16.26

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Geschätzte Damen und Herren auf der Galerie und an den Bildschirmen! Ich habe vor dieser Rede lange nachgedacht, wie man beschreiben könnte, was derzeit passiert. Wie könnte man für Menschen, die politisch nicht so interessiert sind, beschreiben, was dieser Bundeskanzler, was Sebastian Kurz derzeit macht? Wie kann man da ein Bild zeichnen? Sie wirken, Herr Bundeskanzler, derzeit wie ein Jongleur, ein Jongleur, den das Glück verlassen hat, der den Zenit seiner Leistungsfähigkeit überschritten hat, und ein Jongleur, der er­staunt feststellt, dass die Teller, die er so kunstvoll am Staberl balanciert hat, derzeit herunterkrachen und zersplittern! (Heiterkeit des Abg. Rosenkranz.)

Ich kann mich noch gut erinnern, wie das war, als Sie, Herr Bundeskanzler, mit dem Jonglieren begonnen haben. Der erste Teller war diese so einschlägig berühmt ge­wordene Routenschließungsnummer mit der Balkanroute. (Abg. Rosenkranz: In so einer Welt möchte ich einmal leben!) Dieser Teller hat eigentlich eine Zeitlang nicht so schlecht am Staberl geschwirrt – zumindest Ihrem Empfinden nach, wahrscheinlich –, und das ist vielleicht der Grund dafür, dass jetzt schon jedes zweite Monat eine neue Route erfunden wird, die zu schließen ist. (Abg. Gudenus: Das ist ein schönes Bild!) Man braucht in dieser Branche schwirrende Teller.

Der zweite Teller, geschätzte Damen und Herren, war die Totalumkehr in der öster­reichischen Außenpolitik, das Abgehen vom Prowestlichen hin zum Anbiedern an die Visegrádstaaten. (Zwischenruf des Abg. Wittmann.) Dieser Teller hat zuerst auch geschwirrt und dann hat er sich plötzlich nicht mehr so gut gedreht, als Sie sich entschlossen haben, die Arbeitskräfte – hauptsächlich Frauen –, die dafür verant­wort­lich sind, dass unser Pflegesystem funktioniert, und die aus diesen Staaten kommen, finanziell zu drangsalieren. Da hat der Teller nicht mehr so gut geschwirrt, da hat er schon etwas geeiert. (Ruf bei der SPÖ – in Richtung des mit einer Mitarbeiterin sprechenden Bundeskanzlers Kurz –: Hören Sie zu! – Abg. Wittmann: Frau Präsidentin, der Herr Bundeskanzler soll zuhören!)

Der dritte Teller, Herr Bundeskanzler, war, als Sie sich gedacht haben: Na ja, mit Visegrád ist das vielleicht doch nicht so cool, und dieser Brückenbauerschmäh mit denen greift auch nicht wirklich. Na, dann mache ich eine Achse der Willigen, eine Achse Rom-Wien-Berlin! – Und dieser Teller, geschätzte Damen und Herren, eiert nicht nur, der war aufgrund der Beteiligten, des Herrn Seehofer und des Herrn Salvini, bereits von Anfang an absturzgefährdet. Herr Kurz, ich frage Sie aber jetzt eines und bitte Sie, das vielleicht auch noch zu beantworten: Wie können Sie unter diesen Umständen mit diesen Inhalten so etwas Achse nennen, Herr Bundeskanzler? Wo waren Sie im Geschichtsunterricht? Das frage ich Sie! (Rufe bei der FPÖ: Geh bitte! Schlechte Rede! – Ruf bei der SPÖ: Wo war er?)

Dann gibt es den vierten Teller, und diesen vierten Teller würde ich mit einem Zitat beschreiben: Übermut tut selten gut. (Abg. Gudenus: Das macht die SPÖ ganz gerne!) Das ist ein großer und schwerer Teller gewesen. (Abg. Rosenkranz: Wo war denn der im Geschichtsunterricht? Der hat die Wasserstoffbombe erfunden, der Teller!) Es war meines Erachtens, Herr Bundeskanzler, ein fataler Fehler, den Versuch zu unternehmen, mit Ihren Kurzzeit-Weißwurst-Spezerln die Regierungszeit der deutschen Bundeskanzlerin zu verkürzen.

Das Ergebnis war, dass die Teller krachend heruntergefallen sind. (Ruf bei der FPÖ: Da klatscht nicht einmal die SPÖ! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ und Gegenrufe bei der SPÖ.) Der Effekt war, dass durch diese Maßnahmen, die Sie gesetzt haben, durch dieses Zündeln, ein großer Schaden für unser Land, für unsere internationale Reputation, für unsere Wirtschaft und für die Menschen in Österreich entstanden ist. Das ist Ihre Verantwortung, Herr Bundeskanzler, und die Verantwortung von nie­mandem sonst! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Aber wieso verstehen das die Menschen ganz anders?)

