9.39

Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (JETZT): Herr Präsident! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Liebe Mitbürgerinnen und Mit­bürger! Ja, das gegenwärtige System ist alles andere als perfekt, und ja, Reformen sind notwendig – Reformen, um ein möglichst effizientes System sicherzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass die Leistungen bei jenen ankommen, die sie brauchen, und das sind die Versicherten in diesem Land, das sind die Pensionistinnen und Pensionisten, das sind die Patientinnen und Patienten. (Unruhe bei ÖVP und FPÖ.) Sehr geehrte Kolleginnen von den Regierungsfraktionen, ich würde mich sehr über Ihre Aufmerksamkeit freuen!

Es braucht Reformen, die hochwertige Leistungen sicherstellen. In den Bereichen, in denen das Verletzungsrisiko, das entsprechende Krankheitsrisiko höher ist, braucht es die Unterstützung, wenn sie notwendig ist, und keine eingeschränkten Leistungen. Reformen sind nötig, um ein Mehr an Mitbestimmung, ein Mehr an Demokratie und Selbstverwaltung sicherstellen zu können.

Warum ist das notwendig? – Es ist aus einem ganz, ganz leicht erklärbaren Grund notwendig, nämlich um die Selbstverwaltung auch garantieren zu können, das heißt um garantieren zu können, dass jene, die die Beiträge zahlen, schlussendlich auch darüber entscheiden können, wer sie in den Gremien vertritt, wie ihre Mittel aus­gegeben werden und wofür sie ausgegeben werden. All das wären Reformen, die von meiner Seite auf alle Fälle zu 100 Prozent unterstützenswert wären.

Das, was Sie hier aber in Form der Regierungsvorlage präsentieren, beinhaltet all das nicht. Was Sie mit dem Gesetzentwurf zu dieser Organisationsreform vorgelegt haben, ist ganz einfach ein Papier alten Stils unter dem Motto: Gut ist, was stark macht! – oder um es näher zu erläutern, für Sie, sehr geehrte Kollegen von den Regierungs­fraktionen: Gut ist, was Sie stark macht! – Die Zusammenlegung ist genau das, und dazu möchte ich Ihnen auch einige Beispielen nennen: Sie sprechen von Hunderten Funktionären, die jetzt auf der roten Seite entfernt würden, was das System schlanker und effizienter mache, und stecken gleichzeitig Ihre Fraktionen, also blaue und türkise Funktionäre, genau in diese Bereiche hinein.

Zusammenlegungen gibt es genau dort, wo Sie Ihre Macht steigern können, zum Beispiel bei der Integration der traditionell roten Eisenbahnerversicherung in die schwarze BVA oder bei den mehrheitlich roten Gebietskrankenkassen, die jetzt in einer neuen ÖGK, der Österreichischen Gesundheitskasse, paritätisch besetzt werden. All das wiederstrebt der Selbstverwaltung, all das widerstrebt genau jenem Grundsatz, dass jene, die die Beiträge zum größten Teil zahlen, diese auch verwalten und darüber entscheiden können, wie diese Beiträge ausgegeben werden. (Beifall bei JETZT sowie des Abg. Leichtfried.)

Genau diese Logik, nämlich der Ausbau des schwarzen Machtmonopols mit blauer Schützenhilfe, ist es auch, die gewisse Bereiche in dieser Republik zukünftig schützen wird, nämlich die ÖVP-dominierten Sozialversicherungsträger, denn die werden von der Reform nicht betroffen sein.

Schlussendlich möchte ich zu den Zahlen kommen: Es gibt eine ganz häufig diskutierte große Zahl, die sogenannte Patientenmilliarde, diese 1 Milliarde, die den Patienten in diesem Land versprochen wird. Sie sagen, diese 1 Milliarde wird es geben. Das Prob­lem ist nur: Sie ist weder im Ministerialentwurf zu finden noch aktuell in der Regie­rungsvorlage nachvollziehbar.

