9.09

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Und vor allem sehr geehrte Damen und Herren! Was soll heute hier im Nationalrat beschlossen werden? – Die Bundesregierung und Sie, Frau Ministerin, legen ein Gesetz zur Neuorganisation und Neustrukturierung der Sozialversicherung vor.

Wenn wir an die letzten Wochen oder an die letzten Monate denken, da wurde seitens der Regierungsspitze, aber auch von Ihnen, Frau Bundesministerin, viel gesagt, vor allem wurde auch vieles zu diesem Vorhaben und zu Ihren Plänen versprochen. Ich möchte die kommenden Minuten dafür nützen, Ihre Ankündigungen und Ver­sprechun­gen hier einem kleinen Faktencheck zu unterziehen.

Ihr Versprechen Nummer eins: Sie versprechen die gleichen Leistungen für alle Versicherten in Österreich (Ruf bei der FPÖ: Bravo!) – klare Betonung auf alle.

Versprechen Nummer zwei: Die Bundesregierung hat zu Beginn dieser Vorhaben und auch laufend von deutlich schlankeren Strukturen in der Sozialversicherung ge­sprochen. (Abg. Belakowitsch: Richtig!)

Versprechen Nummer drei der Bundesregierung: Es wird angeblich mehr Geld, viel mehr Geld, für Patientinnen und Patienten in Österreich durch Ihren Umbau und durch Ihre Pläne geben.

Jetzt stellt sich die berühmte Frage, die wir so oft an diesem Ort stellen müssen, weil wir eine starke Opposition sind (Heiterkeit bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ): Hält die Bundesregierung ihre Versprechen?

Schauen wir uns dazu das erste Versprechen an! Wird es wirklich gleiche Ver­sicherungsleistungen für alle Österreicherinnen und Österreicher geben? Für alle? – Nein, sehr geehrte Damen und Herren, wird es nicht! Vielmehr wird es drei große, verschiedene Versicherungsgruppen geben – eigentlich sind es noch viel mehr, aber auf die kann ich heute im Detail nicht eingehen –, drei große Gruppen mit ganz unterschiedlichen Leistungen, medizinischen und auch anderen.

Da gibt es zum einen die Versicherung der Beamten mit den besten Leistungspaketen seitens ihrer Versicherung: viermal höhere Zuschüsse, viermal höhere Rückerstat­tungen für Leistungen, kürzere Wartezeiten und vieles mehr. Dann gibt es zum Zweiten die Versicherungsgemeinschaft der Selbstständigen und der Bauern und dann gibt es die größte Gruppe an Versicherten, an Sozialversicherten, sieben Millionen Menschen, nämlich die Versicherung der Arbeiter und der Angestellten, sprich: alle ehemaligen Versicherten der neun Gebietskrankenkassen.

Ich sage Ihnen eines: Diese sieben Millionen Menschen sind die großen Verlierer Ihrer Pläne – sieben Millionen Verlierer in diesem Land! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Rossmann.) Fazit: gebrochenes Versprechen Nummer eins.

Kommen wir zu Ihrem zweiten Versprechen! Werden die Strukturen der Sozial­versicherung tatsächlich schlanker? – Nein, werden sie nicht, sehr geehrte Damen und Herren! Stattdessen installiert Schwarz-Blau eine zusätzliche, fette Verwaltungsebene mit dem klingenden Namen Österreichische Gesundheitskasse – mit neuer Macht­struktur wohlgemerkt, denn das ist der wahre Hintergrund dieses Aufbaus und Um­baus. Fazit: gebrochenes Versprechen Nummer zwei. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Nun zum dritten großen Versprechen: Wird es am Ende durch Ihren Kranken­kassenumbau wirklich mehr Geld – das wäre voll in meinem Sinne als Ärztin, das wäre voll in unserem Sinne als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – für die Patientinnen und Patienten geben? – Sie wissen es, Frau Bundesministerin, und Sie wissen es auch, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: Der Rechnungshof stellt Ihnen da ein vernichtendes Urteil aus – ein vernichtendes! Auch andere, der Budgetdienst dieses Hauses und andere Expertinnen und Experten, gehen von Kosten Ihrer Pläne in Milliardenhöhe aus. Das sind Milliarden an Versicherungsgeldern der sieben Millionen Angestellten und Arbeiter, die hier versichert sind, der ehemaligen Gebietskran­kenkassenversicherten, und ihrer Angehörigen.

