10.37

Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien im Bundeskanzleramt Mag. Gernot Blümel, MBA: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Galerie! Die Aktuelle Europastunde trägt den Titel „Nach dem Brexit-Debakel: Jetzt ist die Chance, Europa neu zu gründen!“

Nun, ich kann der Idee viel abgewinnen, den Brexit auch als Chance zu begreifen, denn das ist zweifellos eine positive und optimistische Herangehensweise an eine ohnehin nicht sehr positive Situation. Wir in der Bundesregierung beschäftigen uns seit Beginn an, seitdem wir angetreten sind, mit der Zukunft der Union und haben unsere Ratspräsidentschaft auch diesbezüglich vorbereitet.

Die Auswirkungen des Brexits sind enorm, das haben mittlerweile alle mitbekommen, vor allem die Britinnen und Briten. Es geht jetzt auch um die Fragen, wie es weitergeht, wie das Verhältnis zwischen Europa und Großbritannien künftig sein wird, wenn die Briten die Union verlassen, und wie es gelingt, den Schaden für die verbleibenden 27 so gering wie möglich zu halten.

Der Brexit war zweifellos eine Zäsur, die vor allem für die jüngere Generation ein Schock war. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der es ständig mehr europäische Integration gegeben hat, in der ein Land nach dem anderen einen Beitrittsantrag gestellt hat. Doch plötzlich ist diese lineare Entwicklung von einem sich immer weiter integrierenden Europa durch die Abstimmung am 24. Juni 2016 gestört und zerstört worden. Die Briten haben sich dafür entschieden, zu gehen.

Damals haben viele Kommentatoren geschrieben, dass das der Beginn vom Ende der gemeinsamen Union sein wird, weil die Briten jetzt mit einer Stimme sprechen und sich die Rosinen aus dem Kuchen herauspicken werden und die anderen 27 der Union sich zerstreiten und keine gemeinsame Linie finden werden. – Gut, dass es nicht so ge­kommen ist!

Eine der zentralen Herausforderungen während des österreichischen Ratsvorsitzes war es auch, diese Einheit der EU-27 zu wahren. Wir hatten über fünf Brexit-Formate im Rat, wir haben jede Woche mit Michel Barnier intensiven Kontakt gehalten, um zu beraten, was wir tun können, damit die Einheit gewahrt bleibt, und ich bin froh, sagen zu können, dass das während unserer Präsidentschaft auch gut gelungen ist. Was passieren kann, hat man beim ersten Rat unter der rumänischen Ratspräsidentschaft gesehen, bei dem schon erste Stimmen jener laut geworden sind, die sich ein wenig von diesem gemeinsamen Kurs verabschiedet haben. Daher ist es wichtig, weiterhin daran zu arbeiten, dass die Einheit der 27 erhalten bleibt.

Wie ist nun der Status quo? – Wir haben gestern den ganzen Tag über verfolgen dürfen, wie die Abstimmungen im britischen Parlament vonstattengehen. Nach wie vor herrscht keine endgültige Klarheit darüber, was Großbritannien möchte. Es ist mittlerweile ein wenig klarer, was die Briten nicht wollen: Sie wollen keinen harten Brexit, sie wollen aber auch diesen Deal, der ausverhandelt worden ist, nicht. Wir wissen also, was sie nicht wollen, wir wissen nicht viel mehr darüber, was sie wirklich wollen, daher liegt der Ball weiterhin bei Großbritannien.

Ich warne nur davor, seitens der Union den Eindruck zu erwecken, dass wir diesen Vertrag jetzt wieder aufschnüren wollen. Das werden wir sicherlich nicht tun: Er ist lange, gut verhandelt worden, das ist ein Kompromiss von beiden Seiten, und der Brexit ist ohnehin eine Lose-lose-Situation, die nur mit diesem Vertrag ein wenig abgemildert werden kann.

Wir in Österreich bereiten uns auch intensiv auf einen möglichen harten Brexit vor. Wir haben heute im Ministerrat ein Brexit-Preparedness-Gesetz beschlossen – ein Sam­melgesetz, in das circa 15 Gesetze aus acht verschiedenen Ressorts eingebracht worden sind, um Dinge zu regeln und zu lösen, die passieren können, wenn es einen harten Brexit gibt. Da geht es beispielsweise um die Frage, was mit den britischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern ab Anfang April passiert: Dürfen sie noch hierbleiben und arbeiten oder nicht? – Wir sagen Ja, das sollen sie weiterhin dürfen, analog zu einer Regelung, die auch für 25 000 Österreicherinnen und Österreicher in Großbritannien gilt.

Den Brexit als Chance zu begreifen halte ich für sehr schlau; man sollte sich aber auch überlegen, warum der Brexit zustande gekommen ist. Ein wesentlicher Aspekt war beispielsweise die Angst vor Migration. Das war einer der Hauptgründe, warum die Britinnen und Briten gesagt haben, sie wollen ihre Souveränität, ihre Kontrolle zurück. Wenn wir aus dem Brexit etwas lernen wollen, dann müssen wir unmittelbar daran­gehen, die Migrationsproblematik in Europa in den Griff zu bekommen, denn sonst lernen wir aus dem Brexit gar nichts. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Genau deswegen haben wir auch während der Ratspräsidentschaft alles darangesetzt, die Herausforderung der Migration ein Stück weit in die richtige Richtung zu bewegen – um damit auch dem Rechnung zu tragen, was uns der Brexit gezeigt hat, nämlich dass viele Menschen Angst vor einer ungeregelten Migration haben.

Es braucht auch viele weitere Bausteine, wie beispielsweise die Heranführung der Westbalkanstaaten an die Europäische Union. Das ist ein ganz zentrales Thema. Warum? – Diese Region liegt unmittelbar vor den Toren Europas und ist gerade für Österreich historisch, aber auch wirtschaftlich relevant, und wir können uns ent­scheiden, ob wir entweder Stabilität in diese Region exportieren, indem wir eine klare Beitrittsperspektive aufzeigen, oder ob wir Instabilität importieren, wenn wir die Tür zuschlagen. Das wollen wir nicht, und deswegen haben wir uns während der Rats­prä­sidentschaft intensiv dafür eingesetzt, dass die Annäherung stattfindet, und wir werden das auch weiterhin tun. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Belakowitsch, Stefan und Zanger.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es braucht ein Europa, das die Probleme im Großen löst, und nicht mehr Zentralismus. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeord­neten Belakowitsch, Stefan und Zanger.) Es braucht einen Realismus, eine Herangehensweise, die eine handfeste Politik ist, bei der wir genau dort hinschauen, wo die Menschen Nöte, Sorgen und Ängste haben, und diese Probleme lösen. Europa ist kein Traum mehr – zum Glück! –, Europa ist Realität. Wer hier weiterhin träumt, wird diese Realität wieder verlieren. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Belakowitsch, Stefan und Zanger.)

10.43

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Lopatka. Nunmehr beträgt die Redezeit, wie Sie wissen, 5 Minuten. – Bitte.