22.58

Abgeordnete Dipl.-Ing. (FH) Martha Bißmann (ohne Klubzugehörigkeit): Herr Prä­sident! Liebe Bürgerinnen und Bürger, die Sie immer noch hier sind! Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Viele von Ihnen waren ja auch vergangenen Sonntag im Palais Niederösterreich. Wir haben die Gründung der Republik vor 100 Jahren gefeiert. Für mich war es echt ein zutiefst ergreifender Moment. Ich werde die Bilder, die Gesichter dieser 208 Abgeordneten – es war ein großes Plakat hinter uns –, die sich am 21. Ok­tober 1918 versammelt haben, um unsere erste freie, demokratische, parlamentarische Republik Österreich zu gründen, nie vergessen.

In den Jahren danach wurde auch der Sozialstaat gegründet, also mit vielen politi­schen Maßnahmen der Grundstein gelegt, einen modernen Sozialstaat zu gründen, von dem wir heute immer noch profitieren. Eine der wichtigsten Errungenschaften der Ersten Republik in den Jahren nach der Gründung war der Bau von Gemeindewoh­nungen vor allem im Roten Wien der Zwanzigerjahre – aber nicht nur, sondern auch in anderen Städten.

Bis zum Jahr 1934 entstanden 61 175 Wohnungen in 348 Wohnhausanlagen und 5 227 Wohnungen in 42 Reihenhaussiedlungen. Im Jahr 1934 lebte jeder zehnte Wie­ner und jede zehnte Wienerin in einem Gemeindebau. Diese Maßnahmen, die vor hun­dert Jahren gesetzt worden sind, sind für jeden oder für viele von uns heute noch spür­bar, weil durch die Durchmischung von Gemeindewohnungen mit Privatwohnungen in allen Bezirken in Wien, aber auch in anderen Städten, die Mieten stabil niedrig bleiben.

Warum ist Wien seit 2009 neunmal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt worden? – Unter anderem auch aufgrund der günstigen Lebenskosten, und da spielen Gemeindewohnungen eine wesentliche Rolle. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.)

Diese wichtige Errungenschaft der Ersten Republik – leistbares Wohnen – ist heute in Gefahr – wir haben schon einiges davon gehört –, zum Beispiel durch die Veräußerung von Gemeindewohnungen. Kollege Einwallner hat beim Rechnungshofbericht zu die­sem Thema davor gewarnt. Es geht um Immobilienhaie, die aus reiner Profitgier die Mietpreise hochpuschen, aber auch die Veräußerung von Gemeindewohnungen ist wirklich eine große Gefahr.

Um diese Gefahren abzuwehren, ist die Stadträtin der KPÖ aus Graz – Kollegin Was­sermann, diese KPÖ hat in Graz einige Jahre lang die Vizebürgermeisterin gestellt, fährt Wahlergebnisse auf kommunaler Ebene in Graz von 20 Prozent ein und hat auch 18 Jahre lang das Wohnressort in Graz innegehabt! – nach Wien gereist und hat 7 947 Unterschriften übergeben, die die Bürgerinitiative „Wohnen darf nicht arm ma­chen!“ unterstützen. Dazu gibt es ein Foto von Elke Kahr mit Doris Bures, der Zweiten Nationalratspräsidentin.

Was diese Bürgerinitiative fordert, sollte eigentlich selbstverständlich sein; Kollege An­toni hat den Inhalt schon aufgezählt. Eine Forderung wurde in der Zwischenzeit wirklich schon erfüllt, nämlich betreffend die Vergebührung der Mietverträge. Es dauert eben sehr lange, bis so eine Bürgerinitiative den parlamentarischen Prozess durchwandert. Eine wichtige Kernforderung aber ist: keine Privatisierung öffentlichen Wohnraums und Ausweitung des kommunalen öffentlichen Wohnbaus, und darauf muss man eben noch schauen und diesbezüglich muss man Maßnahmen setzen. Wohnen darf nicht arm machen!, das ist die Kernbotschaft! (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Leistbares Wohnen ist ein Recht. (Abg. Neubauer: Sie müssen Kompetenzen abste­cken!) Vor 100 Jahren haben 208 Abgeordnete den Grundstein dafür gelegt – ehren wir sie, würdigen wir sie, sie haben den heutigen Sozialstaat gegründet!

Liebe Abgeordnete der FPÖ, ich habe jetzt eine spezielle Nachricht für Sie! (Ruf bei der FPÖ: Und zwar?) Sie präsentieren sich gerne als Partei des kleinen Mannes (Ruf bei der FPÖ: Unter anderem! – Abg. Zanger: Und der kleinen Frau!), es sollte Ihnen deshalb ein besonderes Anliegen sein, die Forderungen der Bürgerinitiative ernst zu nehmen. Wenn wir schon von „kleinen“ Männern reden: Geschiedene Männer, vor al­lem Familienväter, sind ganz besonders von hohen Mietpreisen und Obdachlosigkeit betroffen. Zu deren persönlicher Tragödie kommen nämlich auch die finanziellen Eng­pässe durch doppelte Wohnkosten oder Alimentezahlungen. Helfen Sie doch dem klei­nen Mann, nehmen Sie sich dessen Schicksal zu Herzen und die Vorschläge der Bür­gerinitiative ernst! (Abg. Neubauer: Welche Partei vertreten Sie denn? Sie vertreten sich selber!)

Es ist Ihre Aufgabe als Bundesregierung, der Wucherei am Wohnungsmarkt Einhalt zu gebieten. Leistbares Wohnen ist auch ein ideales Thema für parteiübergreifende Initia­tiven. Ich ersuche die geschätzten Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für Bauten und Wohnen, sich dieses Themas wirklich ernsthaft anzunehmen.

Wohnen ist ein Grundrecht (Präsidentin Bures gibt das Glockenzeichen) – es muss leistbar bleiben! – Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.)

23.03

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Mar­tin Graf. – Bitte.