9.29

Abgeordneter Mag. Dr. Matthias Strolz (NEOS): Herr Präsident! Geschätzte Regie­rungsmitglieder! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ja, diese Woche erfolgt also der Budgetbeschluss: Doppelbudget für heuer und nächstes Jahr. Das heißt, Herr Finanzminister, Sie decken an und für sich mit diesem in Zahlen gegossenen Programm, mit diesem Budget die Hälfte dieser Legislaturperiode ab.

Ich sehe das so wie sämtliche Expertinnen und Experten, wie sämtliche informierten Bürgerinnen und Bürger, die sagen, Sie nutzen die Gunst der Stunde in keinster Weise. Das, was sehr vollmundig versprochen wurde, „Zeit für Neues“, wurde, Herr Bundeskanzler, aus unserer Sicht nicht eingehalten, weil Sie die Gunst der Stunde – von den Bürgerinnen und Bürgern wird derzeit sehr viel Geld geholt, auch von den Un­ternehmen, also sprudelnde Steuereinnahmen, brummende Konjunktur, sinkende Ar­beitslosigkeit, historisch niederste Zinsen – nicht für echte Reformen nutzen; das ist der eigentliche Schmerz.

Es ist, glaube ich, erkannt worden, Herr Finanzminister, dass Sie ein differenzierter Mensch sind, der die Dinge hier an und für sich mit Sachverstand angeht; umso ver­wunderlicher ist für mich, dass Sie Reformen nicht angehen. Ich kann es nur damit erklären, dass eben im Hintergrund die Widerstände doch wesentlich größer sind, als landläufig bekannt ist, dass die Verstrickungen des alten Systems in keinster Weise gelöst sind, sondern dass das nur für den Wahlkampf wegretuschiert wurde – so wie auch Bilder im Hintergrund wegretuschiert werden, Herr Bundeskanzler, wenn Sie irgendwo an einem Tisch sitzen und ein Foto davon dann veröffentlicht wird. (Ruf bei der SPÖ: Peinlich!) So haben Sie es geschafft, die Bevölkerung ein Stück weit zu ver­schaukeln und während des Wahlkampfs irgendwie ein Bild zu photoshoppen, das ge­glaubt wurde, das sich aber zunehmend als Trugbild entpuppt.

Faktum ist, dass Sie offensichtlich nicht bereit sind, die Reformen ernsthaft anzugehen. Die Pensionsreform wurde von Sebastian Kurz als Chef der Jungen ÖVP noch vor einigen Jahren als ganz hohe Priorität referiert – und es ist eine Priorität! Warum? – Weil allein zwischen 2017 und 2022 die Kosten – Herr Bundeskanzler, Sie kennen diese Zahlen – für Beamtenpensionen und Pensionszuschüsse aus dem Bundesbud­get von 18,2 Milliarden auf 23,2 Milliarden Euro steigen. Das sind 5 Milliarden Euro Wachstum bis zum Jahr 2022, das sind gewaltige Summen. Das ist zum Beispiel das Wissenschaftsbudget, das wir für alle Universitäten und Fachhochschulen eingestellt haben; allein der Wachstumsblock innerhalb von fünf Jahren konsumiert also das ge­samte Wissenschaftsbudget für 300 000 junge Leute, die wir in diesem Land top aus­bilden wollen.

Da haben Sie keine Antworten, da sagen Sie: Reformen brauchen wir nicht, alles in Ordnung! – Sie wissen, dass Sie sich damit in den eigenen Sack lügen. Das ist nicht fair, das ist nicht enkelfit, das ist nicht zukunftsfit. (Beifall bei den NEOS.)

Dasselbe ist in der Frage des Föderalismus der Fall. Gibt es eine Föderalismusre­form? – Nein, Sie denken nicht einmal daran, habe ich das Gefühl. Ihr eigener Reform­minister beginnt zu verzweifeln – an dieser Stelle natürlich meine ernsthaften Wünsche für eine gute Genesung an Herrn Minister Moser. Ich verstehe seine Zweifel, weil er das Backing in der eigenen Partei nicht hat, weil nach den Wahlen niemand an echten Föderalismusreformen interessiert ist. Ich prophezeie, es wird sogar noch schlimmer. Nächste Woche ist die letzte Landtagswahl vorbei, und dann werden die Landesfürsten mit einem neuen Selbstbewusstsein aus ihren Verstecken kommen und die Dinge so laufen lassen, wie sie es machen, nämlich der Republik bei jeder Verhandlung die Ho­sen ausziehen.

Vor der Wahl wird munter mitgetanzt. Zum Beispiel die Abschaffung des Pflegeregres­ses: Die Bundesländer sind das mitgehüpft, einstimmig im Bundesrat. Also entweder haben wir eine Länderkammer und die überlegt sich das ordentlich, oder wir brauchen den Bundesrat nicht! Ich glaube, wir brauchen ihn nicht, weil er auch in Geiselhaft von Parteipolitik ist. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Noll.) Sind die Wahlen vorbei, kriechen sie raus und sagen: Das geht so nicht mit uns! Und natürlich haben sie recht, es geht so nicht, dass man den Leuten die echten Zahlen verheimlicht und ein paar Monate später erkennt, dass man irgendwie ein großes Problem hat. Man kann so nicht ernsthaft Politik machen, das geht einfach nicht so. (Abg. Rosenkranz: Oja, das geht bei uns! Sehr sogar!) – Nicht ernsthaft, das ist der Unterschied, Herr Ro­senkranz. Man kann so Politik machen, aber das nennt man dann nationalpopulistisch oder sonst irgendwie, aber das ist nicht ernsthaft (Abg. Rosenkranz: Sehr! Das ist eine sehr ernste Politik, die hier betrieben wird, das hat mit Bäumeumarmen überhaupt nichts zu tun!); das ist, die Leute verschaukeln, aber nicht ernst nehmen.

