11.01

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Kanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Werte Mitglieder der österreichi­schen Bundesregierung! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Lopatka, in einem gebe ich Ihnen völlig recht: Es ist ein sehr schwieriges Umfeld, in dem die österreichische Ratspräsidentschaft stattfindet; große Herausforderungen gibt es nicht nur in diesem Halbjahr, sondern sie betreffen Europa derzeit wirklich unmittelbar. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Umso mehr bedauere ich es – das muss ich mit aller Ernsthaftigkeit sagen –, dass hier in der Erklärung – vor allem in der des Kanzlers, dann aber auch in der des Vize­kanzlers – meines Erachtens wieder die immer gleichen Phrasen gedroschen wurden und eigentlich das monothematische Aufladen von Migration und Sicherheit fortgeführt wurde und wir nicht über andere Themen gesprochen haben, die ganz große Heraus­forderungen in Europa darstellen (Zwischenruf des Abg. Lopatka), wie zum Beispiel der Klimawandel oder der Brexit.

Ganz kurz vielleicht zur Frage – ich glaube, da sind wir nicht einer Meinung –: Was ist eigentlich der Beitrag der österreichischen Ratspräsidentschaft zu den vielen Themen, die da genannt wurden?

Ich habe hier einen Kanzler und einen Vizekanzler in voller Pracht und Eitelkeit erlebt (Abg. Wöginger: Na, na, na! – Abg. Rosenkranz: Sehr sachlich!), die gerade darge­legt haben, wofür alles Österreich angeblich mitverantwortlich gewesen wäre. Angeb­lich eine Trendwende: Frontex. – Der Beschluss, Frontex auszubauen, ist etwas, das alle Staats- und Regierungschefs schon lange mit sich getragen haben.

Ich frage Sie: Ganz im Ernst, wo ist etwas weitergegangen? Wo ist substanziell etwas weitergegangen, Herr Kanzler und Herr Vizekanzler? – Nirgendwo! (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Zweite Frage: Wie schaut es tatsächlich mit den Kooperationen mit Nordafrika aus? Wie kommen wir dort zu Special Economic Zones? Was ist da wirklich weitergegan­gen? – Nichts, überhaupt gar nichts! Es sind hohle Phrasen, immer die gleichen Phra­sen, und Sie schmücken sich hier mit fremden Federn. (Abg. Hammer: Haben Sie heute Ihren Klub vergessen? – Ruf: Die Mitglieder Ihrer Bewegung sind entsetzt!)

Ich glaube, der heutige Tag ist sehr entscheidend für Europa. Wenn wir nach Großbri­tannien schauen: Es tut mir sehr leid, dass dem hier nur ein so kurzer Zeitraum gege­ben worden ist, denn die Auswirkungen, auch des heute möglichen Misstrauensvotums gegen Premierministerin Theresa May, sind unter Umständen bedeutende Auswirkun­gen auf Europa.

Niemand kann generell Interesse daran haben, dass Großbritannien die Europäische Union verlässt – niemand! Es ist weder im Interesse der Briten noch ist es im Interesse der Europäerinnen und Europäer. Was allerdings die Debatte zeigt (anhaltende Zwi­schenrufe bei der ÖVP) – vielleicht hören Sie mir kurz zu, bevor Sie jetzt die ganze Zeit hineinrufen, denn der Lärmpegel ist ein Wahnsinn! (Abg. Wöginger: Was soll man denn da zuhören, das ist ja alles diffuses ...?! – Zwischenruf des Abg. Rosenkranz) –, ist, was Nationalisten und Populisten anrichten können, wenn die Demagogie freien Lauf hat und sozusagen ein ganzes Land in eine Staatskrise gestürzt wird und Chaos herrscht. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Die Leidtragende dieser Politik ist nicht die österreichische Ratspräsidentschaft, die so viel Arbeit hat, sondern die Leidtragenden sind die Menschen in Großbritannien, die in einer chaotischen Situation sind, die mit einer Situation konfrontiert sind, wo Betriebe abwandern, wo Arbeitsplätze verloren gehen, wo das Pfund an Wert verloren hat, wo wir wissen, dass ein ökonomisches Desaster droht.

