14.11

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Frauen Bundesminis­terinnen! Herr Minister! Hohes Haus! Kindergartenpädagogik ist Ländersache, aber man wünscht sich manchmal auch ein paar Pädagogen hier im Haus. Einmal kommen die heraus und sagen: Die sind die Bösen!, ein anderes Mal kommen die anderen und sagen: Die sind die Bösen! (Abg. Rosenkranz: Und die NEOS sagen: Alle sind die Bö­sen – außer uns!) Wie im Sandkasten wird da gegenseitig das Türmlein zertrümmert.

Heute Früh im „Morgenjournal“ wurde über die Ankündigung der Sozialdemokraten, sie wollen heute hier das Thema Hausärzte thematisieren, berichtet. Ein bisschen eigen­tümlich – aber darauf gehe ich nachher noch ein – war die Replik des Kollegen Wögin­ger: Wir wollen eine Gebarungsprüfung des Gesundheitsministeriums in den letzten Jahren! – Offensichtlich kann man, wenn man Koalitionspartner von der ÖVP ist, sol­che Sauereien in einem Ministerium treiben, und die merken es gar nicht. Da muss nach­her der Rechnungshof kommen und prüfen. Das kennen die Freiheitlichen ja schon aus der Ära Schüssel: neben der ÖVP kann man ziemlich viel anstellen.

Das Bemerkenswerte an dieser heutigen Sitzung – Kollege Rädler winkt sich selbst mit der Hand zu – ist aber, dass die SPÖ eingesteht, dass die Selbstverwaltung der Kas­sen gescheitert ist. Für die medizinische Versorgung im niedergelassenen Bereich ist nämlich nicht die Ministerin zuständig und sind auch nicht die vorigen Minister zustän­dig, denn die Versorgung im niedergelassenen Bereich machen die Krankenkassen. Die verhandeln jedes Jahr mit den Ärztekammern über die Hausarztordinationen, und da sieht man auch, wie sehr die Selbstverwaltung mit ihrer Kernaufgabe überfordert ist. Angesichts dessen ist es schon kurios, sitzt doch die SPÖ mit ihren Leuten von der Arbeiterkammer in den Leitungsgremien sämtlicher Kassen und die ÖVP mit ihren Leuten von der Wirtschaftskammer jeweils in den Kontrollgremien sämtlicher Kassen. Man kann sogar sagen, über diese Mittelsleute hat die SPÖ unmittelbar die Verfü­gungsgewalt über das, was sich im niedergelassenen Bereich in der Versorgung tut. – Dieser Selbstverwaltung traut die SPÖ nicht mehr über den Weg.

In der „ZiB 1“ vom 23. Jänner konnte man auch sehen, dass ein Versorgungsexperte der Medizin-Uni Graz den SPÖ-Klub beraten hat. Dieser Experte kann sehr viel über Primärversorgung sagen, weil er selbst auch in England gearbeitet und das dortige System, das eines typisch nordeuropäischen Zuschnitts ist, kennengelernt hat, und er hat beim Institut für Höhere Studien im Sommer dazu etwas präsentiert. Gegenstand der Präsentation war ein Vergleich der Diabetesversorgung in England mit jener in Ös­terreich. In England sind 95 Prozent der Diabetiker in einer strukturierten Versorgung im niedergelassenen Bereich und in Österreich 10 Prozent, was dazu führt, dass bei­spielsweise die Wahrscheinlichkeit, dass man wegen Diabetes ein Bein abnehmen muss, in Österreich doppelt so hoch ist wie in England. Warum Diabetes? – An einer solchen Volkskrankheit, von der Zehntausende Menschen betroffen sind, kann man gut ablesen, wie die Situation des Gesundheitswesens ist. Und wenn wir bei Diabetes ein solches Versorgungsdefizit haben, dann haben wir es vermutlich in verschiedenen an­deren Bereichen mindestens genauso stark.