Nächster Punkt: Bildungsbereich. Sie kürzen im Bildungsbereich. Bei der Innovations­stiftung für Bildung gehen Sie von 50 Millionen runter auf 2 Millionen Euro. Die Bot­schaft ist: Wir brauchen keine Innovation in der Bildung, alles paletti! (Abg. Rosen­kranz: Bei uns wird gearbeitet! Wir machen nicht nur Botschaften wie Sie!) Ist alles paletti, wenn 23 Prozent mit 15 Jahren nach neun Jahren Schule nicht lesen kön­nen? – Nein, da ist nicht alles paletti! (Abg. Rosenkranz: ... vollkommener Unsinn!) Das ist Zukunftsraub im großen Stil.

Und dann kommen die Landeshauptleute wieder ins Spiel: Jene Bildungsreform, die Sie letztes Jahr verabschiedet haben, bei der Sie gesagt haben: Wir machen jetzt Bil­dungsdirektionen, damit wir die Bildungsagenden aus einem Guss vorantreiben kön­nen!, hat einen wesentlichen Strickfehler, deswegen konnten wir nicht mitgehen. Sie sagen, die Landeshauptleute können sich kraft Landesgesetz zu den Chefs dieser Bil­dungsdirektionen machen. Und was passiert? – Sogar noch schlimmer: Die steirische Landespolitik hat jetzt vorgesehen, dass sie kraft Landesgesetz einen Teil der Bil­dungsagenden in der Landesregierung behält. Sie will also die missglückte neue Bil­dungsdirektion nicht einmal als solche akzeptieren, sondern behält sich zum Beispiel die Direktorenbestellung direkt im Zugriff durch die Landesregierung. Da muss man sich fragen, warum. Wollen Sie Gutes für die jungen Menschen? – Nein, Sie wollen Par­teipolitik in die Schulen hineinbringen, Sie wollen 6 000 Schuldirektorinnen und ‑direk­toren weiterhin entlang des Parteibuchs bestellen. Und das ist „Zeit für Neues“, Se­bastian Kurz?! Ernsthaft? Da bleibt einem doch die Spucke weg, das kann doch nicht ernst sein! (Beifall bei den NEOS, bei Abgeordneten der SPÖ sowie des Abg. Kolba.)

Es war in der Verhandlung im Juni letzten Jahres noch Christian Kern – und da muss ich ihm einen Pluspunkt eintragen –, der gesagt hat: Das machen wir bei der Bil­dungsdirektion nicht so! Und es waren die ÖVP Neu und Alt gemeinsam, die gesagt haben: Nein, wir brauchen das! Und hinter vorgehaltener Hand haben das die Chefver­handler auch gesagt: Wir brauchen das für unsere Landeshauptleute!, nämlich den par­teipolitischen Zugriff auf die Schule. Das Schulbuch ist nicht relevant, das Parteibuch ist hoch relevant.

Das sind Dinge, wenn ich das den Menschen sage, dann schütteln sie nur den Kopf. (Abg. Rosenkranz: Weil sie nicht glauben, was Sie sagen! Sie glauben halt nicht, was Sie sagen! – Zwischenruf der Abg. Kitzmüller.) Und wenn wir ehrlich sind: Wenn wir unter vier Augen sprechen, wenn jeder von Ihnen dem besten Wissen und Gewissen folgt, dann, behaupte ich, finden Sie da herinnen keine fünf Leute, die sagen, das ist richtig. (Abg. Jarolim: Völlig richtig! – Abg. Rosenkranz: Machen wir eine Abstim­mung!) Keine fünf Leute finden Sie, keine fünf Personen! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Liste Pilz. – Abg. Wöginger: Ich finde keine fünf Leute für die NEOS bei mir daheim!)

Wenn diese neue alte ÖVP – black is back – und die FPÖ gemeinsam hier in ihre qua­lifizierten Öffentlichkeiten treten, dann evaporieren der Hausverstand und die intellek­tuelle Redlichkeit, dann regiert wieder Parteipolitik vor dem, was für die Menschen wirk­lich wichtig ist – und das kreide ich an, und das findet auch Ausdruck in diesem Bud­get. Das ist ein Haltungsfehler, den Sie meines Erachtens hier haben (Abg. Jarolim: Mehr als ein Haltungsfehler!) – mehr als ein Haltungsfehler, aber jedenfalls auch ein Haltungsfehler.

Deswegen werden wir uns weiterhin den Themen widmen, die für das Land so wichtig sind. Wir werden weiter unsere Vorschläge einbringen. Es ist Aufgabe der Opposition, Ihnen auf die Finger zu schauen. Herr Minister, ich glaube, dass Sie persönlich es bes­ser können, und ich ermutige Sie, sich von den Fesseln und den Fängen der Partei­politik loszusagen. Sie haben noch vier Jahre Zeit, alles Gute dafür! (Beifall bei den NEOS. – Abg. Rosenkranz: Der Lieblingsbaum hat letztens gesagt, man soll sich mehr um die Baumschulen kümmern!)

9.38

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Erwin Angerer. – Bitte.