10.25

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Geschätzte Regierungskolleginnen und -kollegen! Mit 1. Juli darf Österreich zum dritten Mal den Ratsvorsitz in der Europäischen Union überneh­men, und das in einer sehr herausfordernden Phase. Es wird dies der letzte voll­ständige Ratsvorsitz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament sein. Es wird der Ratsvorsitz sein, in dem 300 noch offene Triloge behandelt werden sollen, und es ist der Ratsvorsitz, bei dem es wahrscheinlich auch große Herausforderungen zu bewälti­gen gibt, was den Brexit und die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen be­trifft.

Ein Ratsvorsitz ist etwas, das nicht nur Arbeit während des Halbjahres auslöst, in dem man tätig ist, sondern ein Ratsvorsitz ist etwas, bei dem es sehr viel an Vorbereitungs­arbeit zu leisten gibt. Ich darf daher an dieser Stelle allen, die einen Beitrag dazu ge­leistet haben und nach wie vor leisten, ein großes Danke sagen. Ich darf bei den Mit­gliedern der Bundesregierung beginnen, allen voran bei Kanzleramtsminister Gernot Blümel und auch bei Außenministerin Karin Kneissl. Ich möchte mich aber auch bei al­len Beamtinnen und Beamten bedanken, die hier in Österreich, aber auch in der Stän­digen Vertretung in Brüssel schon seit Monaten sehr intensive Arbeit leisten, um den österreichischen Ratsvorsitz auch zu einem Erfolg werden zu lassen. (Allgemeiner Bei­fall.)

Der österreichische Ratsvorsitz findet in einer Zeit des Umbruchs statt. Sie erleben alle gemeinsam mit uns, dass derzeit internationale Abkommen geschlossen werden – wenn wir nach Nordkorea blicken. Es werden internationale Abkommen aufgekündigt – wenn wir in den Iran blicken. Wir erleben eine unberechenbarer gewordene Situation in den USA, nach wie vor Spannungen mit Russland, und auch in der Europäischen Uni­on ist mittlerweile durch den Brexit eine Zeit des Umbruchs eingeleitet worden.

Seit der Flüchtlingskrise gibt es zunehmende Spannungen in der Europäischen Union: Der Norden klagt über den Süden, der Westen klagt über den Osten. Manche Mitglied­staaten haben das Gefühl, dass es mittlerweile Mitgliedstaaten erster und zweiter Klas­se gibt, und insofern ist ein großes Ziel unseres Ratsvorsitzes, dass wir unsere schon geografisch günstige Position im Herzen Europas dafür verwenden wollen, Spannun­gen in der Europäischen Union abzubauen und sicherzustellen, dass die Europäischen Union in Zukunft auch wieder geeinter auftritt.

Ich glaube, dass es wichtig ist, unserem Motto gerecht zu werden, nämlich: In Vielfalt geeint, und nicht das Gegenteil anzustreben, nämlich: In Gleichheit getrennt. – Das be­deutet einen Diskurs, und das bedeutet, unterschiedliche Meinungen nicht nur zuzulas­sen, sondern stets zu versuchen, dass die unterschiedlichen Zugänge, die es in der Europäischen Union gibt, auf Augenhöhe diskutiert werden und dass der Umgang mit­einander respektvoll ist, denn nur so hat dieses Projekt der Europäischen Union auch Zukunft. Wenn wir den Eindruck entstehen lassen, dass es bessere oder schlechtere Europäer gibt, Mitglieder erster und Mitglieder zweiter Klasse, diejenigen, die überle­gen sind, und diejenigen, die noch erzogen werden müssen, dann ist diese unsere Eu­ropäische Union gefährdet. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Ich komme gerade aus Israel zurück, einem Staat, in dem wie kaum in einem anderen Land der Welt bewusst wird, dass Sicherheit keine Selbstverständlichkeit ist. Die letz­ten Jahre haben uns aber leider Gottes auch in der Europäischen Union gezeigt, dass Sicherheit auch in Europa keine Selbstverständlichkeit sein muss und dass es nicht gottgegeben ist, dass wir immer in Stabilität und Sicherheit zusammenleben. Insofern ist es unser großes Ziel, während des Ratsvorsitzes einen Beitrag dazu zu leisten, dass Stabilität, Sicherheit und Wohlstand auch in Zukunft eine Selbstverständlichkeit in der Europäischen Union sind.

Wir haben uns als Bundesregierung für das Motto entschieden: ein Europa, das schützt, und wir wollen daher auf das Thema der Sicherheit, aber auch auf das Thema des Wohlstands und des Absicherns unseres Lebensstils und unseres Wohlstands in Europa fokussieren.

Das bedeutet zum Ersten, dass es einen klaren Fokus auf den Außengrenzschutz ge­ben muss, denn Sicherheit in der Europäischen Union kann es nur geben, wenn nicht nur militärische Sicherheit gewährleistet ist, sondern auch innere Sicherheit, und in die­ser Hinsicht ist es auch notwendig, zu wissen, wer zuwandern darf und wer nicht, und ist es notwendig, sicherzustellen, dass die Regierungen entscheiden, wer nach Europa kommt, und dass nicht die Schlepper diejenigen sind, die diese Entscheidungen tref­fen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Wir setzen daher in enger Abstimmung zwischen Außenministerium, Innenministerium und Bundeskanzleramt einen Schwerpunkt auf das Thema Außengrenzschutz. Wir werden den Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 20. September in Salzburg ganz dem Thema der Sicherheit, dem Außengrenzschutz sowie dem Kampf gegen ille­gale Migration widmen.