Das englische Gesundheitswesen sowie beispielsweise auch das dänische mit dieser stark ausgeprägten Primärversorgungslogik helfen den Menschen, den Weg durch ein komplexes Gesundheitswesen zu finden. Diese Steuerung fehlt im österreichischen System der Selbstverwaltung komplett. Das ist nämlich von den Kassen nicht ge­wünscht, weil jeder gut gesteuerte Patient, jeder gut geleitete und damit gut versorgte Patient tendenziell mehr ambulante Versorgung bedeutet, also mehr Kosten für die Kassen. Man kann – das hat die Studie dieses Med-Uni-Graz-Experten ergeben – pro Patient und Jahr 800 Euro Gesamtkosten einsparen, wenn die strukturierte Versorgung funktioniert, aber die Einsparung erfolgt eben bei den Spitälern und damit bei den Lan­desgesundheitsfonds und nicht bei den Kassen.

Jetzt kommen wir, kurz gesagt, dazu: Bessere Primärversorgung, bessere Versorgung im niedergelassenen Bereich, das heißt mehr Kosten für die Kassen, und daher ist es den Kassen lieber, es landen mehr Menschen schwer krank im Spital, als sie werden frühzeitig auf Kassenkosten gut behandelt. – Das klingt zynisch, das ist zynisch, aber das ist gelebte österreichische Realität, und lösen kann dieses Problem nur die Finan­zierung aus einer Hand. Dann wäre sichergestellt, dass bei einer besseren Versorgung im niedergelassenen Bereich dafür auch mehr Geld zur Verfügung steht.

Was damit gescheitert ist, ist diese partnerschaftliche Zielsteuerung, die die SPÖ-Mi­nister umzusetzen versucht haben. Die funktioniert nämlich überhaupt nicht, die ist kläglich gescheitert und hat an der Situation der hausärztlichen Versorgung überhaupt nichts geändert. Das Credo dieser partnerschaftlichen Zielsteuerung lautet: Versor­gung am Best Point of Service, wobei der Best Point of Service auch das Krankenhaus sein kann. – Na bravo, also der Grundsatz ambulant vor stationär wird bei uns schon in der Ausgangslage gekübelt, und damit ist auch klar, dass die Kosten hoch sein wer­den.

Die Länder wollen sowieso keine Finanzmittel in den niedergelassenen Bereich umlei­ten. Es ist für einen Landesrat immer schöner – nicht wahr, Herr Präsident? –, ein Band durchzuschneiden und etwas zu eröffnen, als gute Versorgung im niedergelasse­nen Bereich zu haben. Stattdessen sparen Sie lieber bei der hausärztlichen Versor­gung.

Ich bringe daher folgenden Antrag ein, der die Kassen motivieren soll, hier ein biss­chen mehr für die Patienten, für die Versicherten, zu tun:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Maß­nahmen gegen die restriktive Stellenplanungspolitik der Kassen und Ärztekammern“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Ge­sundheit und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, schnellstmöglich eine Regie­rungsvorlage vorzulegen, die der restriktiven Stellenplanungs-Politik der Kassen und Ärztekammern in der Form entgegenwirkt, dass Wahlarztkosten zur Gänze mit den Kassen abgerechnet werden können, wenn die Kasse in angemessenem Zeitraum kei­ne kassenärztliche Behandlung im Wohnbezirk gewährleisten kann.“

*****

Die Kassen profitieren nämlich: Wenn es eine schlechte Versorgung gibt, müssen die Menschen in die Tasche greifen und müssen zum Wahlarzt gehen, weil es gar nicht anders geht. Das ist dieses zynische österreichische System.

In den letzten zehn Jahren, das hat Kollegin Povysil zu Recht ausgeführt, haben rote Minister das Ministerium geführt: Die Zahl der Privat- und Wahlärzte ist um 36 Prozent gestiegen, die Zahl der Kassenärzte in diesem Zeitraum um 3 Prozent zurückgegan­gen. Der Betrag, den die Kassen an Wahlarztkosten ersetzen, ist um 50 Prozent ge­stiegen, während die Ausgaben für Vertragsärzte nur um 30 Prozent gestiegen sind. Und, wie auch aufgezeigt wurde, die privaten Gesundheitsausgaben sind während SPÖ-Ministerschaften verhältnismäßig stärker angestiegen.