Auch bei der Frage des Schutzes und der Sicherheit und der Zusammenarbeit in Si­cherheitsfragen sind die Menschen die Leidtragenden, wenn Nationalisten und Popu­listen den Weg des gemeinsamen Europas verlassen. Die Zusammenarbeit der Behör­den auf europäischer Ebene in Sicherheitsfragen ist ein ganz wesentlicher Baustein der Sicherheit der Menschen in Europa, und auch dieser Baustein ist auf jeden Fall in Gefahr, wenn die Nationalisten die Oberhand gewinnen. (Abg. Wöginger – in Richtung NEOS –: Applaus!)

An dieser Stelle ist es mir sehr wichtig, dass wir gut dafür Sorge tragen – darüber habe ich bedauerlicherweise wenig gehört –, dass wir einerseits die Rechte der Unions­bürgerinnen und Unionsbürger in Großbritannien, aber andererseits auch die Rechte der Britinnen und Briten in Europa sicherstellen. Das ist etwas ganz Wesentliches, denn wir sind in der Verantwortung, in diesem gemeinsamen Europa europäisch zu denken und Unionsbürger als Unionsbürger zu begreifen.

Daher bringe ich einen Entschließungsantrag ein, mit dem wir die Bundesregierung auffordern, dahin gehend zu wirken, dass die Rechte der Britinnen und Briten in Europa, aber auch der Unionsbürger in Großbritannien auch ohne Ablaufdatum sicher­gestellt werden, über die Zeit eines Brexits oder vielleicht auch Nichtbrexits hinaus.

Sehen Sie, meine Damen und Herren, was Nationalisten angerichtet haben, sieht man derzeit in Großbritannien. Es wurde versprochen, dass Milch und Honig fließen, dass 400 Millionen Pfund mehr für das Gesundheitssystem zur Verfügung stehen. Die Na­tionalisten und Populisten sitzen auch hier, sie sitzen direkt vor mir. Das sind jene, die ebenfalls zündeln, nämlich mit dem Gedanken eines Austritt Österreichs aus der Eu­ropäischen Union. (Beifall bei NEOS und JETZT sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Noch bevor die Abstimmung in Großbritannien stattgefunden hat, ist Ihr Mann in Euro­pa, Vilimsky, rausgegangen und hat gemeint, er wünscht sich jetzt auch eine Debatte über den Öxit in Österreich, er möchte gerne eine Abstimmung machen. (Die Rednerin hält einen Ausdruck eines Artikels mit einem Foto des EU-Abgeordneten Vilimsky unter dem Titel „Nach Briten-Deal: Vilimsky bringt ‚Öxit‘ ins Spiel“ in die Höhe.) Ich weiß, ich habe es schon ein paar Mal mit ihm diskutiert, er hat immer gesagt: Na ja, es geht ihm ja gar nicht darum, dass Österreich aus der Europäischen Union austritt, es geht ihm nur darum, dass überhaupt einmal eine Abstimmung darüber stattfindet.

Das ist doch lächerlich! Das ist ja irgendwie so, als würde ich sagen, ich bin ja gar nicht fürs Rauchen, ich bin nur für die Freiheit, dass sich jeder jederzeit eine Zigarette an­zünden kann. Das ist einfach lächerlich, das ist nicht glaubwürdig. Und wenn Sie die­sen Wunsch hegen, dass Österreich sich von diesem gemeinsamen Weg in Europa verabschiedet, dann sagen Sie es, dann halten Sie auch nicht damit zurück und sagen sozusagen hinter vorgehaltener Hand: Na ja, aber eigentlich wollen wir das eh auch nicht!, weil Sie jetzt auch anhand der Brexit-Debatte draufgekommen sind, welche öko­nomischen Auswirkungen das hat, dass das nämlich zu Desaster führt, zu Armut führt, zu weniger Sicherheit führt. Mehr Nationalismus, mehr Populismus machen Menschen arm und unsicher – das ist Faktum! (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Gott sei Dank gibt es bei uns nie eine Neoskratie, sondern nur eine Demokratie!)

