11.39

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren von der Bundesregierung! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Galerie und vor den Fernsehschirmen! Frau Abgeordnete Steger hat die Opposition aufgefordert, dankbar zu sein. (Abg. Steger: Das wäre ein­mal angebracht!) – Ja, es ist schon möglich, dankbar zu sein, die Frage ist nur, wem gegenüber man dankbar ist. Ich bin, ich gebe es offen zu, dankbar gegenüber jenen, die versuchen, diesen Inszenierungsnebel, den die Bundesregierung in die Welt zu set­zen versucht, zu durchschauen.

Man sieht da eigentlich zwei Dinge. Ja, ich stimme mit Kollegen Kopf überein, der ge­sagt hat, die Beamtinnen und Beamten, die österreichischen Beamtinnen und Beamten hier und in Brüssel, haben herausragende Arbeit geleistet – und das unter schwie­rigsten Bedingungen. (Allgemeiner Beifall.)

Geschätzte Damen und Herren! Es geht um diese schwierigen Bedingungen, und die­se Bundesregierung (Abg. Steger: Ab jetzt wird es unwahr!) ist sicher ein Hauptteil die­ser schwierigen Bedingungen.

Sie werfen der Opposition manchmal vor, das etwas einseitig zu sehen. Sie haben Herrn Schieder zitiert, der einen deutschen Journalisten zitiert hat. – Machen wir es anders. „El País“, eine spanische Zeitung: „restriktive, unsolidarische und antieuropäi­sche Sichtweise“, so beschreibt sie die Ratspräsidentschaft. Die „Neue Zürcher Zei­tung“ bezweifelt die Uneigennützigkeit und bezweifelt den ehrlichen Makler. Wenn Sie ausländischen Zeitungen nicht trauen (Abg. Rosenkranz: War das eine Zeitung aus dem EU-Mitgliedsland Schweiz?): Othmar Karas warnt davor, dass diese Ratspräsi­dentschaft nur die eigenen österreichischen Interessen durchsetzen möchte und kein ehrlicher Makler ist. Oder auch der Außenminister aus Luxemburg sagt, diese Ratsprä­sidentschaft sei kein ehrlicher Makler. (Abg. Steger: Ist das der, der so wüst schimpft?)

Geschätzte Damen und Herren! Warum sagen die das alle? – Man muss versuchen, das zu objektivieren und diese Highlights, die hier geschildert wurden, etwas zu hinter­fragen. Ich verstehe, dass Herr Strache sich darüber freut, dass 60 000 Delegierte ein Wiener Schnitzel gekriegt haben, aber das, Kolleginnen und Kollegen, ist keine Leis­tung einer Ratspräsidentschaft, sondern das ist ja wohl selbstverständlich! (Beifall bei SPÖ und JETZT. – Abg. Steger: Aber Schnitzel sind schon gut!)

Was sind die Dinge, die wichtig sind? – Es sind meines Erachtens drei große Themen­bereiche, an denen jede Ratspräsidentschaft gemessen wird: Das Erste ist dieser Traum vom grenzenlosen Europa, von einem funktionierenden Schengensystem. An­ders als noch zu Zeiten, in denen wir aufgewachsen sind, konnten wir plötzlich feststel­len: Man kann von Salzburg in Richtung Deutschland weiterfahren und wird nicht mehr durchsucht. – Das war doch wunderbar! Jede Ratspräsidentschaft müsste eigentlich daran arbeiten, dass dieser Traum wieder Realität wird. (Abg. Haider: Den Traum habt ihr zerstört, 2015! Ihr Sozialisten, ihr habt diesen Traum zerstört!)

Was ist dieser Ratspräsidentschaft da gelungen? – Eine Voraussetzung: der Außen­grenzschutz und Frontex. Das ist wieder so ein typisches Beispiel: Der Herr Bundes­kanzler erzählt uns, das sei alles geregelt, das sei alles in Bahnen, das alles passie­re. – Es hat keinen einzigen Beschluss zu Frontex im Rat gegeben, geschätzte Damen und Herren! Das ist die Wahrheit, nicht diese Schalmeientöne, die Sie uns gegenüber hier abgeben, Herr Bundeskanzler! (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

Was ist eine weitere Voraussetzung? – Koordinierte Migrationspolitik, koordinierte Asylpolitik, ein Quotensystem wahrscheinlich, um endlich wieder offene Grenzen im Schengenraum zu bekommen. Was ist in diese Richtung passiert? – Überhaupt nichts ist passiert, geschätzte Damen und Herren! Eine Ausnahme: Das, was passiert ist, ist, dass sich diese Bundesregierung mehr damit rühmt, die Grenzen wieder zu schließen.

Das ist nicht der Traum von Europa, den die meisten Menschen auf diesem Kontinent haben, geschätzte Damen und Herren, das ist ein anderer Traum! Zusperren, Zuschlie­ßen und die Menschen wieder daran hindern, Grenzen zu überschreiten, das ist das, was Sie europapolitisch machen; und sonst geschieht eigentlich überhaupt nichts in diesem Bereich, geschätzte Damen und Herren! Im Hinblick auf diesen Traum ist Ihre Ratspräsidentschaft ein Debakel, das muss man einmal ganz offen sagen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Steger: Sie haben diesen Traum zerstört mit Ihrer Flüchtlingspolitik!)