Ich fasse zusammen: Die Sozialdemokraten hätten sich wohl besser verschämt in ei­nen Winkel zurückgezogen, als ihre Fehler hier in dieser Form breitzutreten. (Beifall bei NEOS, ÖVP und FPÖ.)

14.18

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnah­men gegen die restriktive Stellenplanungspolitik der Kassen und Ärztekammern

eingebracht im Zuge der Debatte in der 59. Sitzung des Nationalrats über den Dring­lichen Antrag der Abgeordneten Dr. Rendi-Wagner

Problemsituation: Zahl der Vertragsarztstellen geht zurück

Die Zahl Vertragsarztstellen ist seit 2006 um 3% zurückgegangen, während der Bevöl­kerungsanteil mit einem Alter über 75 Jahre um 26% angestiegen ist. Das Angebot an Vertragsärzten und Vertragsärztinnen und die Demographie sind somit seit längerem nicht mehr im Gleichgewicht. Es ist zudem ein starker Anstieg des Wahlarztsektors zu beobachten (seit 2006: +36%). Aufgrund dieser Entwicklungen ist die Bevölkerung mit immer höheren privaten Gesundheitskosten konfrontiert.

Näheres: Anfragebeantwortung „Entwicklungen im Wahlarzt-/therapeuten-Sektor“ (2163/AB XXVI. GP) und „Krankenkassen: Überall Selbstbehalte“ (947/AB XXVI. GP)

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Quelle: Hauptverband, Statistik Austria, Anfragebeantwortung 2163/AB XXVI. GP

Kassen und Ärztekammern haben Interesse an größerem Wahlarztsektor

Die Aufgabe der vertragsärztlichen Stellenplanung wurde vom Staat an die Selbstver­waltung (Kammern, Krankenkassen und Ärztekammern) übertragen. Aufgrund der oben geschilderten Entwicklungen ist diese Situation nicht mehr hinnehmbar. Die Dis­kussion über die Sonderklasse-Ambulanzen hat zudem gezeigt, dass die Ärztekam­mern an steigender privatmedizinischer Versorgung interessiert sind. Die Krankenkas­sen haben ebenfalls ein Interesse Kosteneinsparungen über eine restriktive Stellen­planung zu erwirken. Zwar ist gegen die Privatmedizin grundsätzlich nichts einzuwen­den, aber der zunehmende Privatmedizinanteil in der Grundversorgung ist auf keinen Fall wünschenswert, vor allem wenn die Versicherten mit konstant hohen KV-Beitrags­sätzen konfrontiert sind.

Wahlarztkosten sollen zur Gänze mit den Kassen abgerechnet werden können

Um der restriktiven Stellenplanung der Kassen und Ärztekammern effektiv entgegenzu­wirken, müssen Wahlarztkosten, wenn die Kasse in angemessenem Zeitraum keine kassenärztliche Behandlung im Wohnbezirk gewährleisten kann, d.h. keine Termine bei Kassenärzten und Kassenärztinnen verfügbar sind, künftig zur Gänze mit den Kas­sen abgerechnet werden können.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Ge­sundheit und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, schnellstmöglich eine Regie­rungsvorlage vorzulegen, die der restriktiven Stellenplanungs-Politik der Kassen und Ärztekammern in der Form entgegenwirkt, dass Wahlarztkosten zur Gänze mit den Kassen abgerechnet werden können, wenn die Kasse in angemessenem Zeitraum kei­ne kassenärztliche Behandlung im Wohnbezirk gewährleisten kann.“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unter­stützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Holzinger-Vogtenhuber. – Bitte.