Ich bin der Meinung, dass die Politikerinnen und Politiker in Großbritannien keine zwei­te Chance verdient haben, aber die Menschen haben eine zweite Chance verdient. Apropos Demokratie: Die Menschen haben eine zweite Chance verdient, und deshalb treten wir ganz entschieden dafür ein – ich meine, das können wir nicht umsetzen und wir geben auch niemandem Ratschläge, aber wir befürworten das sehr und stellen uns solidarisch auf die Seite der Menschen in Großbritannien, die von Populisten und Na­tionalisten getäuscht wurden, die ihnen schöne Sachen, Milch und Honig versprochen haben, und jetzt gehen sie in das ökonomische Desaster –, dass es ein zweites Re­ferendum gibt. Das ist unser Beitrag, die Solidarität mit den Britinnen und Briten: Wir wollen nicht, dass ihr geht, wir wollen, dass ihr bleibt! (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Noll. – Zwischenruf des Abg. Kassegger.)

Noch einmal zur Ratspräsidentschaft: Es wäre eine enorme Chance gewesen, eine rote Linie zwischen Nationalismus und Populismus und proeuropäischer Sachpolitik, die Europa weiterbringt, zu ziehen. Diese rote Linie haben Sie nicht gezogen, im Ge­genteil, Sie haben mit Worten wie Subsidiarität gezündelt. (Zwischenruf des Abg. Lo­patka.) – Herr Lopatka, Sie haben keine einzige Sache nennen können, die sie lieber auf nationaler Ebene, wieder in nationaler Souveränität zurückhaben wollen. (Zwi­schenrufe bei der ÖVP.)

Ich frage heute hier – ich habe es schon mehrfach gefragt –: Wenn Sie Subsidiarität, wenn Sie also sozusagen dieses Spiel mit dem Nationalismus, dass wieder mehr auf nationaler Ebene oder vielleicht regionaler Ebene geregelt werden sollte (Abg. Winzig: Subsidiarität, nicht Proportionalität heißt das! Subsidiarität, nicht Proportionalität!), so hoch halten, wo ist der Punkt, von dem Sie möchten, dass das wieder zurück in natio­nale Souveränität geht? (Abg. Wöginger: Jessas na!) – Es gibt keinen. Sie blenden die Menschen. Sie wollen die Menschen hier mit ihren nationalistischen Spielchen täu­schen, und das ist genau dieser Weg, der Europa zerstört und nicht der Weg, der Eu­ropa eint. (Ruf bei der ÖVP: Wo leben Sie eigentlich?) Eine proeuropäische Partei, die eine solche Ratspräsidentschaft mit immer den gleichen hohlen Phrasen und keinem europäischen Gedanken abliefert, hat das Wort proeuropäisch nicht verdient.

Noch ein Letztes: Der Blick in die internationalen Medien zeigt, wie die österreichische Ratspräsidentschaft eingeschätzt wird. Erst gestern wurden im „Politico“ wieder die Be­amtinnen und Beamten gelobt, die tolle Arbeit geleistet haben, aber das offizielle Ös­terreich, die Regierung ist kein „honest broker“, kein ehrlicher Makler, wenn es um die­se europäischen Fragen, insbesondere um Migration, geht. (Beifall bei den NEOS.)

