9.33

Abgeordnete Birgit Silvia Sandler (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Minis­ter! Herr Minister! Hohes Haus! Werte Zuseher und Zuseherinnen! Danke, Frau Minis­ter, dass Sie auf Familienleistungen hingewiesen haben, die unter Bruno Kreisky ein­geführt wurden und Menschen wie mir die Möglichkeit gegeben haben, eine höhere Schule zu besuchen. (Beifall bei der SPÖ.)

Finanzielle Mittel zu streichen, aber gleichzeitig Flexibilität zu fordern, das ist nicht logisch und auch schwer vorstellbar. Die Regierung will den Ländern 90 Millionen Euro statt bisher 140 Millionen Euro für die Kinderbetreuung zuschießen, obwohl nur 1 000 Euro budgetiert sind. Gleichzeitig fordert Frau Minister Bogner-Strauß, dass die Kinder­gärten flexibler sind – Kinder sollen früher gebracht und später abgeholt werden kön­nen –, obwohl nur 1 000 Euro budgetiert sind. Wo ist der Rest? Gerade in Hinblick auf die von Ihnen angedrohte 60-Stunde-Woche wird sich das hinten und vorne nicht aus­gehen. Kinderbetreuung ist ein wesentlicher Faktor für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Frau Minister meint, dass wir die Kinderbetreuung nicht weiter ausbauen müssen, weil es genug Plätze für Drei- bis Sechsjährige gibt. Wenn man sich die nackten Zah­len in der veröffentlichten Statistik ansieht, dann scheint das sogar so zu sein: 94 Pro­zent der Kinder in dieser Altersgruppe scheinen gut versorgt zu sein. Wenn man sich aber die Öffnungszeiten und die Schließtage der Betreuungseinrichtungen anschaut, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Einzig und allein in Wien haben 94 Prozent der Kin­dergärten mehr als 9 Stunden pro Tag geöffnet und sind so an die bisher geltenden 8 Stunden Arbeitszeit pro Tag gut angepasst, sie haben im Schnitt fünf Schließtage im Jahr. Selbst das wird bei der drohenden 60-Stunden-Woche zu wenig sein.

Wien ist unsere Hauptstadt, Wien ist eine der größten Städte und ich bin stolz darauf, aber Österreich ist mehr als nur Wien. In Tirol zum Beispiel haben Kindergärten im Schnitt 30 Schließtage, und in vielen Gemeinden in den Bundesländern gibt es Kinderbetreuung nur bis Mittag und viel zu wenige Ganztagesplätze. Kürzungen in diesem Bereich schaden unseren Kindern, unseren Familien, unseren Gemeinden und Städten. (Beifall bei der SPÖ.)

Kinderbetreuungseinrichtungen sind keine Kindesweglegungsanstalten, wie sie ein Abgeordneter der FPÖ genannt hat, sondern wichtige Zentren in Sachen sozialer Kom­petenz. Kinderbetreuung ist zentral für die Entwicklung unserer Kinder. (Abg. Zanger: Die Mutter ist zentral für die Entwicklung des Kindes und nicht die Kinderbetreu­ungs­einrichtung!) Gerade in einer Zeit, in der viele als Einzelkinder oder in prekären Ver­hältnissen aufwachsen, gewinnt der Kontakt auf Augenhöhe mit Gleichaltrigen immer mehr an Bedeutung. Die Gesellschaft von und die Auseinandersetzung mit Kindern außerhalb des Familienverbandes fördert Selbstständigkeit, soziale Kompetenzen und ist für die Entwicklung unserer Kinder unerlässlich. (Beifall bei der SPÖ.) Unsere Kin­der werden dort mit viel Engagement und Herzblut von hoch qualifizierten Fachkräften betreut, begleitet und geschult, und ich verwehre mich gegen unqualifizierte Äuße­run­gen, die diesen Berufsstand schlechtmachen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen für unsere Familien bei Arbeitszeit und Betreuungseinrichtungen Rah­men­bedingungen, die familienfreundlich sind, wir brauchen eine gesetzliche Flexibilität, die an die Bedürfnisse der Familien und die Situation in den jeweiligen Gemeinden an­ge­passt ist, wir brauchen mehr Betreuungsplätze für die unter Dreijährigen, wir brauchen eine Aufwertung des Berufsbilds der ElementarpädagogInnen und adäquate Bezah­lung, und wir brauchen Planungssicherheit für unsere Gemeinden und Städte.

Angesichts der von Ihnen geplanten Arbeitszeitverlängerung brauchen wir mehr und nicht weniger Geld vom Bund für die Kinderbetreuung, damit es eine reelle Chance auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt. (Beifall bei der SPÖ.)

Manchmal habe ich den Eindruck, Ihre Maßnahmen müssen dem Familienbild einiger Abgeordneter entsprechen: Vater, Mutter, gemeinsame Kinder, die Frau bleibt zu Hause. Angesichts dieses Familienbilds aus dem frühen 20. Jahrhundert wundert es mich nicht, dass Sie auch die Arbeitszeitregelung an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückschießen wollen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Deimek: Jeder lebt das seine Gesellschaftsbild, Sie sind ...!)

Familienmalus, Kürzung der Mindestsicherung für kinderreiche Familien, Kürzung bei Familienberatungsstellen, Kürzung bei Familienbetreuungseinrichtungen: Ihre Pläne mögen eine Entlastung für das Budget sein, aber sie sind eine echte Belastung für alle Familien. – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Deimek.)

9.38

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Her­mann Brückl. – Bitte.