13.28

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin­nen und Kollegen! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Ich habe jetzt am Anfang eine ungewöhnliche Aufgabe vor mir, ich muss Herrn Blümel gegenüber Herrn Schellhorn in Schutz nehmen. (Abg. Zarits: Minister Blümel! Das sind Sie nicht mehr!) Wenn er sagt, jemand wäre links, so ist das als Kompliment gemeint, Herr Schellhorn, das ist keine Beschimpfung. (Beifall bei der SPÖ.)

Geschätzte Damen und Herren! Als Robert Schuman am 9. Mai 1950 gesagt hat: „Es geht nicht mehr um leere Worte, sondern um eine mutige Tat [...] Damit der Frieden eine echte Chance hat, muss es zuerst ein Europa geben“, begannen Frauen und Männer, die von dem erlebten Grauen geprägt waren, mit Mut und Visionen etwas Neues aufzubauen. Sie begannen, faktische Grenzen und Grenzen im Kopf nieder­zureißen. Im Gegensatz zu diesen Frauen und Männern in den Fünfzigerjahren ent­steht bei mir der feste Eindruck, dass diese Bundesregierung ausschließlich eine einzige europapolitische Vision hat, nämlich die Vision, echte Grenzen und Grenzen im Kopf wieder zu errichten. Das ist Ihr Ziel während dieser Ratspräsidentschaft, geschätzte Damen und Herren, und nichts anderes! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz.)

Wenn die Herren Kurz, Kickl und Blümel damals am Werk gewesen wären, geschätzte Damen und Herren, können Sie davon ausgehen, dass Nationalismus und Klein­staa­terei nicht zurückgedrängt worden wären und dass die nächste europäische Ka­tastro­phe binnen Kurzem wieder eingetreten wäre. Das wäre das Ergebnis gewesen, wenn Sie damals am Werk gewesen wären. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Aber das ist zum Glück hypothetisch, das haben wir uns erspart. Wir müssen darüber reden, was Sie machen und was Sie vielleicht auch nicht machen. Jetzt kann man über temporäre Grenzkontrollen unterschiedlicher Meinung sein und das unterschiedlich beurteilen. Das gestehe ich zu. (Ruf bei der ÖVP: In der SPÖ!) Aber dann machen Sie wenigstens in diesem Fall das gescheit, was Sie machen. Ich kenne mich ja nicht mehr aus! Kollege Lopatka erzählt, dass die Balkanroute geschlossen ist, das Mittelmeer geschlossen ist und auch sonst alles geschlossen ist, und Kollege Haider erzählt gleichzeitig, wer alles daherkommt. Also, wer von Ihnen hat jetzt recht? Wenn Sie schon etwas machen, dann machen Sie es gescheit! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz. – Abg. Haider: Das war wegen Italien!)

Oder die Grenzkontrollen: Herr Kollege Pilz hat Spielfeld in der Steiermark ange­sprochen. Ich habe dort vor Kurzem eine Radtour gemacht. Ja, in Spielfeld steht ein Polizist, der die Autos durchwinkt. Wen er da erwischt, weiß ich nicht. Gleich neben Spielfeld, geschätzte Damen und Herren, gibt es einen zweiten Grenzübergang, der 3,8 Kilometer entfernt ist. Das ist nicht die Welt. Wissen Sie, wer dort ist? – Niemand! Also, wenn Sie etwas machen, machen Sie es gescheit und machen keine Symbol­politik, geschätzte Damen und Herren, denn das ist das Einzige, was Sie tun! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz. – Abg. Stefan: Die SPÖ fordert verstärkte Überwachung!)

Dazu kommt noch, was Sie nicht tun. Vor lauter Grenzenaufstellen vergessen Sie die wahren Probleme in Europa. Wenn Sie vorgeben wollen, den Menschen zu helfen und Sie zu schützen, dann tun Sie etwas gegen Lohn- und Sozialdumping, denn das trifft die Menschen bei uns mehr, insbesondere in den Grenzregionen! (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Dann kämpfen Sie gegen die Arbeitslosigkeit! Aber was ist mit dem Kampf für Rechts­staatlichkeit und Demokratie in Europa? Sie biedern sich den Orbáns und Kaczyńskis an und verhindern, dass wir bei uns im Außenpolitischen Ausschuss überhaupt darü­ber diskutieren können, dass Demokratie in Europa abgebaut wird. Das tun Sie ja auch nicht, das Gegenteil ist der Fall! (Beifall bei der SPÖ.)

Was ist mit dem Kampf gegen Steuervermeidung und Steuerdumping? – Nein, Sie schütten nicht nur die heimischen Großkonzerne mit Milliarden zu, Sie schauen, dass das in Europa auch geschieht, geschätzte Damen und Herren. (Zwischenruf der Abg. Jachs.) Das ist Ihre Politik und nichts anderes! (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Rädler.)

Diese und andere Versäumnisse muss man Ihnen zu Recht vorwerfen. Die Dominanz der Grenzen in Ihrem Kopf hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Sie diese große Chance der Ratspräsidentschaft ganz einfach versemmelt haben, geschätzte Damen und Herren. Versemmelt haben Sie sie! (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ.)

Ihre Antwort auf die Probleme, die es gibt, ist die falsche Antwort. Ihre Antwort ist nicht „mehr Europa“, wie es sein müsste, und zwar um die Stärke Europas zielgerichtet einzusetzen und diese Dinge zu bekämpfen, Ihre Antwort ist, Grenzen aufzubauen. (Abg. Rädler: Widerstand leisten!) Geschätzte Damen und Herren, Ihr europa­politi­scher Weg ist ein Weg mit einem Schritt nach vorne und drei Schritten zurück, und es ist noch dazu die falsche Richtung. Das ist Ihre Europapolitik! (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ.)

Herr Abgeordneter Haider, ich habe Ihren Debattenbeitrag sehr (Abg. Haider: Genos­sen!) intensiv verfolgt, noch eine Anmerkung zum Schluss: Wer im Champagnerhaus sitzt, soll nicht mit Prosecco um sich schmeißen, Herr Haider! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Liste Pilz. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

13.34

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeord­nete Fürst. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.