12.24

Abgeordnete Mag. Muna Duzdar (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Von der Bundesregierung ist ja nicht mehr viel da. (Abg. Hauser – in Richtung Bundesminister Blümel deutend –: Wer ist das? Der Minister! – Ruf bei der FPÖ: Das ist ja unerhört!) Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Galerie! (Abg. Winzig: Nicht so diskriminierend!) – Es sind weder Bundeskanzler, noch Vizekanzler da. (Abg. Ham­mer: Jetzt sitzen Sie nicht mehr dort!)

Die Ratspräsidentschaft geht zu Ende, und es gilt, heute Resümee zu ziehen und auf das letzte halbe Jahr zurückzuschauen. Ich habe dem Herrn Bundeskanzler heute zu­gehört – er ist ja nicht mehr da –, wie sein Rückblick auf die EU-Ratspräsidentschaft ausschaut. Es war nicht schwer vorauszusehen, denn dazu braucht man wirklich keine hellseherischen Fähigkeiten. Natürlich stand sein Lieblingsthema im Fokus, mit dem er ja sehr, sehr gerne andere Themen überspielt und überdeckt: Migration.

Wir haben erlebt, dass die ganze EU-Ratspräsidentschaft vom Thema EU-Außen­grenzschutz bestimmt war. Ich habe das sehr spannend und interessant gefunden, da man so getan hat, als ob man dieses Thema zum ersten Mal aufs Tapet gebracht hätte. Wir diskutieren das doch schon seit vielen, vielen Jahren, und ich kann mich er­innern, dass es einen österreichischen Außenminister gab, der manchmal so tut, als ob er der vorherigen Regierung gar nicht angehört hätte. Ich kann mich aber nicht erin­nern, dass er jemals zu einem verstärkten EU-Außengrenzschutz beigetragen hätte. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Steger: Wahrscheinlich hat ihn die SPÖ daran gehindert!)

Die Chuzpe an der ganzen Geschichte ist für mich, dass, während der Bundeskanzler sagt: Wir wollen einen verstärkten EU-Außengrenzschutz!, er überhaupt nicht bereit ist, finanziell mehr dazu beizutragen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist doch bitte ein Witz! (Abg. Leichtfried: Ja, genau!) Ich kann doch nicht irgendetwas for­dern und überhaupt nicht bereit sein, zur Lösung beizutragen. (Abg. Hammer: Sind jetzt die Grenzen dicht oder nicht?)

Ich habe aber den großen Verdacht, dass da ein gewisses System dahintersteckt, dass es im Grunde genommen nur darum geht, bestimmte Themen am Leben zu erhalten, damit man noch sehr, sehr lange und ewig darüber reden kann. Das, meine sehr ge­ehrten Damen und Herren, ist doch sehr typisch für eine Politik, die wir heute in Europa erleben, nämlich eine Politik, die von Politikern getragen wird – meistens sind es Poli­tiker und nicht Politikerinnen –, die verantwortungslos agieren, denen es überhaupt nicht mehr um die Sache geht, denen es überhaupt nicht mehr um ernsthafte Lö­sungen geht, sondern nur darum, in ihrem eigenen Land mit Stimmungsmache zu punkten. (Abg. Neubauer: Das war jetzt diskriminierend! Sexistisch war das!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was war der Brexit denn anderes? – Da ha­ben sich Rechtspopulisten aufgespielt, sich stark gemacht, mit den Ängsten der Men­schen gespielt, haben Milch und Honig versprochen und die haben das Land in eine Krise, in eine Sackgasse geführt. Sie haben einen Scherbenhaufen hinterlassen und haben sich letztlich aus dem Staub gemacht. (Abg. Hauser: Oje!) Ich frage Sie: Wohin sind die ganzen Camerons und Johnsons denn verschwunden? – Ich sehe sie nicht mehr. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Neubauer: Wo ist denn der Kern hingekommen?)

Genauso verantwortungslos wird mit der Flüchtlings- und Migrationsfrage umgegan­gen. Da sehe ich überhaupt keine Bereitschaft, gemeinschaftlich, im Interesse aller, im Interesse aller Staaten vorzugehen, aber das hat natürlich auch einen Grund, denn Na­tionalisten und rechte Parteien in Europa finden es doch viel spannender, von diesem Thema politisch zu profitieren. Ihnen ist es doch lieber, es gibt diese Probleme und die­se Missstände, denn von diesen Problemen lebt nämlich Ihre Politik, ganz nach dem Motto: Gäbe es keine Flüchtlinge, müssten Sie sie erfinden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Europäische Union befindet sich heute auch in einer Krise, weil ausschließlich die Interessen von Lobbyisten und Großkonzer­nen im Vordergrund stehen und diese auf den sozialen Zusammenhalt in der Europäi­schen Union pfeifen.

