11.13

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Frau Staatssekretärin! Vor allem aber geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rossmann, für die Möglichkeit, nach einem Jahr ein Stück weit Bilanz über die Arbeit der Bundesregierung zu ziehen und noch einmal zusam­menzufassen, welche Richtungsentscheidungen wir in diesem Jahr getroffen haben.

Ich darf vielleicht mit einem Blick zurück auf den 15. Oktober beginnen: Der 15. Okto­ber war in Österreich nicht nur ein Wahltag, da fiel nicht nur eine Wahlentscheidung, sondern auch eine Richtungsentscheidung. Die Menschen in Österreich haben am 15. Oktober für Veränderung gestimmt, und sie haben für ein neues politisches System, für einen neuen Umgang einer Regierung miteinander und für eine andere Art der Politik gestimmt. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Die Menschen in Österreich haben ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass sie den Streit satthaben und eine Regierung wollen, die zusammenarbeitet. Die Menschen in Österreich haben zum Ausdruck gebracht, dass sie sich ein Aufbrechen der Strukturen wünschen und eine Politik, die auch wieder dafür sorgt, dass den Menschen, die arbeiten gehen, mehr zum Leben bleibt.

Wir haben uns nach dem 15. Oktober schnell an die Arbeit gemacht, eine Regierung zu bilden, und haben, als andere Staaten wie Deutschland, die vor uns gewählt haben, noch verhandelt haben, bereits gearbeitet; wir haben bereits 100 Tage gearbeitet, als dort schließlich eine Regierungsbildung möglich war. Wir als Bundesregierung haben also vor einem Jahr die Arbeit aufgenommen und setzen seither genau das um, was wir im Wahlkampf versprochen haben. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Herr Rossmann, es wundert mich nicht, dass Ihnen das missfällt, weil Ihre Partei schon im Wahlkampf eine ganz andere Linie für Österreich vertreten hat, und es wundert mich nicht, dass es Ihnen jetzt ein Jahr nach Regierungsbildung – wir setzen genau das um, was wir angekündigt und versprochen haben – noch immer missfällt. Das ist für uns jedoch nur ein Beweis dafür, dass wir sehr genau das abarbeiten, was wir uns vorgenommen haben. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. Zwischenruf des Abg. Zinggl.)

Ich sage Ihnen voller Freude ein Jahr nach Regierungsbildung: Österreich steht heute gut da. Blicken wir uns in der Europäischen Union um: Wir haben in Deutschland eine Phase der politischen Ungewissheit in der Koalition von CDU und Sozialdemokratie. Wir erleben in Italien, dass eine massive Überschuldung stattfindet, die Italien, aber vielleicht auch die Eurozone gefährden könnte. Es gibt Staaten in der Europäischen Union, gegen die gerade ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren läuft. (Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.) Und in Frankreich brennen Autos, und gewaltbereite Linke und Rechte versuchen, die Champs-Élysées zu zerstören.

Wir erleben ein schwieriges Umfeld in vielen anderen europäischen Staaten, und ich bin stolz darauf, Ihnen heute mitteilen zu können, dass Österreich gut dasteht und die Entwicklung in unserem Land eine höchst positive ist. Ich danke Ihnen für die Möglichkeit der inhaltlichen Auseinandersetzung und möchte, weil Sie fünf Punkte aufgelistet haben, zu diesen fünf Punkten Stellung nehmen.

Beginnen wir bei der Schuldenpolitik: Nach über 60 Jahren Schuldenpolitik in Öster­reich wurde die Schuldenpolitik in unserem Land beendet. Wir werden im nächsten Jahr endlich keine neuen Schulden mehr machen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. Zwi­schenrufe der Abgeordneten Drozda und Rossmann.)

Es sind gerade die sozial Schwachen, die langfristig davon profitieren. Schauen wir in Länder, die Schuldenpolitik betrieben haben! Wo wurden in Griechenland Kürzungen notwendig? – Bei Familien, bei sozial Schwachen, bei Menschen, die in einer gesundheitlich schwierigen Situation sind, und bei den Pensionistinnen und Pensionisten. Schuldenpolitik zu betreiben ist langfristig das Unsozialste, was ein Staat tun kann. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Zweitens, Entlastung: Wen haben wir in diesem ersten Jahr entlastet? Kleine Ein­kommen und Familien, und ich halte das für vollkommen richtig. Wir haben mit dem Familienbonus eine Maßnahme beschlossen, die arbeitenden Menschen bis zu 1 500 Euro Entlastung pro Kind bringt. Wir haben mit der ersten Entlastungsmaß­nah­me, die wir schon im Jänner beschlossen haben, sichergestellt, dass Beziehern von kleinen Einkommen – unter 1 950 Euro brutto – jedes Monat mehr zum Leben bleibt. (Abg. Rossmann: Falsch!) Es ist erst ein erster Schritt, aber es ist ein wichtiger Schritt, damit arbeitenden Menschen wieder mehr zum Leben bleibt. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Dritter Punkt, Reform der Sozialversicherungsträger: Das ist eine Reform, die seit Jahrzehnten eingefordert wurde, eine Reform, die sich viele Regierungen vorge­nommen haben, eine Reform, die in mehreren Regierungsprogrammen gestanden ist, ganz gleich, welche Konstellation gerade in der Regierung war. Was gefehlt hat, waren der Mut und die Entschlossenheit, diese auch gegen Widerstände durchzusetzen.

