10.19

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Herr Bundeskanz­ler! Herr Vizekanzler! Eines vorweg, Herr Kollege Nehammer: Ihre Obsession mit der Opposition kann ich Ihnen nicht nehmen, aber was ich keinesfalls akzeptiere, ist, wenn Sie sich hier herstellen und sagen, wir haben nur versucht, tagespolitisches Kleingeld zu wechseln.

Ich darf Sie an die Geschäftsordnung des Nationalrates, § 97a, Aktuelle Stunde, er­innern: „Die Plenarberatungen einer Sitzungswoche werden mit einer Aktuellen Stunde eingeleitet, wenn dies von fünf Abgeordneten schriftlich [...] verlangt wird.“ Ich halte es für mein Recht als Parlamentarier, dass ich zu einem Thema, das eine ernst zu neh­mende Debatte braucht, nämlich zum UN-Migrationspakt, eine Aktuelle Stunde verlan­ge, in der debattiert wird. (Abg. Hauser: Er hat sich eh schon bedankt! – Abg. Rosen­kranz: Ja, und ich habe mich auch schon bei Ihnen bedankt, weil es so gut ist!) – Ja, das ist eh schön, dass Sie sich bedanken. Wieso die Tatsache, dass man über The­men, die gerade tagesaktuell sind, diskutiert – was für ein selbstbewusstes Parlament ganz normal ist –, in irgendeiner Art und Weise ein Wechseln von politischem Kleingeld sein sollte, müssen Sie dann auch Ihren Wählern erklären. (Beifall bei NEOS, SPÖ und JETZT.)

Ich glaube, wir sind uns grundsätzlich einig, dass Österreich – wir haben seit einem halben Jahr den EU-Vorsitz inne – in dieser Situation, glaube ich, Herr Bundeskanzler, eine Vorbildfunktion innehat. Ich halte es für richtig, wenn man in dieser Vorbildfunktion Verantwortung für das große Ganze übernimmt und versucht, etwas weiterzubringen. Das, was Österreich gemacht hat, und das, was Sie hier an den Tag legen, das ist das, was ich am wenigsten verstehe. Man kann zum Migrationspakt geteilter Meinung sein, man kann das inhaltlich diskutieren. Dass man aber am Schluss stolz darauf ist, ein in­ternationales Abkommen zu torpedieren, das verstehe ich nicht. Das ist nämlich genau das, was Sie machen, wenn Sie ein Land nach dem anderen aufzählen, das Ihnen ge­folgt ist. Ja selbstverständlich, es sind Ihnen andere Länder gefolgt, weil Österreich begonnen hat, dieses Abkommen ganz absichtlich zu torpedieren! (Abg. Gudenus: Nach uns machen sie es! Wir sind Vorreiter!)

Der zweite Punkt, der mir in dem Zusammenhang immer wieder negativ aufstößt, ist die Situation dieses Aufzählens. Ich habe das mit Bundesminister Blümel beim letzten Mal schon diskutiert. Meine Mutter hat mich immer gefragt, ob ich nachspringe, wenn einer irgendwo runterspringt. (Ruf bei der FPÖ: Was ist denn das für eine Polemik? – Zwischenruf des Abg. Deimek.) Das Hauptargument, das ich die meiste Zeit höre, ist: Na ja, die anderen machen es ja auch; also Israel macht es, die USA machen es, Tschechien macht es und so weiter und so fort! – Ich halte das für ein absurdes Argu­ment, dass man aufzählt, wer sonst noch etwas macht.

Herr Bundeskanzler, weil Sie Premierminister Babiš angesprochen haben und auch Generalsekretär Nehammer ja immer wieder Aussendungen dazu schickt – aus wel­chen Gründen auch immer –, sage ich Ihnen ganz ehrlich: Sie können Babiš gerne in Ihre Fraktion aufnehmen, ich brauche ihn nicht bei mir. Sie haben Orbán, der passt zu Ihnen, es passt auch Babiš zu Ihnen. Ich brauche solche Leute nicht in meiner Frak­tion. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Rädler: Das ist der Punkt, wir entscheiden! – Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Die Distanzierung meinerseits ist ganz unproblematisch. Das ist das, was ich mir von Ihnen erwarten würde. (Abg. Lopatka: Tun Sie etwas, Kollege Scherak! Werden Sie aktiv! – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.) Ja, schauen Sie, ich weiß nicht, im Gegensatz zu Ihnen diskutieren wir solche Themen ernsthaft intern in der Fraktion. (Abg. Rädler: Schreiben Sie einen Brief an Babiš! – Zwischenruf des Abg. Gerstl.) Wir waren beim Alde-Kongress in Madrid, Herr Kollege Lopatka. Wir diskutieren das. Sie sind die Fraktion, die Viktor Orbán seit Ewigkeiten den Rücken stärkt und nicht ernst­haft darüber diskutiert, ob Viktor Orbán Platz in der Europäischen Volkspartei hat. (Bei­fall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Rädler: ... Bedeutungs­losigkeit!)

