16.28

Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (PILZ): Herr Präsident! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Kollege Brückl berichtet live aus Oberösterreich: Die Schuldenbremse funktioniert. – Ja, sie funk­tioniert sehr gut, sie kommt auch bei jeder Familie an, nur leider im negativen Sinne. Wir haben momentan in Oberösterreich die Situation, dass es zu Gruppen­schließun­gen kommt, dass Kinder keine Nachmittagsbetreuung mehr erhalten (Abg. Neubauer: Wissen Sie, was der Soziallandesrat alles getan hat?! Schämen Sie sich!), weil das Land Oberösterreich beschlossen hat, auf die Schuldenbremse zu drücken und diese direkt in jede einzelne Familie hineinzudrücken. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Sie sagen, es ist kein Klassenkampf. – Es ist ein Klassenkampf, es ist einer, aber umverteilt wird von unten nach oben. Das ist das, was aktuell mit dem Familienbonus und mit der aktuellen Familienpolitik passiert. (Abg. Hafenecker: Sie merken sich nicht einmal fünf Jahre, bei welcher Partei Sie sind!) Wenn das untere Einkommensdrittel die Familienentlastung für Sehr-gut-Verdiener, für Manager, und, und, und durch die normalen Konsumsteuern bezahlt, dann ist das sehr wohl ein Klassenkampf, der von Ihnen durchgeführt wird und bei dem viele, viele Menschen, die Geringverdiener sind, sehr stark draufzahlen werden. (Abg. Hafenecker: Das haben Ihre ehemaligen Genos­sen gemacht!)

Zum vorliegenden Antrag der NEOS: Der Gedanke hinter dem vorliegenden Antrag auf Einführung einer Schuldenbremse im Verfassungsrang ist oberflächlich betrachtet auf den ersten Blick ja ganz nett, muss ich einmal sagen. Wenn das Milchmädchen ständig über seine Verhältnisse lebt, mehr Geld ausgibt, als es durch den täglichen Verkauf von Milch einnimmt, dann wird sich die besagte Rechnung irgendwann einmal nicht mehr ausgehen. – Korrekt, ja, das stimmt. Was aber den Staat betrifft, ist das nicht in dieser simplifizierten Form annehmbar und durchführbar.

Die Frage ist, ob wir das Problem zu hoher Staatsausgaben oder zu geringer Staats­einnahmen – denken wir etwa an die steuerschonende Behandlung von superreichen Unternehmern, die hier ihre Steuern nicht abführen, Steuergeschenke an Groß­industrielle (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ), die durch die aktuelle Regierung gemacht werden, KÖSt-Senkung, und, und, und; Milliarden­steuer­geschenke an Großunternehmer – durch ein Zwangsgesetz und eine Schuldenbremse lösen können.

Im Antrag schlagen Sie das Schweizer Modell vor, das entsprechend einem Berech­nungsschlüssel in wirtschaftlich mageren Zeiten kleine Mehrausgaben zulässt und in wirtschaftlichen Aufschwungzeiten Minderausgaben vorsieht, sodass es möglich wäre, Budgetüberschüsse zu generieren, in dieser Art und Weise somit einen Konjunk­tur­zyklus zu bereinigen und ausgeglichen zu wirtschaften.

Alles schön und gut, aber was bedeutet das dann konkret in der tagtäglichen Politik? – Erstens: Wir beschränken völlig den Handlungsspielraum dieses Parlaments, zukünf­tiger Parlamente und zukünftiger Regierungen, ohne aus heutiger Sicht ausreichend abschätzen zu können, welche Herausforderungen auf uns warten werden.

Ein weiterer Punkt: Sie schreiben in der Begründung Ihres Antrages und unterstellen damit bereits in dieser Begründung der Bevölkerung, dass die Bevölkerung im Hier und Jetzt tagtäglich über ihre Verhältnisse leben würde, befeuert durch die Politik der Bundesregierung, wird darin geschrieben, aber dass die Bevölkerung im Hier und Jetzt über ihre Verhältnisse leben würde. – Zeigen Sie mir diese Gruppe! Zeigen Sie mir die Bevölkerungsschicht, die über ihre Verhältnisse lebt! Ich möchte Sie nur an die Dis­kussion erinnern, die wir bezüglich Alleinerzieherinnen und die Unterhaltssicherung führen. Wir hören von der Bundesregierung, es ist kein Geld da. Nun, jetzt schon ist es nicht möglich, die Regressforderungen gegenüber Vätern einzubringen, es kann nicht noch mehr Geld des Staates investiert werden. Und mit einer Schuldenbremse dann schon? Oder wird das dann als Vorwand genommen, weitere Sozialkürzungen durchführen zu können? (Beifall bei der Liste Pilz.)

Wir reden von AlleinerzieherInnen, wir reden von Menschen, die langzeitarbeitsuchend sind, von älteren Personen, die schwer wieder in den Job hineinkommen, wir reden von Teilzeitbeschäftigten, die bereits jetzt schwer über die Runden kommen. Und die­ser Befund geht aber bis tief in die Mittelschicht hinein.