Ich bedanke mich bei allen, die diese Reform, die dazu führt, dass die Struktur schlanker wird und am Ende des Tages mehr bei den Patientinnen und Patienten überbleiben wird, möglich gemacht haben. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. Abg. Meinl-Reisinger: Das stimmt nicht! Abg. Loacker: Die Versicherten werden nichts davon merken, sagt der Wöginger!)

Viertens, die Reform der Mindestsicherung: Wir haben wahrscheinlich ein unterschied­liches Weltbild. Meine Meinung ist: Menschen in Österreich sollten die Möglichkeit haben, selbst ihren Beitrag zu leisten. Menschen in Österreich sollten nicht in staat­licher Abhängigkeit gehalten werden, sondern jeder sollte dabei unterstützt werden, die Kraft zu haben, für sich selbst und für seine Familie zu sorgen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.) Wir wollen keine staatliche Abhän­gigkeit, sondern wir wollen Armut dadurch bekämpfen, dass wir die Menschen unter­stützen, in die Arbeit zu kommen und selbst für sich sorgen zu können. Sozial ist nicht, was in Abhängigkeit hält, sozial ist, was stark macht. (Abg. Kucharowits: Was machen Sie mit den Kindern?)

Ich garantiere Ihnen, dass diese Reform der Mindestsicherung nicht nur mehr für Menschen bringt, die unsere Hilfe wirklich brauchen – AlleinerzieherInnen, Menschen mit Behinderungen –, sondern dass sie vor allem dazu führt, dass die Arbeitslosigkeit zurückgehen wird und wieder mehr Menschen in unserem Land am Arbeitsmarkt teilhaben werden, für sich selbst sorgen können und in einer Familie leben werden, in der nicht die Kinder die Einzigen sind, die in der Früh aufstehen. Das ist eine wirklich soziale Politik. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Fünfter Punkt: Wir haben ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent – und sind damit innerhalb der Europäischen Union an der Spitze –, eine Arbeitslosigkeit, die im Vergleich zum Vorjahr stark zurückgeht, und: Die positive Entwicklung kommt bei den Menschen an! Die ersten Lohnabschlüsse zeigen, dass es die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, die ab dem nächsten Jahr von diesem Wachstum profitieren werden. Mit der Pensionserhöhung, die diese Bundesregierung beschlossen hat, er­halten die BezieherInnen kleiner Pensionen deutlich mehr als unter den sozialdemo­kratisch geführten Vorgängerregierungen. Das ist die Politik dieser Bundesregierung! (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Zwischenrufe der Abgeordneten Schellhorn und Vogl.)

Ich danke für die Möglichkeit, dass wir uns mit den Inhalten unserer Arbeit auseinan­dersetzen und das eine oder andere zurechtrücken können, was hier falsch behauptet wird.

Gestatten Sie mir ein letztes Wort zum Stil: Wenn Sie vom Austrofaschismus sprechen, dann spalten Sie unsere Gesellschaft. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Zwischenruf des Abg. Keck.) Ich bitte Sie – und ich glaube, da gibt es für die nächsten Jahre durchaus Luft nach oben –, stets die inhaltliche Debatte zu suchen; das ist wichtig für eine Demokratie. Ich finde es auch bereichernd, dass es unterschiedliche Zugänge gibt und die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit haben, zu entscheiden, welchen Zugang sie für richtig erachten, aber ich würde Sie ersuchen, stets respektvoll im Ton zu bleiben. Eine inhaltliche Debatte ist in einer Demokratie notwendig. Ein Herabwürdigen von anderen, ein Spalten der Gesellschaft oder ein Nichtakzeptieren von demo­kratischen Wahlentscheidungen tut unserem Land gewiss nicht gut. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Abg. Jarolim: Also dass man eine Präsidentschaft so versemmelt, ist schon ...!)

11.22

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Wöginger ist zu Wort gemel­det. – Bitte.