Ich denke, es kann doch nicht sein, dass die Europäische Union dazu dient, dass man einen Wettbewerb nach unten startet. Es kann doch nicht sein, dass sich Staaten ge­genseitig unterbieten, wenn es um die billigsten Arbeitskräfte und um die niedrigsten Sozialstandards geht. So eine Politik führt doch in eine Sackgasse und letztlich zur Zerschlagung unserer sozialstaatlichen Einrichtungen und auch zur Entfremdung der Bürger und Bürgerinnen von der Europäischen Union.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich erwarte mir von dieser Bundesregierung, dass sie sich gefälligst dafür einsetzt, dass das Lohn- und Sozialdumping in der Euro­päischen Union abgestellt wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Ehrlich gesagt: Was soll ich mir aber von einem Bundeskanzler erwarten, für den die sozialen Grundrechte im eigenen Land keine bis wenig Bedeutung haben? Was soll ich mir von jemandem erwarten, der in Wirklichkeit nur von der Industriellenvereinigung und von Großkonzernen gesteuert und finanziert wird? (Abg. Winzig: Ziemlich diskri­minierend!) Dass er sich jetzt plötzlich in Brüssel für die Arbeitnehmer einsetzt, das wird es halt leider nicht spielen. Man hat das ja an der Diskussion rund um die Schaf­fung einer EU-Arbeitsbehörde, die genau die Aufgabe gehabt hätte, darauf zu achten, dass die Löhne in Europa nicht nach unten gedrückt werden, gemerkt, meine sehr ge­ehrten Damen und Herren!

Ich muss sagen, ich war eigentlich ziemlich perplex, dass sich unsere Regierung, die doch diese Ratspräsidentschaft innehat, im Grunde genommen und vor allem auch am Anfang sehr stark gegen dieses Projekt gestellt hat. Und jetzt kommt eine EU-Arbeits­behörde, die in Wirklichkeit in abgespeckter Form kommt. Das zeigt wieder einmal ei­nes: Im Grunde genommen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Bundes­regierung, sind Ihnen die österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so etwas von wurscht, nämlich dahin gehend, ob sie unter Konkurrenz kommen oder ob der Druck auf sie steigt – es ist Ihnen wirklich egal, denn sonst hätten Sie sich viel stärker für die Schaffung dieser EU-Arbeitsbehörde eingesetzt. Das haben Sie nicht getan, und da war ich sehr enttäuscht von der Sozialministerin. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben es ja heute auch vom Bundeskanzler gehört, er hat die ganze Zeit von der Stärkung der EU-Wettbewerbsfähigkeit geredet. Ja, was heißt das im Grunde ge­nommen? – Ich erwarte mir nicht, dass die Europäische Union Wettbewerb nach unten bedeutet. Unsere Stärke besteht in unseren hohen und guten Sozialstandards, an denen sich andere Staaten orientieren und keine Abwärtsspirale nach unten in Gang setzten sollten.

Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren: Diese Bilanz der Ratspräsidentschaft ist für mich eine traurige, denn die Europäische Union steht heute gespaltener und zerrütteter als je zuvor da, und Sie von der Regierung, Sie hätten doch die Chance ge­habt, sich für mehr sozialen Zusammenhalt in der EU einzusetzen. Sie haben das nicht getan, Sie haben diese Chance in Europa verspielt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Abschluss möchte ich folgenden Ent­schließungsantrag einbringen (Zwischenruf des Abg. Neubauer):

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Steuer­vermeidung bekämpfen – Finanztransaktionssteuer und Digitalsteuer abschließen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, soll sich auf europäischer Ebene

- für die Einführung einer breit bemessenen Finanztransaktionssteuer einsetzen, die über eine reine Aktiensteuer hinausgeht und sowohl Wertpapier- als auch Derivatgeschäfte erfasst, und diese durch eine Einigung zum Abschluss bringen;“

(Abg Neubauer: ... der SPÖ haben Sie vergessen!)

„- für eine Digitalsteuer als schnell umsetzbare Übergangslösung, bis zu einer Einigung für die Verankerung von digitalen Betriebsstätten im internationalen Steuerrecht, ein­setzen, die dafür sorgt, dass große (Internet) Konzerne mit bestimmten digitalen Um­sätzen endlich Steuern dort zahlen, wo sie auch erwirtschaftet werden;

- dafür einsetzen, dass endlich Steuergerechtigkeit in Europa hergestellt wird;

- dafür eintreten, dass Großbritannien nach einem EU-Austritt zu keinem Niedrigststeu­erland in Europa werden kann, da dadurch die Unternehmensbesteuerung aller EU-Mitgliedstaaten unterlaufen würde.“

*****

Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

12.32

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Leichtfried, Kai Jan Krainer, Genossinnen und Genossen

eingebracht in der 55. Sitzung des Nationalrates im Zuge der EU-Erklärung des Bun­deskanzlers gemäß § 74b Abs. 1 lit. b GOG-NR (TOP 1)

betreffend Steuervermeidung bekämpfen – Finanztransaktionssteuer und Digitalsteuer abschließen

Begründung

In den vergangenen Jahren haben die Europäische Kommission, der Rat und das EU-Parlament nachhaltige Maßnahmen gesetzt, um Besteuerungslücken durch uner­wünschte Gewinnverschiebungen bzw. Steuervermeidungsmodelle im Anwendungsbe­reich des internationalen Steuerrechts zu schließen. Die traditionellen Steuersysteme knüpfen an die physische Präsenz eines Unternehmens für die Erhebung der Gewinn­steuern an. Durch die digitalen Geschäftsmodelle entsteht eine große Gerechtigkeits­lücke, nicht nur innerhalb der Unternehmensbesteuerung, sondern auch im Vergleich zu der Besteuerung von Arbeitseinkommen, die abgabenrechtlich jedenfalls immer bis auf den letzten Cent erfasst werden.