Das Zweite ist der Raum des gemeinsamen Arbeitens, der gemeinsame Wirtschafts­raum. Die Grundfreiheiten der EU wirken hier wahrscheinlich am stärksten auf die Bürgerinnen und Bürger ein. (In Richtung Bundeskanzler Kurz, der auf seinem Handy liest:) Ist das Candy Crush, Herr Bundeskanzler? (Bundeskanzler Kurz: Ich höre Ihnen schon zu, entspannen Sie sich!) – Ich bin außerordentlich entspannt, aber es wäre viel­leicht höflich, wenn Sie nicht Candy Crush spielten. (Ruf bei der SPÖ: Despektierlich! – Abg. Rosenkranz: Was ist mit Ihnen?!) – Herr Rosenkranz, Sie spielen auch Candy Crush oder was, weil Sie sich jetzt gerade zu Wort gemeldet haben? (Abg. Rosen­kranz: Was ist mit Ihnen? Ich habe Ihnen schon einmal etwas gesagt, Sie wissen!) – Was haben Sie denn gesagt? (Abg. Rosenkranz: Das ist Ihre Zeit!)

Na, dann machen wir weiter. Der Herr Bundeskanzler hört mir nicht zu, aber ich werde trotzdem weiterreden. (Rufe und Gegenrufe zwischen SPÖ und FPÖ. – Abg. Steger: Jetzt ist ihm nichts mehr eingefallen, jetzt hat er eine Pause gemacht!)

Die Grundfreiheiten des freien Personenverkehrs und der freien Wahl des Arbeitsplat­zes sind Dinge, die für mich die zweitwesentlichsten Bereiche dieser Europäischen Union sind, und diese Grundfreiheiten werden derzeit ausgenützt – zum Schaden der Menschen, die hart für ihr Geld arbeiten müssen. Lohn- und Sozialdumping: Fragen Sie die Bauarbeiter in der Südsteiermark, an der burgenländischen Grenze, wie sie sich dabei fühlen, dass die Entsenderichtlinie dazu ausgenützt wird, dass durch Scheinfirmen, durch Scheinarbeitsverhältnisse, durch Scheinselbstständigkeit Lohn- und Sozialdumping betrieben wird! – Dagegen, geschätzte Damen und Herren, hat die­se Bundesregierung auch nichts getan.

Herr Strache spricht von dieser Arbeitsagentur. Die Frau Sozialministerin wollte sie ei­gentlich verhindern, hat sie aber doch verzögert, sodass sie jetzt ein inhaltsloser Torso ist, nur eine Ratsposition, es gibt sie nicht. Sie haben gar nichts bewirkt, Sie haben überhaupt nicht dafür gesorgt, dass die ArbeitnehmerInnen in Österreich geschützt werden, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

Das Dritte ist Steuergerechtigkeit: Wie können die Menschen an dieses Europa glau­ben, wenn der Würstlstand bei uns draußen Steuern zahlt, aber Starbucks nicht, wenn eine Buchhandlung Steuern zahlt, aber Amazon nicht, wenn ein Programmierer bei uns, der selbstständig ist, Steuern zahlt, aber Apple nicht, geschätzte Damen und Her­ren? Sie haben auch gegen diese Situation überhaupt nichts unternommen. Die Digi­talsteuer hat nicht funktioniert, Panama ist von der Steueroasenliste genommen wor­den, und die Finanztransaktionssteuer haben Sie beerdigt. Das waren Ihre Leistungen während dieser Ratspräsidentschaft, geschätzte Damen und Herren, und das war das dritte Debakel! (Zwischenruf des Abg. Lopatka.)

Drei wichtige Felder, die diese Ratspräsidentschaft hätte bearbeiten sollen, hat sie nicht bearbeitet. Sie haben für Europa vielleicht einen Schritt nach vorne gemacht, aber gleichzeitig drei zurück, und das in die falsche Richtung, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

Deshalb möchte ich jetzt auch folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „faire Ar­beitsbedingungen in Europa – Lohn- und Sozialdumping bekämpfen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert

- sicherzustellen, dass Lohn- und Sozialdumping europaweit bekämpft wird, um gute Rahmenbedingungen für ein faires und soziales Europa zu schaffen;

- zu diesem Zweck u.a. die Gründung einer Europäischen Arbeitsagentur mit echten Kontrollrechten zu unterstützen;“

– Sie verstehen: gründen und echte Rechte, das ist der Unterschied –

„- den Sitz dieser Agentur in Österreich vorzuschlagen.“

*****

Danke schön. (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

11.47

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Leichtfried, Genossinnen und Genossen

eingebracht in der 55. Sitzung des Nationalrates im Zuge der EU-Erklärung des Bun­deskanzlers gemäß § 74b Abs. 1 lit. b GOG-NR (TOP 1)

betreffend faire Arbeitsbedingungen in Europa – Lohn- und Sozialdumping bekämpfen

Begründung

Lohn- und Sozialdumping steht in Europa noch immer auf der Tagesordnung. Öster­reich ist davon besonders stark betroffen. Auf EU-Ebene wurde nun endlich die Über­arbeitung der Entsenderichtlinie finalisiert. Zusätzlich zu strengeren Regeln braucht es eine funktionierende grenzüberschreitende Kontrolle bei Arbeits- und Sozialvorschrif­ten, um Ausbeutung von Beschäftigten zu verhindern.