Im Ministerialentwurf steht, es wird bis 2026 kumuliert 350 Millionen Euro an Ein­sparung geben. Dann ist der Rechnungshof gekommen und hat Ihren Ministerial­entwurf zerpflückt, dann ist der Budgetdienst des Parlaments gekommen und hat dasselbe getan, und plötzlich sind die ministeriellen Zahlentrickser gekommen und haben gesagt: Nein, diese 1 Milliarde müssen wir unbedingt reinschreiben! – Jetzt erreichen wir sie plötzlich, statt 350 Millionen Euro plötzlich – drei Jahre früher! – 1 Mil­liarde Euro. In der Regierungsvorlage ist nicht ersichtlich, wie das bewerkstelligt wer­den soll. Nachvollziehbare Einschätzungen der mit der Reform einhergehenden Kosten sind nicht zu finden, schreibt der Budgetdienst. Sie führen die Kosten der Reform, die Kosten der sogenannten Zusammenlegung, als gering an. Wie kann man bitte in einer Regierungsvorlage Kosten nur als gering beziffern? Da ist nicht eine einzige Zahl!

Geschätzte Bundesregierung, was Sie vorgelegt haben, ist keine Reform. Das ist vielleicht die Verwirklichung eines schwarzen Wunschtraumes mit blauer Hilfe, aber sonst auch schon gar nichts. Um das zu verhindern, ersuche ich Sie wirklich: Gehen Sie einen Schritt zurück! Die Obmänner der Gebietskrankenkassen wenden sich an uns (ein Schriftstück in die Höhe haltend), sie gehen davon aus, dass es zu erheb­lichen Einschnitten auf Länderebene kommen wird, sie gehen davon aus, dass die aktuell infrage gestellten Auswirkungen auf die Länderbudgets wirklich drastisch sein werden, sie gehen davon aus, dass freiwillige Leistungen wie Diabetesschulungen oder die psychosoziale Versorgung für Kinder und Jugendliche eventuell sogar ge­kappt werden müssen. (Zwischenruf des Abg. Neubauer.) Ist es das, was Sie mit dieser Reform erreichen wollen?

Ich ersuche Sie wirklich eindringlich: Gehen Sie einen Schritt zurück, gehen wir ge­mein­sam einen Schritt zurück! Ich stelle einen Rückverweisungsantrag an den Ausschuss.

Darüber hinaus bringe ich, da erneut eine Reihe von Abänderungsanträgen, die wir gestern Abend noch erhalten haben, im Zuge dieser Debatte eingegangen ist, noch einen Entschließungsantrag ein – lassen Sie uns im Ausschuss noch einmal darüber diskutieren! –:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Einführung einer Sozialwahl zur Stärkung der demokratischen Legitimie­rung der Selbstverwaltungsgremien der Sozialversicherung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die demokratische Legitimität der Selbstver­waltung der Sozialversicherung durch die Einführung einer Sozialwahl zu stärken und auf diesem Wege den Versicherten die demokratische Kontrolle über die Verwendung ihrer Beiträge zu übergeben. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist dem Nationalrat ehestmöglich zuzuleiten.“

*****

Sehr geehrte KollegInnen, springen Sie über Ihren Schatten! Es bringt nichts, Funk­tionäre durch blaue oder türkise oder schwarze Funktionäre auszutauschen. Was den Leuten da draußen etwas bringt, sind bessere Leistungen und keine Ungleichbe­hand­lung. Vielen Dank. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

9.46

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Daniela Holzinger-Vogtenhuber, Kolleginnen und Kollegen,

betreffend Einführung einer Sozialwahl zur Stärkung der demokratischen Legitimierung der Selbstverwaltungsgremien der Sozialversicherung.

Eingebracht im Zuge der Debatte über den Tagesordnungspunkt 1 „Bericht des Aus­schusses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (329 d.B.): Sozialver­sicherungs-Organisationsgesetz – SV-OG) (413 d.B.)

Begründung

Selbstverwaltung bedeutet, dass der Staat Aufgaben der öffentlichen Hand in gewissen Bereichen jenen Personengruppen übertragen kann bzw. übertragen hat, die davon unmittelbar betroffen sind und über sog. Selbstverwaltungskörper die entsprechenden Aufgaben weisungsfrei und eigenverantwortlich wahrnehmen.

Damit einhergehend ist intensiv die Frage nach der demokratischen Legitimierung der Selbstverwaltungskörper zu stellen, und hier gibt es aktuell – und besonders in Hinblick auf die von der Bundesregierung verfolgten Reformpläne – noch erheblichen Verbes­se­rungsbedarf.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die demokratische Legitimität der Selbst­verwaltung der Sozialversicherung durch die Einführung einer Sozialwahl zu stärken und auf diesem Wege den Versicherten die demokratische Kontrolle über die Ver­wendung ihrer Beiträge zu übergeben. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist dem Nationalrat ehestmöglich zuzuleiten.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Ich darf Frau Minister Hartinger-Klein das Wort erteilen. – Bitte.