Ich bitte: Schauen wir aus dieser Blase heraus! Zeigen Sie mir diese Menschen, die dieses konkrete Phänomen betreffen soll, dass sie über ihre Verhältnisse leben! 95 Prozent der Menschen in Österreich gehen einer Beschäftigung nach, kümmern sich um ihre Familie, pflegen Angehörige, sind ehrenamtlich in einem Verein engagiert, und, und, und. Von diesen Menschen ist das sicher niemand.

Wenn Sie nun diese Schuldenbremse einführen wollen, wie auch Minister Löger, der jetzt gerade nicht anwesend ist, erwähnt hat, dann werden Sie zukünftigen Regie­rungen, nämlich neoliberalen Regierungen – womöglich gehören Sie einer solchen selbst irgendwann einmal an –, genau jenes Argument liefern, genau in diesen Sozial­bereich hineinzuschneiden. Und Sie werden auch zukünftigen Regierungen, die eine soziale Ausrichtung haben, genau diese Politik durch – und das steht auch in Ihrem Antrag drinnen – private Aufpasserindustrien und masochistisch anmutende Strafdro­hungen aufs Auge drücken.

Also diesen Willen, sich selbst zu bestrafen, verspüre ich nicht. Ich möchte Politiker und Politikerinnen, ich möchte VolksvertreterInnen, die in diesem Haus eine Politik machen, die verantwortungsvoll ist – und das geht auch ohne Schuldenbremse im Verfassungsrang. (Beifall bei der Liste Pilz.)

Was durch diese Schuldenbremse auch nicht erreicht werden kann, ist, die oberen 5 Prozent endlich zu einem gerechteren Beitrag zum Staatswesen zu bewegen. Das ist durch solche Anträge – wie diesen Bremserantrag, muss ich fast sagen – im Grunde nicht möglich, denn böse ist ja am Ende des Tages immer nur der Staat.

Eines sei noch gesagt: Wer Politik in ein Zwangskorsett zwingen will, der hat sich gedanklich schon lange von der Demokratie verabschiedet. Dass Sie annehmen, dass dieses Parlament als Versammlung von VolksvertreterInnen ohnehin nicht in der Lage sei, vernünftige und nachhaltige Politik zu machen, das vonseiten der ÖVP, der FPÖ, der NEOS zu hören, ist wirklich erschütternd. (Abg. Scherak: Aber es ist so!) Ihr Antrag ist schwarz auf weiß die Besachwaltung der Parlamentarier, weil wir nicht in der Lage sind, unsere Politik entsprechend verantwortungsvoll zu betreiben. (Beifall bei der Liste Pilz).

Ich gebe Ihnen natürlich in einem gewissen Punkt recht: Man kann in vielen Momenten fragen und tatsächlich bezweifeln, ob Entscheidungen der Regierung oder der aktu­ellen Mehrheit im Parlament Ausdruck dieser vernünftigen und demokratischen Politik im Sinne der Menschen sind. Darin gebe ich Ihnen schon recht, auch ich zweifle hier oft daran. Genau deshalb lehne ich diese Verankerung der Schuldenbremse ab, möchte aber – wir wollen das und haben deshalb auch einen diesbezüglichen Antrag eingebracht; dieser ist natürlich nicht gleich abzustimmen, sondern es braucht für diesen Antrag eine ordentliche Diskussion im Ausschuss – die Verankerung von sozialer Gerechtigkeit als Staatszielbestimmung. (Beifall bei der Liste Pilz.)

Einen Antrag bezüglich Verfassungsbestimmung, Staatszielbestimmung haben wir des­halb eingebracht, weil wir uns dafür einsetzen wollen, dass es eine umfassende Förderung eines größtmöglichen Maßes an sozialer Gerechtigkeit gibt. Wenn alle Bürgerinnen und Bürger entsprechend ihren Möglichkeiten zum Wohl des Staates beitragen können und entsprechend ihren Bedürfnissen auch am Wohl des Staates teilhaben können, dann ist soziale Gerechtigkeit auch gewährleistet. Und das ist von ungeheurer Wichtigkeit für unser aller Zukunft, da das Staatswesen nicht darauf beruhen darf, dass Wirtschafts- und Bremsfetischismus betrieben werden, sondern dass wir auf dem gemeinsamen Weg niemanden verlieren. Alle Bevölkerungsschichten entsprechend ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen zu beteiligen und so sozialen Frieden als Grundlage und Basis der österreichischen Erfolgsgeschichte zu verankern, das sollte unser Ziel sein.

Ich darf Sie alle schon jetzt um eine wohlwollende Behandlung im Ausschuss bitten. Zeigen wir, dass das österreichische Parlament auch ohne Zwang und ohne Straf­androhung gute Politik machen kann. – Vielen Dank. (Beifall bei der Liste Pilz.)

16.36

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Douglas Hoyos-Trauttmannsdorff. – Bitte.