11.40

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Frau Bundesministerin! Wir kommen zum Kapitel Soziales und Arbeits­markt. Ich habe in den letzten Tagen und Wochen – bei den gesamten Budgetdebat­ten, im Rahmen des Budgethearings und auch in den letzten zwei Sitzungstagen – vie­len Rednerinnen und Rednern zugehört. Dabei ist mir bei den Abgeordneten von ÖVP und FPÖ aufgefallen, dass Sätze gefallen sind, die sich im Budget nicht wiederfinden, wie zum Beispiel: die Familien sind uns wichtig, die Jugend ist unsere Zukunft, die Pensionen sind uns wichtig, die Menschen 50 plus sind uns wichtig, Menschen, die freiwillig in Einsatzorganisationen mitwirken, sind uns wichtig.

Wir finden die Wichtigkeit, die Sie hier in unterschiedlichen Beiträgen in den letzten Ta­gen und Wochen angesprochen haben, nicht im Budget; im Gegenteil, Sie stellen sich hierher und unternehmen wirklich alles, um Ihren geplanten Sozialabbau schönzure­den. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Sie spalten unsere Gesellschaft, indem Sie ungleich verteilen. Ich nenne einige Beispiele: Mit Ihrem Familienbonus, den Sie so groß loben und so breit kommunizieren, fördern Sie Familien mit Kindern ungleich. (Abg. Neu­bauer: Schon wieder! – Zwischenruf des Abg. Obernosterer.) Familien mit hohen Ein­kommen, mit mehr Steueraufkommen werden stärker belastet, Familien mit weniger Steueraufkommen werden weniger belastet, und Familien, die keine Steuern zahlen, weil sie nämlich zu wenig verdienen, oder alleinerziehende Mütter werden mit einem Almosen von 250 Euro pro Jahr abgespeist.

Warum sind Ihnen nicht alle Kinder in Österreich gleich viel wert? (Abg. Gödl: Alle pro­fitieren!) Warum spalten Sie unsere Gesellschaft schon bei den Kindern? (Abg. Gödl: Alle profitieren!) Ich sage Ihnen etwas ganz offen zum Gießkannenprinzip – wir haben es oft diskutiert –: Jede soziale Förderung nach dem Gießkannenprinzip ist sozialer als das, was Sie jetzt mit dem Familienbonus aufführen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Gödl: Alle Familien profitieren von diesem Budget! – Abg. Haider: Unglaublich! – Abg. Neu­bauer: Das sagt ein Gewerkschafter! Unfassbar!)

Nächstes Beispiel: die Unfallversicherung. Sie sagen, die Unfallversicherung muss einen Vorschlag liefern, wie sie 500 Millionen Euro einspart. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) 500 Millionen Euro an Einsparungen bedeuten minus 38 Prozent im Budget, der Verwaltungsaufwand macht aber 92 Millionen Euro aus. Wenn wir die ganze Ver­waltung abschaffen, haben Sie Ihr Einsparungsziel noch immer nicht erreicht. Jeder von Ihnen kennt ein Beispiel, jemanden, der schwer verunglückt ist, der einen Arbeits­unfall gehabt hat, der einen schweren Sportunfall gehabt hat und von den Expertinnen und Experten in den Unfallkrankenhäusern bestens behandelt worden ist.

Wie soll die Finanzierung von Unfallkrankenhäusern, wie soll die Finanzierung des Ver­sicherungsschutzes für Kinder, Schüler, Studenten, Einsatzkräfte, Rettungsdienste und Feuerwehren in Zukunft ausschauen, wenn Sie da herunterkürzen? Warum lassen Sie Funktionierendes nicht auch in Zukunft weiter funktionieren? Frau Sozialministerin, sa­gen Sie uns bitte, wie Sie es schaffen wollen, all diese Leistungen der Unfallversiche­rung bei 500 Millionen Euro weniger im Budget aufrechtzuerhalten. (Beifall bei der SPÖ.)

Zu den Pensionen: Wir haben gestern im Ministerrat vernommen, dass zur Kenntnis genommen wird, die Mindestpensionen, die Ausgleichszulage bei 480 Beitragsmona­ten ab 2020 auf 1 200 Euro für Einzelpersonen zu erhöhen. (Abg. Belakowitsch: Su­per, oder?) 480 Beitragsmonate – Beitragsmonate bedeutet Arbeitsmonate –, das hört sich gut an, ist aber kaum treffsicher. (Abg. Belakowitsch: Warum wollen Sie es dann schon ab 2019? – Abg. Heinisch-Hosek: Wir wollen ja etwas dazu! – Ruf bei der SPÖ: Genau!)

