän, das haben wir gelernt, geht als Letzter von der Brücke, und er tut das, noch bevor er einen Tweet abgesetzt hat, um sich ins Beiboot zu retten. (Abg. Gudenus: Sagt der abgewählte Bundeskanzler! – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Verant­wortung zu übernehmen, in einer Familie zum Beispiel, heißt, Konsequenzen zu ziehen und dafür zu sorgen, dass Missstände abgestellt werden, Probleme behoben werden. (Abg. Neubauer: Silberstein!) Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Regie­rungsbank, wenn Sie das nicht tun werden, dann wird das die Opposition in diesem Haus übernehmen. – Danke. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ sowie Beifall bei Abge­ordneten von NEOS und Liste Pilz. – Abg. Gudenus: Wer ist das?)

13.32

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zur Beantwortung der Anfrage hat sich der Herr Bundesminister für Inneres zu Wort gemeldet. Die Redezeit soll 20 Minuten nicht überschreiten. – Ich erteile ihm das Wort.