9.06

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister Hofer! Herr Minister Kunasek! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Zweifelsohne haben wir es in der politischen Sprache sehr oft mit Be­griffen zu tun, die mitunter sehr sperrig klingen und bei denen man nicht wirklich weiß, was sich dahinter verbirgt.

In der heutigen Debatte zur Aktuellen Stunde geht es um das Thema der Abbiege­assistenten für Lkws – klingt sehr technisch, fast technokratisch, klingt nach einem Spezialthema. Spätestens seit einigen Tagen verbirgt sich hinter diesem Thema jedoch eine ganz einfache, aber sehr harte Frage, nämlich: Was sind uns und was sind der Politik Menschenleben und Kinderleben wert? – Genau das verbirgt sich hinter dem Begriff Abbiegeassistent für Lkws.

Sie wissen es alle, es war der 31. Jänner dieses Jahres, als in Wien ein neunjähriger Bub ums Leben kam, weil ein abbiegender Lkw eben diesen Abbiegeassistenten nicht hatte. Das sind zweifelsohne zutiefst traurige Fakten, und da muss ich Ihnen, glaube ich, nicht noch moralisch ins Gewissen reden.

Ich werde in der heutigen Rede aber ganz bewusst nicht über die eine oder andere Partei sprechen, ich werde auch nicht über Regierung und Opposition sprechen, ich möchte heute nur Folgendes machen: Ich möchte uns, den 183 Abgeordneten dieses Hohen Hauses, eine einfache Frage stellen: Kann es für Kinderleben wirklich einen Preis geben, Herr Bundesminister, der uns zu hoch ist? (Beifall bei der SPÖ.)

Wir alle haben in den letzten Tagen medial auch sehr viel über technische Details erfahren. Wir haben erfahren, dass der sogenannte tote Winkel bei Lkws sehr groß ist – größer als bei Personenkraftfahrzeugen –, und wir haben auch gelernt, dass es nicht mehr notwendig ist, dass es diesen großen toten Winkel gibt, weil es Lösungen dafür gibt, diesen toten Winkel zu vermeiden, weil Lkws nachgerüstet werden können. Ja, das kostet Geld, aber ja, das rettet Leben, denn in diesem großen toten Winkel der Lkws sterben Menschen, und vielfach sind es Kinder, die da ums Leben kommen. Wir wissen, wenn wir diesen toten Winkel schließen, beenden wir das Sterben der Men­schen und der Kinder durch solche Unfälle. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch bei einer sehr bekannten und großen Lebensmittelkette dieses Landes bedanken, die denselben Namen trägt wie Sie, Herr Bundesminister. Diese Lebensmittelkette, diese Firma hat angekündigt, ihre Lkws, ihre Lieferlastkraftwägen freiwillig und auf eigene Kosten nachzurüsten und mit diesen Abbiegeassistenten auszustatten. Warum? – Aus ethischen Gründe, aus moralischen Gründen.

Es ist ein großer Schritt, der hier seitens der Privatwirtschaft, seitens dieses Privat­unter­nehmens, dieser Firma gesetzt wird, aber es ist auch ein Signal an uns, an die Politikerinnen und Politiker, dass die Wirtschaft diese moralische Notwendigkeit erkannt hat – und ich denke, wir sollten es auch erkennen, Herr Bundesminister! (Beifall bei der SPÖ.)

Der Beweggrund für diese Lebensmittelkette ist ein ganz einfacher: Sie will mit ihren eigenen Fahrzeugen nicht dafür verantwortlich sein, dass Menschen ums Leben kom­men. Daher darf ich auch alle anderen bitten, diesem Signal und diesem Vorbild zu folgen. Machen wir in Österreich die Straßen sicherer, und zwar für alle Menschen, aber besonders für unsere Kinder! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Wir diskutieren in diesem Haus nicht zum ersten Mal über die Sicherheit von Kindern. Ich kann mich erinnern, dass wir dieses Thema letztes Jahr sehr oft in der Nicht­raucherschutzdebatte besprochen haben. Gestern haben wir beim Expertenhearing im Gesundheitsausschuss auch über die Sicherheit, die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in diesem Land diskutiert, über die jungen Lehrlinge in der Gastronomie, die unfreiwillig dem Rauch ausgesetzt sind. Ich habe ehrlich gesagt als Sozial­demo­kratin kein Verständnis dafür, wenn hier Ihrerseits für die Frage der Kosten und der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Sicherheit der Kinder und der Jugendlichen argumentiert wird. Dafür gibt es kein Verständnis. (Beifall bei der SPÖ.)

Ja, es geht um Moral, es geht um Ethik, es geht um Verantwortung, die die Politik zu tragen hat. Viele von uns haben Kinder und Enkelkinder, und jedes unserer Kinder und Enkelkinder hätte dieses Kind am 31. Jänner sein können, das durch diesen Lkw zu Tode kam. Ja, es ist eine gemeinsame Verantwortung, die wir hier im Hohen Haus haben und die Sie in der Regierung haben, und das ist eine Verantwortung, Probleme dieser Art nicht, wie viele andere, auf die lange Bank zu schieben, sondern so rasch, so klar und so wirksam wie möglich zu beantworten und zu lösen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Wir alle kennen die technische Debatte und jene über die europäische Warenver­kehrs­freiheit und all die Diskussionen oder Hindernisse auf europäischer Ebene. Ich habe es ehrlich gesagt satt, wenn man Vorschläge macht, die zu Lösungen führen, dass das Erste, was man hört, ist, wie groß die Hindernisse sind, es umzusetzen. Das war bei der Mietensteuer, die wir zur Abschaffung vorgeschlagen haben, genau die gleiche Geschichte.

Aber, Kolleginnen und Kollegen, wollen wir heute wirklich allen Eltern dieses Landes – und viele sitzen in diesem Saal –, in Österreich die Botschaft schicken, dass uns die Sicherheit ihrer Kinder zwar sehr am Herzen liegt, aber nicht vor 2021, 2022 umsetzbar ist, dass wir diese Sicherheit am Schulweg erst in ein paar Jahren erfüllen können, obwohl am Tisch liegt, dass es jetzt möglich ist, wenn der politische Wille da wäre und die politische Verantwortung wahrgenommen würde? – Ja, wir können es schon heute machen, da brauchen wir keine Übergangsfristen, Herr Bundesminister! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Bevor wir uns hier in technische Debatten begeben und alles auf den Tisch legen, was nicht möglich ist, sollten wir immer wieder einen Schritt zurückgehen und klarmachen, was unsere ureigenste Aufgabe in der Politik ist, nämlich die Interessen der Öster­reicherinnen und Österreicher und ihrer Kinder zu vertreten – und darum geht es auch bei der Sicherheit der Kinder! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Nehmen wir hier im Haus als Abgeordnete des Parlaments – und Sie als Regierungs­mitglied – diese Aufgabe, diese Verantwortung ernst, nehmen wir sie wahr! Entschei­den wir uns für die Sicherheit und gegen den toten Winkel! Entscheiden wir uns für die Kinder und nicht für die Wettbewerbsfähigkeit! Entscheiden wir uns für das Leben und gegen die Trauer, Herr Bundesminister! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von JETZT.)

9.14

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Hofer. – Bitte.