15.50

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Bundesministerin­nen! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Es war 1964 als genau in diesem Parlament, in diesem Hohen Haus, die heute viel besprochene und diskutierte Euro­päische Menschenrechtskonvention in Österreich in Verfassungsrang gehoben wurde. Und wissen Sie wie? – Einstimmig, sehr geehrte Damen und Herren, mit den Stimmen aller Parteien, die in diesem Parlament vertreten waren, also auch mit Ihren Stimmen! (Abg. Belakowitsch: 1964, ja?!)

Ja, natürlich, Politik heißt, zu gestalten. Es ist aber etwas gänzlich anderes, über einfache Gesetze, wie wir sie heute schon auf der Tagesordnung hatten – das Konsu­mentenschutzgesetz beispielsweise – und noch auf der Tagesordnung haben, zu diskutieren und zu debattieren, abzustimmen und sie zu beschließen. Das ist unsere tägliche Aufgabe hier im Parlament, das ist politisches Gestalten. All diese Gesetze aber, sehr geehrte Damen und Herren, haben sich an etwas zu halten, und zwar an unsere Grundnormen. Sie haben sich an etwas zu orientieren, nämlich am Fundament unseres Rechtsstaates: dem Staatsgrundgesetz, der Europäischen Menschenrechts­konvention und der europäischen Grundrechtecharta.

Die Europäische Menschenrechtskonvention, die dem Innenminister offenbar ein Dorn im Auge ist, war und ist nichts weniger als die Einigung des neuen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. (Beifall bei SPÖ und JETZT.) Die Europäische Menschenrechts­konvention war damals die klare Absage an Gewalt, Krieg und Faschismus, und sie ist es auch heute noch. (Beifall bei SPÖ und JETZT.) Sie ist, wenn Sie so wollen, ein Nachkriegskonsens (Abg. Deimek: ... linker, kommunistischer Diktaturen! Wahrschein­lich nur Zufall!), ein Konsens darüber, wie ein Europa der Zukunft gestaltet werden soll, ein Europa des Friedens, ein Europa der Zivilisation und ein Europa der Humanität.

Die Europäische Menschenrechtskonvention hat nicht nur eine deklaratorische Wir­kung, sie ist nicht nur ein Beiwerk schöner Worte, nein, sie ist durchsetzbares Recht – Stichwort Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte. Was hören wir 70 Jahre später? – Wir hören die Worte unseres Innenministers Herbert Kickl: „Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht“. – So hat er es gesagt und so hat er es gemeint, sehr geehrte Damen und Herren! (Abg. Rosenkranz: Woher wissen Sie das?) – Er hat es klar und deutlich gesagt, Herr Rosenkranz, er hat es wiederholt, und wir alle haben es gehört. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Rosenkranz.) Wir alle fragen uns: Was kommt als Nächstes?

Ein Chefredakteur einer großen Tageszeitung kommentierte das so (Zwischenruf des Abg. Gudenus): „Dieses Abschätzige im Tonfall gegenüber Recht und Gesetz, einem zivilisatorischen Bauwerk, das auf den Erfahrungen nationalsozialistischen und stalinistischen Gemetzels errichtet wurde, war das Widerwärtige am Gesagten“. (Zwischenruf des Abg. Stefan.)

Frage an die FPÖ: War es pure Taktik? – Nein, wir wissen, es war keine Taktik. Ist es passiert, war es ein Ausrutscher, ein Versehen? – Nein, es war kein Ausrutscher. Diese seine Aussagen sind das, woran der Innenminister glaubt. (Zwischenruf des Abg. Gudenus.) Diese seine Aussagen spiegeln sein Weltbild wider, sie sind Ausdruck einer zynischen Machtideologie des Innenministers. Wer mehr Spielräume über die Grundrechte hinweg beansprucht – so führende Rechtsexperten dieses Landes –, der öffnet eine Tür in Richtung Polizeistaat. (Ruf bei der ÖVP: Wissen Sie, was Sie sagen?) In einem solchen Staat werden Recht und Ordnung nicht mehr durch demokratische Institutionen bestimmt. – Das wollen wir nicht. (Beifall bei der SPÖ.)