Ich sage Ihnen, warum: Männer mit 40 Beitragsjahren erreichen zu einem großen, überwiegenden Anteil jetzt schon diese 1 200 Euro Pension. Bei Frauen hingegen ist diese Regelung total unwirksam. Wie viele Frauen gibt es, die 40 Beitragsjahre errei­chen? Sie gehen rein von Beitragsmonaten aus, Sie berücksichtigen nicht Krankheit, Sie berücksichtigen nicht Arbeitslosigkeit, Sie berücksichtigen nicht Kindererziehungs­zeiten. (Abg. Neubauer: Woher weißt denn du das?) Gerade deshalb glauben wir, dass wir da unbedingt handeln müssen. Wir werden dazu heute einen Entschließungs­antrag einbringen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn Ihnen Sozialpolitik wirklich am Herzen liegt, stimmen Sie diesem Antrag zu! Kin­der zu bekommen und Kinder zu erziehen darf beim Erwerb einer Mindestpension kein Nachteil sein, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Abg. Belakowitsch: Wo ist jetzt der Unterschied?)

Zum Pflegeregress: Allein dafür, Ihre Schlagzeile – Nulldefizit erreicht – auch wirklich zu erfüllen, sind Ihnen alle Mittel recht, um im Budget zu streichen. Sie budgetieren lä­cherliche 100 Millionen Euro für die Gegenfinanzierung zur Abschaffung des Pflegere­gresses (Abg. Gödl: Das hat der Herr Stöger festgelegt!) und Sie machen nichts, was die Finanzierung der notwendigen 650 - - (Abg. Neubauer: Frag einmal ihn! – Abg. Gödl: Das war der Herr Stöger! Da drüben sitzt er! – Abg. Deimek: Das würde ich gleich den Richtigen fragen, der sitzt da drüben! – Zwischenruf des Abg. Lindner.)

Sie machen das Budget 2018, Sie machen das Budget 2019, und Sie stellen diese Mittel nicht zur Verfügung. Durch Ihr Nichthandeln, Frau Sozialministerin, gibt es erste ÖVP-Landeshauptleute (Abg. Gödl: Stöger hat das festgesetzt!) – auch jener der Steiermark, dein Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer –, die die Abschaffung des Pflegeregresses infrage stellen. Durch dieses Nichthandeln, was die Gegenfinan­zierung betrifft, gefährden wir unseren gemeinsamen Beschluss aus dem Jahr 2017, den Pflegeregress abzuschaffen. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Die Abschaffung des Pflegeregresses muss aufrecht bleiben! (Beifall bei der SPÖ.)

Zur Altersteilzeit – auch diesbezüglich ist Ihre Absicht ganz klar erkennbar –: Sie sa­gen, die Altersteilzeit braucht eine Reform. In Wirklichkeit bedeutet das, länger zu ar­beiten und später in Pension gehen zu können. Mit der Anhebung des Antrittsalters bei Männern und Frauen zwingen Sie diese bei der Inanspruchnahme von Altersteilzeit, länger zu arbeiten und dementsprechend später in Pension zu gehen. (Abg. Neu­bauer: Aber wir können nichts dafür, dass die Leute mit 55 in Pension gehen!) Die Frage ist, ob das tatsächlich überall auch in der Praxis so ist, gerade in der Pri­vatwirtschaft. Wir werden nicht viele Firmen in der Privatwirtschaft finden, die sagen: Bleiben Sie zwei Jahre länger und gehen Sie dann in die Altersteilzeit! – Auch dazu werden wir heute einen Entschließungsantrag einbringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lampe blinkt schon wieder, ich hätte aber noch sehr viel zu sagen. Abschließend komme ich noch zu einem Thema, das mich vorgestern wirklich sehr geärgert hat, zur Bekämpfung von Sozialbetrug. Sie ha­ben es ermöglicht, dass in Zukunft Firmen bei Versäumnis der Anmeldung vor Arbeits­beginn einen Freibrief bekommen (Zwischenruf bei der ÖVP), indem sie maximal 855 Euro an Säumniszuschlag bezahlen müssen; unabhängig davon, ob sie zehn, 50 oder 100 Mitarbeiter später anmelden. Das ist mit 855 Euro gedeckelt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben jahrelang für die Anmeldung vor Arbeitsbeginn gekämpft. Im Zeitalter der Digitalisierung, wo man jederzeit und von überall in Österreich aus einen Mitarbeiter per App bei der Gebietskrankenkasse an­melden kann, gehen Sie her und sagen, das gehört verändert. Das ist ein Freibrief für all jene, die nicht ordnungsgemäß rechtzeitig anmelden. (Abg. Loacker: Du weißt, dass das nicht stimmt!) Die Wiener Gebietskrankenkasse hatte 2017 30 000 Meldever­stöße betreffend die ordnungsgemäße Anmeldung zur Sozialversicherung zu verzeich­nen. Jetzt frage ich Sie, nachdem Sie das gelockert haben: Werden es jetzt weniger Verstöße werden oder mehr? – Es werden wesentlich mehr Verstöße werden. (Ruf bei der ÖVP: So ein Blödsinn!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist das Spiegelbild Ihrer Politik. Sie spa­ren bei der Integration, Sie sparen bei der Qualifizierung, Sie sparen bei der Ausbil­dung, Sie sparen bei der Jugend, Sie sparen bei den Schwächsten, bei Kindern und Frauen, bei den Arbeitslosen, bei den Pensionisten. Sie sparen vor allem mit dem En­de der Beschäftigungsaktion 20 000 – dazu muss ich den Antrag noch einbringen – bei jenen, die es wirklich brauchen, gerade in diesem Bereich haben Sie vielen Menschen, die eine Chance gehabt hätten, über die Gemeinden einen Job zu finden, die Nase vor der Tür zugeschlagen. (Abg. Lugar: „Die Nase vor der Tür“ ist schwierig! – Abg. Schi­manek: „Die Nase vor der Tür“?!)