Das sind Milliarden, die künftig in der medizinischen Versorgung fehlen und die die Unterschiede zwischen den drei großen Berufsgruppen, den drei großen Versiche­rungsgruppen noch größer machen werden, die das Thema der Dreiklassengesundheit und der Dreiklassenmedizin zur Realität werden lassen.

Das sind Milliarden, die diese sieben Millionen Versicherten durch ihre monatlichen Beiträge eingezahlt haben, die Sie diesen sieben Millionen Menschen einfach weg­nehmen – so wie Sie bereits 500 Millionen Euro aus der Unfallversicherung heraus­genommen haben, sehr geehrte Damen und Herren.

Sie wissen so gut wie ich, dass im nächsten Schritt die Einführung von Selbstbehalten, Ambulanzgebühren und Leistungskürzungen kommen wird. Sie wissen es, weil wir es vor 15 Jahren unter Schwarz-Blau I schon erlebt haben, weil wir es alle erleben und spüren mussten, wie die Ambulanzgebühren und auch viele Kürzungen auf dem Rücken der Sozialversicherten eingeführt wurden. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.) Nur diesmal haben Sie Ihre Schritte in diese Richtung viel tiefgreifender gemacht, viel brutaler aus meiner Sicht. Fazit: nicht mehr Geld für die Patientinnen und Patienten, gebrochenes Versprechen Nummer drei.

Ganz zu schweigen davon sind Sie, sehr geehrte FPÖ, wieder einmal im Liegen umgefallen (Beifall bei der SPÖ – Heiterkeit bei der FPÖ) und haben Ihre Wähler und Wählerinnen auf Geheiß der ÖVP einmal mehr verraten, indem Sie zulassen, dass künftig die Wirtschaft und die Arbeitgeber maßgeblich darüber entscheiden werden, wie die Gesundheitsversorgung der sieben Millionen ehemaligen Gebietskranken­kassenversicherten aussehen wird, was künftig von der Kasse bezahlt oder besser nicht mehr bezahlt wird, wie viele Arztverträge es geben wird, welche Kranken­standsregeln es geben wird, wie viele Kuraufenthalte genehmigt werden. All das liegt künftig nicht mehr in der Hand der Versicherten selber, sondern in der Hand der Wirtschaft und der Arbeitgeber. (Beifall bei der SPÖ.)

Drei gebrochene Versprechen der Bundesregierung: Ja, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben unterschiedliche Ansichten, divergierende politische Einstellungen, aber was heute hier passiert, ist brandgefährlich. (Zwischenruf des Abg. Neubauer.) Sie setzen eine gut funktionierende, ausfinanzierte Gesundheitsversorgung aufs Spiel – eine Gesundheitsversorgung, die acht Millionen Menschen 24 Stunden am Tag an 365 Tagen des Jahres das Leben rettet, Leben verlängert, mit allen medizinischen Möglichkeiten, die wir kennen. Acht Millionen Menschen wissen Sie State of the Art medizinisch behandelt, modernst versorgt. Es gibt weltweit nicht viele Gesundheits­systeme, die da mithalten können. Ich bin stolz, stolz auf dieses solidarische Gesund­heitssystem! (Anhaltender Beifall bei der SPÖ sowie Beifall der Abg. Zadić.)

Unsere über 100 Jahre alte Sozialversicherung war bisher der Garant für dieses große Stück Gerechtigkeit in unserem Land. (Ruf bei der FPÖ: Geh bitte!) Was die Zukunft betrifft, so bin ich mir da leider nicht mehr so sicher, und ich bin mir auch nicht sicher, ob Sie alle hier, sehr geehrte FPÖ und ÖVP, und Sie, Frau Bundesministerin, wirklich in vollem Umfang wissen, was Sie heute hier beschließen. – Danke schön. (Anhal­tender Beifall bei der SPÖ sowie Beifall der Abg. Zadić. – Abg. Wöginger: Das war eine dünne Suppe!)

9.18

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Belakowitsch. – Bitte. (Abg. Jarolim: ... kann man nicht voraussetzen! – Abg. Lausch: Guten Morgen, Herr Jarolim! Auch schon wach? – Abg. Gudenus: Auch schon aufgewacht?)