Da der Herr Innenminister selbst nicht den Mut und die Courage hat, heute hier zu sitzen, kann ich ihn persönlich nicht ansprechen (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ) – vielleicht ist er ja auch selbst schon zurückgetreten –, aber: Herr Minister Kickl, Sie sind auf die Verfassung vereidigt und nicht auf das FPÖ-Wahlprogramm, vielleicht sollten Sie auch daran denken! (Beifall bei der SPÖ.)

Hätte der Innenminister nur einen Funken von Anstand (Zwischenruf des Abg. Gudenus), würde er zurücktreten. Hätte er nur einen Funken von Respekt unserer Demokratie gegenüber, würde er zurücktreten. (Abg. Deimek: Mehr als Sie!) Und hätten Sie, Herr Bundeskanzler, mehr Courage und auch mehr Verantwortung unserem Rechtsstaat gegenüber (Zwischenruf des Abg. Deimek), hätten Sie vor ein paar Tagen nicht nur das Telefon zur Hand genommen, sondern wären direkt zum Bundespräsidenten dieser Republik gegangen (Zwischenruf bei der FPÖ) und hätten die Entlassung dieses Innenministers vorgeschlagen. (Beifall bei SPÖ und JETZT sowie des Abg. Scherak.)

Was den heutigen Misstrauensantrag gegen Innenminister Kickl betrifft (Abg. Steger: Also Sie würden alle Gesetze ...!), so wissen wir ganz genau, dass die Abgeordneten der FPÖ ihrem Innenminister aus parteipolitischer Räson die Mauer machen werden, ganz klar. (Abg. Rosenkranz: Aus Überzeugung! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Ich frage mich aber ernsthaft - - (Abg. Rosenkranz: Aus Überzeugung!) – Auch aus Überzeugung, Herr Rosenkranz, ich zweifle auch daran nicht. (Abg. Rosenkranz: Na eben!) Ich frage mich ernsthaft, sehr geehrte Abgeordnete der ÖVP: Was ist Ihre Haltung und was ist Ihre ehrliche Meinung zu den Aussagen des Innenministers? (Abg. Deimek: Ein Wort von Ihnen ...!)

Am Wiederaufbau Österreichs - - (Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Wollen Sie mich reden lassen? Ich bin am Wort. (Anhaltende Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ. – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.)

Sehr geehrte Damen und Herren (Ruf bei der ÖVP: Ihre Zeit ist eh gleich um!), am Wiederaufbau Österreichs haben Generationen mitgearbeitet, Millionen von Menschen in unserem Land. Es waren SPÖ und ÖVP, die gemeinsam die politischen Institutionen Österreichs wiederaufgebaut haben, die unseren Rechtsstaat wiederaufgebaut haben, die unser Land wieder einer modernen Demokratie zugeführt haben – ein Land mit einem starken Rechtsstaat, und zwar einem Rechtsstaat, auf den sich alle diese Menschen verlassen können und sollen – auch in Zukunft –, ein Land, in dem die Parteien und die Politik eben nicht über dem Recht und über der Verfassung stehen.

Sehr geehrte Abgeordnete der ÖVP, vergessen Sie Ihre Geschichte nicht und opfern Sie nicht Ihre Haltung! (Beifall bei SPÖ und NEOS.) Sorgen Sie als Demokratinnen und Demokraten – so wie ich Sie kenne und schätze – dafür, dass sich die Menschen auch in Zukunft auf unseren Rechtsstaat verlassen können! Stimmen Sie mit uns! – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ, NEOS und JETZT. – Zwischenruf des Abg. Deimek.)

15.58

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Abgeordneter Rosenkranz ist zu Wort gemel­det. – Bitte. (Zwischenruf bei der SPÖ.)