12.12

Abgeordneter Dr. Alfred J. Noll (JETZT): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Frau Staatssekretärin! Hohes Haus! Für eine Bilanz ist es natürlich viel zu früh, insofern gebe ich dem Herrn Bundeskanzler recht: Wenn man etwas beginnt, dann kann man nicht schon vor dem Ende sagen, wie es ausgegangen ist. – Das ist aber schon das Einzige, wo wir wirklich vollinhaltlich übereinstimmen. (Abg. Rosenkranz: Aber immerhin!)

Ich will mir erlauben, auch wenn es in diesem Haus nicht wirklich en vogue ist, zwei Schritte zurückzutreten. Ich halte diese Regierung und auch die Regierungsfraktionen insgesamt für in kolossalem Maße perspektivlos – perspektivlos im Hinblick auf die Herausforderungen, die die Zeit an uns stellt, ideenlos im Hinblick auf die Aufgaben, die uns tatsächlich von technologischen, wirtschaftlichen, politischen und internatio­nalen Entwicklungen aufgenötigt werden – und möchte zwei, drei Dinge benennen, die ich für charakteristisch erachte, wenn es darum geht, einen Maßstab an diese Regierung anzulegen.

Was sehen wir, wenn wir tatsächlich vorurteilsfrei in die Welt blicken? Wir sehen einen ungehinderten Prozess der Monetarisierung aller Lebensbereiche. Nur mehr das, was Geld verspricht, nur mehr der- oder diejenige, die Geld hat, zählt etwas; wer kein Geld hat, zählt nichts mehr. Wir sehen einen unentwegten Prozess nationaler und inter­nationaler Kommerzialisierung aller Lebensbereiche. Nur mehr das, was sich ver­kaufen lässt, was über den Markt vermittelbar ist, nur diejenigen Werte, für die es einen Preis gibt, ungeachtet dessen, ob sie einen Wert haben oder nicht, werden hochgelobt, werden erzeugt, werden promotet und verdienen Anerkennung. Das gilt insbesondere auch und vor allen Dingen im Bereich der Medien. Was sich nicht verkaufen lässt, das zählt nicht mehr, und was wir loben, ist nur noch das, was einen Abnehmer gefunden hat.

Dann gibt es auch einen Prozess, der zunehmend mehr Leute trifft, gerade auch in diesem Land, nämlich einen Prozess der Prekarisierung aller Lebensbereiche. Die Menschen verlieren die Zuversicht, dass sie für sich selber eine Lebensperspektive entwickeln können, dass sie durch ihre berufliche Ausbildung für den Verlauf ihres Lebens, aber auch für den Verlauf des Lebens ihrer Kinder etwas sichern können. Das alles findet vor einem Prozess der Digitalisierung, der Automatisierung und der Robotisierung statt. (Abg. Haubner: In meinem Wahlbezirk schaut es anders aus, das sag’ ich dir ganz ehrlich!)

Und für all diese Bereiche, um die wir uns hier im Haus kümmern sollten, ist kein Platz, darüber wird nicht diskutiert. (Beifall bei JETZT.) Nichts davon ist Gegenstand öffent­licher Debatte im Hohen Haus, sondern wir haben hier im Haus – und ich reduziere es jetzt auf ein sicher überspitztes, aber, wie ich meine, insgesamt ganz signifikantes Maß – nur die Aufgabe, die von der Regierung erlassenen Dekrete mit dem Män­telchen der Gesetzlichkeit zu versehen; sonst machen wir hier in diesem Haus kaum etwas.

Mich wundert es ja, dass insbesondere die konservativen Parteien nicht gegen die Prozesse, die in diesem Land abgehen, Sturm laufen. Zum Beispiel die zunehmende Vernachlässigung ländlicher Lebensbereiche: Wir entkernen die Dörfer, die Gemein­den quasi menschlich und wirtschaftlich und machen sie nur mehr zu Schlafstätten derjenigen, die irgendwohin pendeln, um einem Job nachzugehen (Abg. Hauser: Deswegen haben wir das generelle Rauchverbot gekippt!), aber nicht mehr die Möglichkeit haben, tatsächlich ihre normale und übliche Lebenswelt als ihre Heimat zu empfinden, weil es dort keinen Greißler, keinen Frisör, keinen Elektriker und sonst auch nichts mehr gibt. Und diese Regierung tut hier weiter. (Beifall bei JETZT. – Abg. Winzig: Blödsinn!)

Auf einen Punkt dessen, was Herr Kollege Rosenkranz gesagt hat, möchte ich schon noch eingehen: Diese besondere Betonung der Rechtsstaatlichkeit kann man ja nicht aus den Bekundungen ablesen, sondern aus dem, was tatsächlich in diesem Land besteht. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag hat die Veranlassung, auf die tatsächliche Situation in diesem Land aufmerksam zu machen. Wir lassen die österreichische Bevölkerung die Justiz mit 117 Prozent überfinanzieren und nehmen dieses Geld ein, um ganz andere Budgetposten zu bedienen. Wir haben in Österreich eine Situation, dass auf 100 000 Einwohner im internationalen Vergleich 11,7 Staats­anwälte, in Österreich aber nur 4,1 Staatsanwälte kommen. Tatsächlich sehen wir im Justizbereich einen zwar sehr sprechfreudigen Justizminister, dieser wird aber nichts­destotrotz budgetär ausgehungert.

Ich komme zum letzten Satz: Ich meine – wir werden heute noch auf den Bereich ORF und auf anderes zurückkommen –: Bei den grundsätzlichen Problemen in diesem Land sagt sich die Regierung: Wir sind bereit, alles zu ändern, wenn es nur gleich bleibt. – Und das ist zu wenig. (Beifall bei JETZT sowie des Abg. Leichtfried.)

12.18

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Vizekanzler Strache. – Bitte.