11.32

Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M. (PILZ): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ge­schätzte Ministerin! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! (Anhaltende Zwischenrufe.) – Ich würde gerne mit meiner Rede starten.

Es gibt innerhalb Österreichs keine Branche und keinen Ort, die nicht vom Fach­kräftemangel bedroht sind. Der Fachkräftemangel, und ich zitiere eine Studie von Ernst & Young, ist momentan das größte Risiko für Österreichs Wirtschaft. Und was tun Sie dagegen, Frau Ministerin? – Sie reden immer nur davon, dass etwas gesche­hen muss, aber eigentlich tun Sie für die Klein- und Mittelbetriebe in diesem Zusam­menhang nichts.

Es gibt österreichweit 12 500 offene Lehrstellen und nur 10 000 Lehrstellensuchende. Was könnten Sie denn dagegen tun? – Sie könnten die Lehre wesentlich attraktiver gestalten. Sie könnten den Mindestlohn erhöhen. Sie könnten weitere soziale Maßnah­men umsetzen, um nicht nur die Lehre, sondern auch die Mangelberufe attraktiver für die Bevölkerung zu gestalten. Aber es passiert nichts! Unsere Klein- und Mittelbe­triebe brauchen jetzt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht erst irgendwann. (Bei­fall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Nun gibt es in Österreich eine Gruppe von Menschen, die arbeiten wollen, die arbeiten können und die arbeiten möchten. Es gibt Menschen in Österreich, die aus ihrer Hei­mat vertrieben wurden, die einen steinigen und gefährlichen Weg gegangen sind, um sich eine neue Existenz aufzubauen, um Schutz anzusuchen. Sie sind Terror und Ver­folgung entkommen und haben überlebt. Es ist eigentlich ein Glück, dass diese Men­schen hier sind, dass sie überlebt haben. Diese jungen Menschen haben hier einen Antrag auf Schutz gestellt, haben einen Antrag auf Asyl gestellt. Einige von ihnen ha­ben die Chance ergriffen, haben alles getan, was zu tun ist: Sie haben die Sprache gelernt, sie haben eine Ausbildung nachgeholt, die sie in Afghanistan nicht machen konnten – viele von ihnen haben in ihrem Leben nichts anderes gesehen als Krieg –, sie haben gelernt, sie haben gearbeitet, sie haben sich doppelt so viel angestrengt wie jeder andere, um hier am Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu sein, um einen Job zu be­kommen. Sie haben Unfassbares geleistet.

Es sind nicht viele, die es geschafft haben. Es sind auch nicht viele, die einen Job be­kommen haben und die eine Lehrstelle bekommen haben. Es handelt sich um rund 1 000 Asylwerber, die hier Fuß fassen konnten und die sich hier derzeit in einer Lehre befinden. Das sind tüchtige, das sind strebsame Menschen, und die werden von unse­ren heimischen Betrieben gebraucht, aber auch geschätzt.

Diese Menschen wollen Sie jetzt abschieben, weil sie einen negativen Asylbescheid haben. Jetzt müsste man sich vor Augen führen: Ja, sie haben einen negativen Asylbe­scheid, aber gleichzeitig erfüllen diese Menschen fast alle Bedingungen, um hier legal arbeiten zu können. Sie erfüllen fast alle Bedingungen, um die Rot-Weiß-Rot-Karte be­antragen zu können. Und ich sage fast, weil diese Rot-Weiß-Rot-Karte, und da gibt mir Abgeordneter Hammer ja recht, reformiert werden muss. Die muss zugänglicher ge­macht werden, damit heimische Klein- und Mittelbetriebe wirklich die Möglichkeit ha­ben, sich Lehrlinge aussuchen zu können, die hier im Land sind. (Beifall bei der Liste Pilz sowie des Abg. Leichtfried.)

Ich möchte noch einmal auf diese Rechtsstaatlichkeitsdebatte eingehen, weil es mir einfach ein Dorn im Auge ist, dass immer auf die Rechtsstaatlichkeit verwiesen wird und es immer heißt, die Rechtsstaatlichkeit muss beachtet werden. Da gebe ich Ihnen ja recht – als Anwältin, als Juristin ist mir die Rechtsstaatlichkeit wichtig (Abg. Bela­kowitsch: Aber?) –, aber die Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass jeder vor dem Gesetz gleich ist und dass für jeden das Gesetz auch gleich angewendet wird. (Abg. Bela­kowitsch: Eben!) Es ist unsere Pflicht, dort genau zu schauen, wo das nicht der Fall ist (Abg. Leichtfried: Ein sehr guter Einwand!), wo eben das Recht nicht für alle gleich ist.

Schauen wir uns doch einmal die Verwaltungsbehörde an, die Asylbescheide ausstellt, das BFA. Wir haben einen Anteil von aufgehobenen Bescheiden von 42 Prozent. 42 Prozent der erstinstanzlichen Bescheide werden aufgehoben! Das ist unerträglich, wenn man bedenkt, dass diese Zahl in keinem anderen Verwaltungsverfahren so hoch ist. Es ist umso unerträglicher, wenn man bedenkt, dass dieses Verwaltungsverfahren immens wichtig ist, weil das Leben der Menschen, die Schutz brauchen und diesen nicht bekommen und ungerechtfertigterweise diesen nicht bekommen, vom Tod bedroht ist. Deswegen hat diese erstinstanzliche Behörde eine immense Verantwor­tung.

Um Ihnen zu zeigen, dass sie dieser Verantwortung teilweise nicht gerecht zu werden scheint, möchte ich Ihnen ein paar Textstellen aus den erstinstanzlichen Bescheiden dieser Behörde vorlesen. Dann können Sie selbst entscheiden, ob wir nicht aufstehen müssen und hier wirklich aufschreien müssen, weil diese Bescheide nämlich nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipen ausgestellt werden.

Einer Person, die Asyl beantragt hat, weil sie homosexuell ist, wurde vorgeworfen: Wenn sie tatsächlich ein Interesse an Homosexualität hätte, dann müsste doch porno­grafisches Material auf ihrem Handy zu finden sein. (Ruf bei der SPÖ: Ein Skandal!)

Einer anderen Person wurde vorgeworfen: „Völlig an den Haaren herbeigezogen“ – ich zitiere, bitte, das BFA – „sind Ihre Behauptungen, dass Frauen im Islam keine Rechte hätten. Es ist bekannt, dass in Afghanistan Frauen in nahezu allen Berufen tätig sind. Sie studieren auf Universitäten, sind in den Medien aktiv, sind politisch Aktiv und sogar Provinzvorstände.“ (Abg. Leichtfried: Das ist ja unerhört!) Und dann kommt noch das Absurde: „Es gibt Yoga-, Schwimm- und Radfahrgruppen in Kabul, [..]“

Das sind die Begründungen, mit denen Personen abgeschoben werden, mit denen Personen in ein Land geschickt werden, in dem sie einfach nicht sicher sind! – Vielen Dank. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Haben Sie jetzt den ganzen Bescheid vorgelesen? War das der ganze Bescheid? – Abg. Gudenus: Sie diskreditieren eine ganze Behörde!)

11.39

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Wer­ner Neubauer. – Bitte.