12.59

Abgeordnete Mag. Dr. Sonja Hammerschmid (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zu­schauer auf der Galerie und vor den Fernsehbildschirmen! Lassen Sie mich mit den positiven Aspekten dieses Pädagogikpakets beginnen:

Der Förderunterricht ist in Zukunft für alle Schulstufen – in der Volksschule, in der Neu­en Mittelschule, in der Polytechnischen Schule oder auch in den Berufsschulen – ver­pflichtend, wenn die Lehrerinnen und Lehrer feststellen, dass Schülerinnen und Schüler Defizite haben. Das ist gut so. Außerdem werden auch in diesen Schulen re­gelmäßig Gespräche zwischen Kindern, Lehrerinnen und Lehrern und Eltern geführt. Auch das ist gut so und wird ganz sicher einen wesentlichen Fortschritt bringen. Der Pilot dafür waren die Neuen Mittelschulen, das möchte ich hier schon auch festhalten. Der einzige Wermutstropfen an diesen beiden Punkten ist, dass die AHS-Unterstufe im Besonderen ausgenommen ist – warum, weiß ich nicht. Der dritte positive Punkt ist, dass die Schülerinnen und Schüler, die die allgemeine Schulpflicht an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen abgeschlossen haben, ein freiwilliges zehntes Schuljahr an Polytechnischen Schulen bekommen, um sich einfach orientieren zu können. Auch das ist gut so und ich danke dafür. (Präsidentin Kitzmüller übernimmt den Vorsitz.)

Herr Bundesminister, leider ist aber der Rest des Pakets für mich nicht so positiv zu sehen und doch ein Stück weit wirklich enttäuschend, denn es ist in vielerlei Hinsicht ein Rückschritt, ein Rückschritt ins 20. Jahrhundert. Diesen Umstand haben zahlreiche Expertinnen und Experten, Pädagoginnen und Pädagogen und auch Eltern im Zuge der Begutachtung immer wieder lautstark kundgetan. Viele Eltern wollten Ihnen eigent­lich Unterschriften übergeben, können Sie aber leider nicht erreichen. Vielleicht hören Sie sie doch an, denn ich glaube, Sie haben sehr viel dazu beigetragen. Aus diesem Grund haben wir auch ein Expertenhearing im Unterrichtsausschuss gefordert und auch bekommen.

Was ist konkret das Thema? – Bleiben wir bei der Volksschule: Die Ziffernnoten wer­den ab der zweiten Klasse Volksschule wieder eingeführt. Wenn Ihr Kind im Septem­ber 2016 mit der Volksschule begonnen hat, dann konnten Sie als Elternteil im Schul­gemeinschaftsausschuss mitentscheiden, ob das Kind eine alternative Leistungsbeur­teilung bekommt oder mit Ziffernnoten beurteilt wird. Worum geht es in dieser alter­nativen Leistungsbeurteilung? – Sie sagt Ihnen sehr treffsicher, wo die Kinder Stärken und wo die Kinder Schwächen haben. Sie können als Elternteil handeln. Nehmen wir Deutsch her: Befriedigend – was sagt Ihnen das? – Nicht wirklich viel. Eine alternative Leistungsbeurteilung sagt Ihnen, dass Ihr Kind vielleicht sehr stark im Schreiben von Aufsätzen ist, aber Rechtschreibfehler macht oder vielleicht nicht lesen kann. Das er­fahren Sie aus der alternativen Leistungsbeurteilung (Abg. Hauser: Das ist ja auch möglich!), aber sicher nicht aus der Ziffernnote. (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

Warum wurde dieser Weg 2016 gewählt? – An 2 000 von den 3 000 Volksschulen, die wir haben, haben sich sehr viele Pädagoginnen und Pädagogen zu dieser alternativen Leistungsbeurteilung wirklich etwas überlegt und machen das sehr treffsicher und sehr gut. Im Hearing des Unterrichtsausschusses hat der Direktor der Integrativen Lern­werkstatt Brigittenau Josef Reichmayr dazu folgerichtig gesagt: „Da werden tausende Modelle, die Lehrer entwickelt haben, einfach wegradiert. Das ist eigentlich auch eine Entmündigung.“

Was beinhaltet dieses Pädagogikpaket noch? – Ab der zweiten Klasse Volksschule können Kinder wieder sitzen bleiben. Auch das haben wir erst 2016 geändert, sodass bis zur 3. Schulstufe kein Sitzenbleiben mehr möglich ist, und nun gibt es das wieder ab der zweiten Klasse. (Abg. Deimek: Aber der Erfolg des Systems ist, dass es keine gescheiten Lehrlinge mehr gibt! Wenn sie rechnen können, können sie nicht schrei­ben!) Professor Eder, der Sprecher der Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen und einer der Experten im Ausschuss, hat deutlich gesagt: Es gibt „kei­ne Hinweise, dass Klassenwiederholungen eine förderliche Wirkung haben“. Das zei­gen im Übrigen auch die OECD-Studien dazu. Ein Kind in der zweiten Klasse Volks­schule kann doch nicht zwischen einer negativen Beurteilung seiner Leistung in einem Schulfach und seiner Person unterscheiden – da das so lapidar in den Raum gestellt wurde –, das Kind bezieht diese Wertung immer zuerst auf sich selbst. Professor Eder hat davon gesprochen, dass das zu einem niedrigen Selbstkonzept von Schülerinnen und Schülern führt, das Kind wird aus seinem Klassenverband gerissen und jedenfalls demotiviert. – Das wissen wir. (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Neuen Mittelschulen, die jetzt nur mehr Mittelschulen heißen. Man führt hier wieder den A- und B-Zug – so tituliere ich es einmal, da jeder weiß, was damit gemeint ist – ein. Ab der 6. Schulstufe gelten zwei Leistungsniveaus, Standard und Standard AHS, und damit auch zwei unter­schiedlich ausführliche Lehrpläne. Herr Bundesminister, auch wenn ich weiß, dass Sie immer die Durchlässigkeit betonen, die Sie jedenfalls dadurch auch gegeben sehen, frage ich mich schon, wie denn das gelingen soll. Die Kinder im Standard-Teil lernen nur einen Bruchteil dessen, was Kinder im Standard-AHS-Teil lernen. Wie sollen diese Kinder aufschließen können, ohne dass ein Wunder passiert? Das ist ja ein immenser Aufwand, eine immense Forderung.

Schauen Sie nach Finnland! Finnland sagt von sich selbst in den Studien, in den Eva­luierungen, dass erst, als die letzte Leistungsgruppe aus dem System verschwunden ist, der Bildungserfolg in Finnland seinen Lauf genommen hat. Wir wissen, dass Finn­land zu den Pisa-Gewinnern und zu den Bildungsgewinnern gehört. (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

Abschließend bleibt mir zu sagen, dass es sehr bedauerlich ist, dass es offensichtlich keinen Willen gibt, auf Expertinnen und Experten, auf Pädagoginnen und Pädagogen zu hören, sie ernst zu nehmen, denn nach dem Expertenhearing wurde nichts an dem Pädagogikpaket verändert. (Abg. Deimek: Es gibt für jeden Experten, der etwas will, einen, der das Gegenteil will!) Dabei zeigen uns internationale Beispiele ganz andere Wege vor, aber Sie bewegen sich leider weg von evidenzbasierter Bildungspolitik. Dieses Pädagogikpaket ist ideologische Parteipolitik auf dem Rücken der Kinder, auf dem Rücken der Eltern. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

13.06

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Taschner. – Bitte.