Frau Sozialministerin, bitte machen Sie eine Auswertung, welche Gemeinden diese Ak­tion in Anspruch genommen haben! Sie werden sehen, dass es überwiegend ÖVP-Ge­meinden sind, die diese Aktion in Anspruch genommen haben. Ich bin überrascht, dass da kein Aufschrei von euch kommt, offenbar ist die Parteidisziplin wesentlich wichtiger, als soziale Verantwortung für die Menschen in diesem Land zu übernehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend „die Weiterführung der Beschäftigungsaktion 20.000“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz wird aufgefordert, die erfolgreiche Beschäftigungsaktion 20.000 fortzuführen und dafür ent­sprechend budgetär vorzusorgen.“

*****

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sparen nicht im System, Sie sparen eindeutig bei den Menschen in diesem Land. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf bei der ÖVP.)

11.49

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen

betreffend die Weiterführung der Beschäftigungsaktion 20.000

Im Rahmen der Beschäftigungsaktion 20.000 sollten für über 50-jährige langzeitar­beitslose Menschen, also für Menschen, die über ein Jahr durchgehend und ohne län­gere Unterbrechung (auch nicht durch Schulung) arbeitslos vorgemerkt waren, 20.000 Ar­beitsplätze pro Jahr in Gemeinden, über gemeinnützige Trägervereine und Unterneh­men geschaffen bzw. gefördert und damit die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe lang­fristig halbiert werden.

Die Beschäftigungsaktion 20.000 wurde mit 1. Juli 2017 in Form von 11 Pilotprojekten (je Bundesland in einem Arbeitsmarktbezirk) gestartet. Mit Jänner 2018 war die öster­reichweite Implementierung der Aktion 20.000 geplant.

Obwohl bis Ende Dezember 2017 nur 11 Pilotprojekte liefen, zeigte sich klar, dass die Beschäftigungsaktion 20.000 einen wesentlichen Beitrag leisten kann, um die Altersar­beitslosigkeit und die Langzeitarbeitslosigkeit zu senken. Es gelang, zusätzliche Be­schäftigungspotenziale für ältere langzeitbeschäftigungslose Personen zu erschließen.

Die Aktion 20.000 hat in den erfolgreichsten Pilotregionen die Langzeitbeschäftigungs­losigkeit der Über-50-Jährigen um bis zu 45% gesenkt. Insgesamt haben rund 4.400 Lang­zeitbeschäftigungslose wieder einen Job durch diese Aktion gefunden.

Schwarz-Blau hat diese erfolgreiche "Aktion 20.000" in einer Nacht- und Nebelaktion abgedreht und raubt damit älteren Langzeitarbeitslosen ihre Lebensperspektiven.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz wird aufgefordert, die erfolgreiche Beschäftigungsaktion 20.000 fortzuführen und dafür ent­sprechend budgetär vorzusorgen.“

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr.in Dagmar Belakowitsch. – Bitte.