Österreich ist Zielland von Entsendungen, gleichzeitig steigt Lohn- und Sozialbetrug bei Entsendefirmen. Im Vorjahr kamen im 300.000 EU-Arbeitskräfte per Entsendung nach Österreich. Parallel dazu ist der Sozialbetrug durch neue betrügerische Praktiken gestiegen. Umso wichtiger ist es, das Prinzip "gleiches Entgelt am gleichen Ort für glei­che Arbeit" in allen EU-Staaten umzusetzen.

Kontrollen der österreichischen Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) belegen die Problematik: Bei Kontrollen im ersten Halbjahr 2017 gab es bei 0,9 Pro­zent der ArbeitnehmerInnen von österreichischen Betrieben Verdachtsfälle auf Unter­bezahlung, bei Entsendebetrieben mit einem Firmensitz in anderen EU-Staaten, die ih­re Beschäftigten nach Österreich entsenden, hingegen in 44 Prozent der Fälle.

Aber damit nicht genug: Das Problem der Scheinentsendungen und der fehlenden Sanktionsmöglichkeiten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten wird immer wieder in Österreichs Grenzregionen deutlich. Im Burgenland wurden im Vorjahr Strafen in Höhe von einer Million Euro von ungarischen Unternehmen eingefordert, davon konn­ten aber nur 2.000 Euro tatsächlich eingetrieben werden. Genau aus diesem Grund muss die grenzüberschreitende Kontrolle sowie der grenzüberschreitende Vollzug von Verwaltungs- und Strafverfahren lückenlos sichergestellt werden, indem die nationalen Behörden in den Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit verpflichtet werden.

Bei der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping ist noch einiges zu tun. Konkrete Maßnahmen wie die Schaffung einer europäischen Sozialversicherungsnummer, oder die Schaffung einer Europäischen Arbeitsbehörde müssen in naher Zukunft dringend gesetzt werden, um Lohn- und Sozialdumping effektiv zu bekämpfen.

Die Europäische Kommission stellte nun am 13. März 2018 entsprechend der Ankün­digung von Präsident Juncker in seiner Rede zur Lage der Union 2017 und im Rahmen des Paketes für soziale Gerechtigkeit, die Europäische Arbeitsschutzbehörde vor. Die Europäische Arbeitsschutzagentur soll den Bürgerinnen und Bürgern, den Unterneh­men und den nationalen Regierungen helfen, eine faire Arbeitskräftemobilität zu ge­währleisten.

Dies ist ein erster wichtiger Schritt, um den massiven Problemen im Zusammenhang mit Entsendungen wirksam zu begegnen. Denn die Mitgliedstaaten allein treffen wie oben dargestellt an administrative Grenzen, die auch die vorbildlichste rechtliche Re­gelung (vgl. das Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz) ins Leere laufen las­sen.

Umso bizarrer ist es, dass die schwarz-blaue Bundesregierung diesen sinnvollen Vor­schlag der EU-Kommission zuerst pro forma ablehnte, dann verzögerte und erst durch massiven Druck der Oppositionsparteien, der Sozialpartner und des Kommissionsprä­sidenten und nach der Kritik an der Absage eines Sozialministerrates, agierte und die­ses Dossier überhaupt verhandelte.

Selbst jetzt, nachdem sich die Bundesregierung dazu bitten ließ, doch zu verhandeln, ist das Ergebnis ein ausgesprochen Schlechtes: verwässerte Kontrollen, bloße Freiwil­ligkeit und genau das zahnlose Bürokratiemonster, das befürchtet wurde. Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping müssen auch durchsetzbar sein – mit bloßer Freiwil­ligkeit gewinnt man den Kampf gegen Dumpinglöhne und Steuerbetrug jedenfalls nicht. Eine sinnvolle Ausgestaltung zur Bekämpfung von grenzüberschreitendem Lohn- und Sozialdumping wäre das Ziel gewesen.

Nachdem nun erst die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament bevorstehen, das eine deutlich sinnvollere Position einnehmen dürfte, erhält die Bundesregierung ei­ne neuerliche Chance.

Während für Konzerne günstige Regelungen im Schnelldurchgang beschlossen wer­den, müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Preis dafür zahlen. Dies muss sich ändern.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert

- sicherzustellen, dass Lohn- und Sozialdumping europaweit bekämpft wird, um gute Rahmenbedingungen für ein faires und soziales Europa zu schaffen;

- zu diesem Zweck u.a. die Gründung einer Europäischen Arbeitsagentur mit echten Kontrollrechten zu unterstützen;

- den Sitz dieser Agentur in Österreich vorzuschlagen.“

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet: Herr Abgeordneter Mag. Roman Haider. – Bitte.