Zum Inhalt des Migrationspaktes: Es gibt da ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Kollege Haider, der heute leider nicht da ist, glaubt ja, dass es das Hauptziel dieses Paktes und das Hauptziel von António Guterres ist, Migration zu fördern, und dass man das damit macht. Er hat in einer Aussendung geschrieben, Guterres habe das in seiner Rede sogar betont, dass man das entsprechend macht. Ich weiß jetzt nicht, ob es auf FPÖ TV eine andere Version der Rede gibt, aber in der Rede, die ich gesehen habe, sagt António Guterres nichts davon, dass Migration gefördert werden soll.

Was er sagt, und das ist das, was der Pakt im Grunde genommen will, ist, dass wir Mi­gration gemeinsam dadurch lösen, dass wir genau das, was auch der Bundeskanzler immer wieder angesprochen hat, endlich machen, nämlich dass, wie es der Bundes­kanzler immer gefordert hat, wir und nicht die Schlepper entscheiden, wer zu uns kommt, dass wir die Ärmsten und die Schwächsten schützen, und dass wir absolute Schlüsselarbeitskräfte nach Österreich bekommen, das entsprechende Know-how und die entsprechenden Talente. (Abg. Höbart: Das machen wir sowieso! – Abg. Gude­nus: Das schaffen wir auch ohne Pakt, keine Sorge! – Ruf bei der FPÖ: ... nationales Recht!)

Da die Rot-Weiß-Rot-Karte, die ja angeblich dazu beitragen soll, schon erwähnt wurde: Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist leider Gottes der ultimativste Rohrkrepierer, den wir in Ös­terreich haben. (Abg. Winzig: Die ist gerade in Arbeit, Herr Scherak!) Mit ihr hat man es nie geschafft, die wichtigen Schlüsselarbeitskräfte, die wir in Österreich brauchen, herzubringen. Das braucht schon längst eine Reform, und das ist das, was die an­gebliche Wirtschaftspartei ÖVP leider nie zustande gebracht hat. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Herr Vizekanzler, ich fand einen Satz von Ihnen sehr amüsant – ich habe Sie so ver­standen –, Sie haben vorher gesagt: Kein vernünftiger Mensch würde einen Vertrag unterschreiben, den er so nicht haben will. Das haben Sie ungefähr so gesagt. (Vize­kanzler Strache: Den er nicht mitträgt!) – Genau, den er nicht mitträgt. Das ist bei je­mandem, der immer gegen Ceta war und dann Ceta plötzlich mitträgt, zumindest eini­germaßen schwierig nachzuvollziehen. Ich halte Sie an und für sich für einen vernünf­tigen Menschen, aber da tue ich mir einigermaßen schwer, das so zu bringen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wissen Sie, was ich an der ganzen Sache so fatal finde: Es wird hier suggeriert, insbe­sondere von der FPÖ, dass wir mit diesem Nein zum Migrationspakt in irgendeiner Art und Weise Migration stoppen werden, und das ist der große Fehler. (Abg. Hauser: Die Verpflichtung ...! Tun Sie die Leute richtig informieren!) Man kann über einzelne Dinge, die da drinstehen, geteilter Meinung sein; das ist gar nicht der Punkt. Wenn man aber im Hinblick auf die außenpolitische Tradition Österreichs aufhört, auf internationaler Ebene solche Dinge ernsthaft zu verhandeln beziehungsweise – so wie wir es jetzt ge­macht haben – das über Jahre und Monate ernsthaft verhandelt, und dann am Schluss vor dem Populismus einknickt, halte ich das für den falschen Weg. (Abg. Deimek: Das Volk wird es uns danken, euch vielleicht nicht!)

Wir können das Thema Migration nur gemeinsam lösen. Wir können es nur weltweit lö­sen. Das schaffen wir mit diesem populistischen Schritt, einfach zu sagen: Nein, wir halten uns da jetzt raus, und damit ist alles gut!, und damit der Bevölkerung zu sug­gerieren, dass damit alle Probleme gelöst sind, sicher nicht. So wird es garantiert nicht funktionieren. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

10.24

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Zadić. – Bitte.