Präsidentin Doris Bures: Sie haben den Antrag nicht verlesen! (Abg. Meinl-Reisin­ger – bereits im Begriff, das Rednerpult zu verlassen –: Ach, den muss ich vorle­sen?) – Ja, bitte. (Abg. Wöginger: Die ganze Rede ist ein Chaos!)

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (fortsetzend): Der Antrag lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen betref­fend „Gleichstellung von Unionsbürger_innen und britischen Staatsbürger_innen nach dem Brexit“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien, wird aufgefordert, sich nachdrücklich dafür einzusetzen, dass sowohl Unionsbürgerinnen und -bürger, als auch Britinnen und Briten, auch nach dem Brexit weiterhin dieselben Rechte in Großbritannien und in den Staaten der Euro­päischen Union genießen, sofern diese bereits vor dem Austritt dort ansässig waren. Weiters sollen jene Rechte nicht mit einem Ablaufdatum versehen sein.“

*****

Danke. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Wöginger: Fertig, ja?)

11.10

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger‚ MES, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Gleichstellung von Unionsbürger_innen und britischen Staatsbürger_innen nach dem Brexit

eingebracht im Zuge der Debatte in der 55. Sitzung des Nationalrats über EU-Erklä­rung des Bundeskanzlers gemäß § 74b Abs. 1 lit b der Geschäftsordnung des Natio­nalrates – TOP 1

Gemäß Vereinbarungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinten König­reich sollen die Rechte jener drei Millionen Unionsbürger_innen in Großbritannien und die Rechte der Million Briten, die in Staaten der Europäischen Union residieren, arbei­ten und studieren auch nach dem Austritt Großbritanniens geschützt sein. In Großbri­tannien erhalten die Unionsbürger_innen bei entsprechender Registrierung und Erfül­lung bestimmter Kriterien einen sogenannten "settled status". Nicht völlig geklärt ist allerdings, wer zu diesem Status berechtigt ist. Zusätzlich verlieren sowohl Unionsbür­ger_innen in Großbritannien, als auch Britinnen und Briten in der EU diese Rechte, sobald sie länger als fünf Jahre das Land verlassen. Das Ergebnis der Verhandlungen um die Rechte der Bürgerinnen beider Seiten ist also bis dato Unsicherheit über die Rechtslage, die Bürger_innen nach dem Austritt Großbritanniens zu erwarten haben.

Einer Schlechterstellung von Unionsbürger_innen gegenüber Britinnen und Briten gilt es, mit Rücksicht auf die Lebensentscheidungen der Menschen vor dem Brexit-Refe­rendum, möglichst zu verhindern. Sowohl Unionsbürger, die sich mit bestimmten Er­wartungen an Ihre Rechte vor dem Brexit in Großbritannien niederließen, als auch Bri­tinnen und Briten, die sich in den Staaten der Union ansiedelten, bevor der Austritt Großbritanniens bekannt wurde, sollen nicht die Leidtragenden des Austritts Großbri­tanniens aus der Europäischen Union sein.

NEOS setzen sich für eine gänzliche rechtliche Gleichstellung von in Großbritannien ansässigen Unionsbürger_innen mit den britischen Staatsbürger_innen und in der Eu­ropäischen Union ansässigen Britinnen und Briten mit Unionsbürger_innen der jeweili­gen Staaten ein und sprechen sich gegen ein Ablaufdatum dieser Rechte aus.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien, wird aufgefordert, sich nachdrücklich dafür einzusetzen, dass sowohl Unionsbürgerinnen und -bürger, als auch Britinnen und Briten, auch nach dem Brexit weiterhin dieselben Rechte in Großbritannien und in den Staaten der Euro­päischen Union genießen, sofern diese bereits vor dem Austritt dort ansässig waren. Weiters sollen jene Rechte nicht mit einem Ablaufdatum versehen sein."

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Präsidentin Doris Bures: Danke vielmals, Frau Klubvorsitzende. Dieser Entschlie­ßungsantrag ist somit auch ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Petra Steger. – Bitte.