12.50

Abgeordnete Birgit Silvia Sandler (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mitglieder der Regierung! Hohes Haus! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Österreich hat das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bereits 2008 ratifiziert. Im Art. 4 Abs. 3 steht sinngemäß: Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten, die behinderte Menschen und deren Kinder betreffen, werden Menschen mit Behinderung aktiv einbezogen. – Wann haben Sie das bei diesem Husch-Pfusch-Gesetz gemacht?

Menschen mit Behinderung müssen die Möglichkeit haben, genau wie alle anderen am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dazu gehört Arbeit allemal. Durch Ihre Arbeits­zeitverlängerung verkürzen Sie mutwillig die Erholungsphase für diese Menschen, die sie dringend brauchen. Sie drängen Menschen, die Wertvolles für die Gesellschaft leis­ten könnten, aus dem Arbeitsmarkt und verweigern ihnen das Recht an echter Teilha­be und einer selbstbestimmten Zukunft. Schämen Sie sich! (Beifall bei der SPÖ.)

1992 hat Österreich auch die Kinderrechtskonvention ratifiziert. In Absatz 1 des Arti­kels 3 steht, dass bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss. – Wo bleibt das Wohl des Kindes bei einem 12-Stunden-Tag und einer 60-Stunden-Woche?

In Absatz 2 des Artikels 10 steht, dass jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönli­che Beziehungen und direkten Kontakt zu beiden Elternteilen hat. – Wann soll das bei einem 12-Stunden-Tag und einer 60-Stunden-Woche noch möglich sein?

In Österreich arbeiten fast 50 Prozent der 1,5 Millionen berufstätigen Frauen in Teilzeit, oft auch deshalb, weil es keine Kinderbetreuung gibt oder eben nur bis Mittag. Jetzt verlängern Sie die Arbeitszeit und kürzen auch noch die Mittel für die Kinderbetreu­ung. – Wie soll sich das ausgehen? Berufstätige Eltern, Alleinerziehende, besonders mit behinderten Kindern oder zu pflegenden Angehörigen, sind jetzt schon maximal fle­xibel. An denen könnten Sie sich ein Beispiel nehmen!

Und die Jobs, die sie haben, sind nicht IT-Programmierer oder Ähnliches, sondern das sind Jobs im Einzelhandel, in der Produktion oder im Gastgewerbe. Da kann man die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen, oder soll die Verkäuferin jetzt die Extrawurst in der Küche aufschneiden, damit sie die 11. und 12. Stunde nicht im Betrieb sein muss und ihren zehnjährigen Buben abends noch selber ins Bett bringen kann? (Abg. Ne­hammer: So ein Blödsinn!) Familie darf keine Late-Night-Show werden.

Was passiert, wenn diese Menschen die freiwillige Chance verweigern, 12 Stunden zu arbeiten? Wie oft können sie Nein sagen und wie lange werden sie ihren Job noch haben? Bei Anträgen wie diesen zweifle ich ehrlich daran, dass Sie wissen, worüber Sie bei körperlicher Arbeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Familienfreundlichkeit oder Arbeitsbedingungen für Menschen mit Behinderung überhaupt reden.

Ich weiß, wovon ich rede, und ich weiß, was es heißt, wenn man Hunderte Mal am Tag über die Wurstbudel mit einer Hand schwere Schinken herausheben muss und am Abend solche Kreuzschmerzen hat, dass man sein Kind nicht mehr hochheben kann. Ich weiß, wovon ich rede, wenn man sich am Abend die Fingerkuppe wegschneidet, weil man nach einem langen anstrengenden Tag unkonzentriert ist und sich nicht mehr gut konzentrieren kann. (Abg. Mölzer: Da hat man keine Finger mehr!) – Die Finger­kuppe allein ist nicht der Finger, Herr Kollege! (Abg. Deimek: Ich hab’ mich auch schon einmal in den Finger geschnitten! Na und?) – Ja, aber wahrscheinlich nicht, weil Sie 10 bis 12 Stunden schwer hackeln müssen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Es ist keine Schande, körperlich zu arbeiten, die einzige Schande ist das, was Sie mit der Gesundheit und den Familien von unseren Arbeitnehmern und Arbeitneh­merinnen jetzt aufführen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

12.54

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeord­neter Strasser. – Bitte, Herr Abgeordneter.