Geschätzte Damen und Herren, es gibt bei der FPÖ einen Abgeordneten, der immer mit Zwischenrufen glänzt, und das ist der Herr Rosenkranz – er hat schon wieder irgendetwas gesagt –, der bei seiner Landespartei als Kandidat für den Parteivorsitz angetreten ist und als alleiniger Kandidat 60 Prozent bekommen hat. 40 Prozent wollen also lieber niemanden statt ihm, geschätzte Damen und Herren – so erfolgreich ist der Herr Rosenkranz! (Beifall bei der SPÖ. – Anhaltende Zwischenrufe bei FPÖ und SPÖ.)

Herr Bundeskanzler, Sie spüren ja auch schon die Folgen Ihres Handelns. Ich frage Sie – es ist schon angesprochen worden, aber es würde mich persönlich interes­sieren –: Ist es Ihnen nicht peinlich, dass gerade 50 Abgeordnete bei Ihrer Antrittsrede im Europäischen Parlament anwesend waren, weil nichts Neues zu erwarten war? (Abg. Schieder: Nicht einmal die Abgeordneten der Europäischen Volkspartei!) Es war nicht zu erwarten, dass Sie irgendetwas sagen, das in die Richtung geht, wie die Europäische Union weitergebracht werden kann. Das ist doch peinlich!

Ist es Ihnen nicht unangenehm, dass Sie nachher mit einem Sonderflug zu einer Pres­sekonferenz geflogen sind, mit Ihrem Vizekanzler und mit dem Herrn Innenminister dorthin geeilt sind (Abg. Martin Graf: Wenn Sie im Parlament reden, kann es sein, dass gar keiner zuhört!) – ich würde mir wünschen, dass Sie derartige Anstrengungen unternehmen, wenn Sie hier im Parlament gefragt sind; das sei nur nebenbei gesagt – und dass Sie dann zu dritt dagestanden sind und nur sagen haben können: Wir wissen eigentlich nicht, was die Deutschen tun!? – Das hat diesen Aufwand meines Erachtens nicht gerechtfertigt, Herr Kurz, mit einem Sonderflug zu einer Pressekonferenz zu fliegen.

Herr Bundeskanzler, Sie haben dabei gesagt, Sie werden nie einen Vertrag zulasten Dritter abschließen, Sie werden das nicht akzeptieren. Ich möchte nur anmerken: In diesem Vertragsverhältnis, das Sie uns da gebracht haben, sind wir diese Dritten, die nicht gefragt werden, geschätzte Damen und Herren. Aus der Kurzzeitachse ist ein Schraubstock geworden, und in der Mitte dieses Schraubstocks wird jetzt Österreich sein. Das ist die Verantwortung von Ihnen, Herr Bundeskanzler, und von niemandem sonst! (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler, haben Sie nicht auch manchmal das Gefühl, dass Sie mit Ihrem Koalitionspartner knapp am Verzweifeln sind? Ich gestehe Ihnen das zu, dass Sie das manchmal sein müssen! (Abg. Winzig: Früher war es das! – Ruf bei der ÖVP: Die Zeiten sind vorbei!) Als Deutschland drohte, dass Zehntausende Menschen in Zukunft unkontrolliert nach Österreich kommen, sind dem Herrn Innenminister zwei Dinge eingefallen. Er hat – und das müssen Sie sich vorstellen! – am Jahrestag der Schlacht von Königgrätz gesagt: Die Preußen schießen nicht so schnell!, dabei haben sie dort erstmals das Zündnadelgewehr mit einer dreifachen Kadenz der österreichischen Gewehre verwendet. Das historische Wissen des Herrn Innenministers ist also hinter­fragbar. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Und dann hat er noch gesagt: Ja dann schützen wir die Südgrenze! Geschätzte Damen und Herren, ich bin echt verblüfft, dass es einen FPÖ-Innenminister gibt, der nicht weiß, dass Deutschland im Norden und nicht im Süden von Österreich liegt. Das ist ja unglaublich! (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der FPÖ: Dann hast aber du das nicht verstanden, wo die Migrationsströme herkommen!)

Herr Bundeskanzler, anstatt sich für ein europäisches Asylsystem einzusetzen, anstatt für Hilfe vor Ort zu sorgen, anstatt für Schengen zu kämpfen, das wir so lieben und schätzen gelernt haben, anstatt die Ratspräsidentschaft für das Wohl der Euro­pä­ischen Union und das Wohl Österreichs zu nützen, haben Sie eitel gezündelt, für den Rückfall in die Kleinstaaterei, für die Gefährdung der Europäischen Union und für Chaos gesorgt und haben dafür noch dazu das Lob der Frau Le Pen erhalten. Allein deshalb würde ich mir schon Gedanken machen!

Geschätzte Damen und Herren, sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, dem über­schätzten Jongleur sind die Teller heruntergefallen. Es hat gekracht und gescheppert, und darunter werden wir alle noch lange leiden. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz. – Abg. Martin Graf: Die Le Pen hat den Kern auch schon gelobt!)

16.35

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeord­neter Lugar. – Bitte, Herr Abgeordneter.