Es ist unser großes Ziel, dass dort eine Stärkung von Frontex gelingt, und zwar inhaltlich, personell und finanziell. Das bedeutet, es kommt nicht erst bis zum Jahr 2027 – wie derzeit vorgesehen – zu einer Aufstockung auf 10 000 Mann, sondern deutlich schneller. Das bedeutet aber vor allem auch eine Ausweitung des Mandats von Frontex, denn nur dann, wenn die Beamten, die für Frontex tätig sind, auch aktiv gegen Schlepper ankämpfen dürfen, wenn sie mit Drittstaaten kooperieren können und wenn sie auch die Möglichkeit haben, Boote daran zu hindern, überhaupt abzulegen – also nur dann, wenn all diese Möglichkeiten bestehen –, können die Beamten von Frontex auch effektiv dem Ziel nachkommen, das wir verfolgen, nämlich dem Ziel der Rettung von Menschenleben, der Sicherung unserer Außengrenzen und der Rückge­winnung der Kontrolle in der Europäischen Union. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Wenn wir von Sicherheit und einem Europa sprechen, das schützt, dann bedeutet das aber nicht nur Sicherheit im körperlichen Sinne, sondern natürlich auch, den Wohlstand abzusichern, den wir in Europa genießen. Ich habe als Außenminister viele Regionen sehen dürfen, die aufholen, ich habe auch erleben müssen, dass uns manche einholen oder sogar überholen, und daher ist es dringend notwendig, dass wir als Europäische Union alles tun, um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben.

Der Infrastrukturminister wird noch im Detail darauf eingehen, aber es ist natürlich not­wendig, dass wir in der Europäischen Union bei der digitalen Infrastruktur vorankom­men, dass wir den digitalen Binnenmarkt vollenden, dass wir Steuerungerechtigkeiten durch die Besteuerung von Internetgiganten auf unserem Kontinent beseitigen, und es ist notwendig, dass wir in Wissenschaft und Forschung investieren, um auch weiterhin der Ort in der Welt zu sein, an dem Innovationen stattfinden. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Zum Dritten: Neben jenem auf die klassische Sicherheit und dem auf das Absichern von Wohlstand liegt der Fokus natürlich auch – wie könnte es anders sein! – auf unse­rer Nachbarschaft. Nur wenn wir in unserer Nachbarschaft Stabilität und Sicherheit ge­nießen, wird es auch Stabilität und Sicherheit in der Europäischen Union geben. Es wird daher einen klaren Fokus auf unsere Nachbarschaft geben. Die Außenministerin wird einen Schwerpunkt auf die Region Südosteuropa setzen, mit dem klaren Ziel, auch die Staaten des Westbalkans nicht nur näher an die Europäische Union heranzu­führen, sondern ihnen Unterstützung bei ihrer europäischen Perspektive zu sichern.

Wir haben Gott sei Dank gerade gestern mit der Lösung des Namensstreits zwischen Griechenland und Mazedonien einen großen Fortschritt erlebt. Wir erleben große Fort­schritte, wenn es um Reformen in Serbien, aber auch in anderen Staaten dieser Re­gion geht. Zudem ist es in Österreich unsere Aufgabe, diese Region, die uns historisch, wirtschaftlich, kulturell und menschlich so nahesteht, bestmöglich bei der Annäherung an die Europäische Union zu unterstützen.

Das sind, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, grob skizziert die Schwer­punkte, die wir uns während unseres Ratsvorsitzes setzen. Es gibt darüber hinaus na­türlich noch in den Zuständigkeitsbereichen aller Ministerinnen und Minister sehr viele Aufgaben, die auf uns zukommen.

Ich kann Ihnen nur versichern, wir freuen uns auf die Arbeit, und wir freuen uns auf die Möglichkeiten, noch stärker in der Europäischen Union gestalten zu können, als wir das als Mitgliedstaat ohnehin schon können. Wir sind uns auch dessen bewusst, dass neben den Schwerpunkten, die wir selbst ausgewählt haben, natürlich große Themen wie der Abschluss der Brexitverhandlungen oder die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen und oftmals auch das, was wir noch nicht vorhersehen können, diesen Ratsvorsitz zeichnen und diesen Ratsvorsitz prägen werden.

Ich darf Sie alle um bestmögliche Unterstützung während des Ratsvorsitzes bitten. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir in diesem halben Jahr parteiübergreifend an ei­nem Strang ziehen, zum Wohle Österreichs, vor allem aber auch zum Wohle der Eu­ropäischen Union. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

10.35

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bevor ich Herrn Minister Hofer das Wort erteile, darf ich die Schülergruppen der NMS Schweglerstraße und des Gymnasiums Purkers­dorf recht herzlich in unserer Mitte begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf nun Herrn Bundesminister Hofer das Wort erteilen. – Bitte.