Ein Aspekt der Steuergerechtigkeit betrifft den finanziellen Beitrag des Finanzsektors zur Behebung der Kosten der zurückliegenden Finanzkrise.

Die Europäische Kommission hat mit Vorschlägen zur Finanztransaktionssteuer und zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft Maßnahmen erarbeitet, die durch die steuer­liche Erfassung der Gewinne von Unternehmen der digitalen Wirtschaft und Transak­tionen von Finanzmarktakteuren, den Steuerbeitrag dieser Branchen auf ein faireres Niveau anheben würden und die Gelegenheit bieten, die Besteuerung von Arbeits­aufkommen zu senken. Es ist daher von dringender Notwendigkeit mithilfe der Finanz­transaktionssteuer und der Digitalsteuer neue Einnahmen für den Unionshaushalt zu lukrieren.

Die Finanztransaktionssteuer hat bereits eine lange Vorlaufzeit und die österreichi­schen Bundesregierungen der letzten Jahre sind immer ein Vorreiter auf diesem Ge­biet gewesen. Während die Europäische Kommission erstmals im Jahr 2011 einen Vorschlag für eine eben solche Finanztransaktionssteuer machte, liefen in Österreich schon im Jahr 2008 die Vorarbeiten und Vorbereitungen für eine europäische Finanz­transaktionssteuer.

Bereits im Jahr 2008 wurde aus diesem Grund das Österreichische Institut für Wirt­schaftsforschung mit einer Studie zum Thema Finanztransaktionssteuer beauftragt.

In einem Entschließungsantrag zur „Einführung einer Finanztransaktionssteuer“ (50/UEA) hatten sich alle Fraktionen am 10.12.2008 dafür ausgesprochen, dass sich die Bundes­regierung für eine allgemeine FTT auf EU- und internationaler Ebene einsetzen soll.

Unter den ehemaligen ÖVP-Finanzministern Pröll, Fekter, Spindelegger und Schelling wurde zuerst eine EU-weite Finanztransaktionssteuer weiterverfolgt und auch, als die­se aussichtslos erschien, im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit eines Teils der Mitgliedstaaten weiterhin an einer Finanztransaktionssteuer gearbeitet.

Nun ist gerade unter der österreichischen Vorsitzführung das langjährige Projekt der Finanztransaktionssteuer de facto beendet worden.

Auch bei der Digitalsteuer hat es jüngst unter der österreichischen Vorsitzführung nicht mal zu einer Einigung auf einen deutsch-französischen Kompromiss gereicht, und das obwohl dieses Vorhaben laut der Bundesregierung von sehr hoher Priorität war. Die Bundesregierung hat im Programm des österreichischen Ratsvorsitzes festgeschrie­ben, dass die öffentlichen Haushalte vor schädlichem Steuerwettbewerb und Steuer­vermeidung geschützt werden müssen, und die begonnenen Arbeiten der EU zur Be­steuerung der digitalen Wirtschaft unter österreichischem Ratsvorsitz vorangetrieben werden sollen, um Gewinne dort zu besteuern, wo sie anfallen.

Zu sehen ist davon bis heute nicht viel.

Mit dem bevorstehenden Austritt von Großbritannien ergibt sich eine neue Dynamik und eine neue Chance um Steuergerechtigkeit in der Europäischen Union herzustellen. Die Finanzwirtschaft, die Banken und auch die (Internet-) Konzerne müssen endlich europaweit einen gerechten steuerlichen Beitrag leisten, das würde für mehr Steuer­gerechtigkeit in Europa sorgen.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, soll sich auf europäischer Ebene

- für die Einführung einer breit bemessenen Finanztransaktionssteuer einsetzen, die über eine reine Aktiensteuer hinausgeht und sowohl Wertpapier- als auch Derivatge­schäfte erfasst, und diese durch eine Einigung zum Abschluss bringen;

- für eine Digitalsteuer als schnell umsetzbare Übergangslösung, bis zu einer Einigung für die Verankerung von digitalen Betriebsstätten im internationalen Steuerrecht, ein­setzen, die dafür sorgt, dass große (Internet) Konzerne mit bestimmten digitalen Um­sätzen endlich Steuern dort zahlen wo sie auch erwirtschaftet werden;

- dafür einsetzen, dass endlich Steuergerechtigkeit in Europa hergestellt wird;

- dafür eintreten, dass Großbritannien nach einem EU-Austritt zu keinem Niedrigst­steuerland in Europa werden kann, da dadurch die Unternehmensbesteuerung aller EU Mitgliedstaaten unterlaufen würde.“

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Kira Grünberg. – Bitte.