9.53

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! Die Zweite Nationalratspräsidentin Bures ist gerade hinausge­gan­gen, und ich hoffe, sie geht mit den Mitgliedern des Deutschen Bundestages jetzt einen Kaffee trinken, denn ich geniere mich heute für das Hohe Haus! (Beifall bei NEOS und SPÖ.) Es geht hier leider oft so zu, geschätzte Damen und Herren!

Was die Bundesregierung uns zum Thema Sozialhilfe und Mindestsicherung erzählt, ist genau das, nämlich eine Erzählung, man könnte es auch als Märchen bezeichnen. Märchen haben oft einen wahren Kern, aber sie sind halt nicht viel mehr als eine Erzählung. Sebastian Kurz und Ministerin Hartinger-Klein stellen sich vor die Bevölkerung und erzählen die Geschichte der Bürger, die arbeiten und die Dummen sind, und sie erzählen, dass daran die Ausländer und deren Kinder schuld sind – so weit die Erzählung, so weit das Märchen.

Schaut man sich aber die tatsächlichen Zahlen an, dann sieht man, dass 50 bis 60 Prozent – je nach Bundesland – der Mindestsicherungsbezieher alleinstehend sind. Die Alleinstehenden sind mit großem Abstand die größte Gruppe, und die zweitgrößte Gruppe sind Alleinerziehende mit einem Kind. (Abg. Heinisch-Hosek: Genau!) Die Familien mit den vielen Kindern, die in der Erzählung vorkommen, sind eine super, super Minderheit. (Abg. Belakowitsch: Aber in Wien nicht!)

Das ist aber die Erzählung. Das ist die Geschichte, die uns unsere Geschichten­erzäh­lerin Ministerin und der Geschichtenerzähler Bundeskanzler und der Geschichten­erzähler Klubobmann Rosenkranz hier servieren. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Was die Geschichtenerzähler in ihrer Erzählung auch weglassen, ist das Faktum der Aufstocker. 70 Prozent der Mindestsicherungsbezieher bekommen einen Teil Mindest­sicherung auf einen anderen Bezug aufgestockt. (Abg. Belakowitsch: Nein, 42 Pro­zent, Sie können sich die Zahlen schon einmal anschauen!) Das sind sehr oft Bezüge aus der Arbeitslosenversicherung, weil sie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe be­kom­men, und liegt das unter dem Mindestsicherungsrichtsatz, dann wird aufgestockt. Das sind 70 Prozent (Abg. Belakowitsch: Also im Jahr 2017 waren es 42 Prozent, neuere Zahlen haben wir nicht!), aber das kommt in der Geschichte unserer Erzäh­lerinnen und Erzähler nicht vor. Das, was uns das Erzählerpaar Kurz und Hartinger-Klein hier vorgaukelt, entspricht einfach nicht der Realität. Es ist eine Geschichte, die viele Bürger gerne hören und deswegen wird sie so gerne erzählt. (Beifall bei den NEOS. – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.)

Wollte man eine ordentliche Reform der Sozialhilfe – oder wie man das auch immer betiteln mag –, dann müsste man hin zum liberalen Bürgergeld, nämlich zu einer Leistung aus einer Hand, und nicht dahin, die Menschen zu Bittstellern zu degradieren und sie zu verschiedenen Behörden zu schicken, wo sie überall noch einmal neu ansuchen müssen. Man hätte Mindestsicherung und Notstandshilfe in einem Schwung reformieren müssen, alles andere ergibt keinen Sinn, und das hat auch schon der Rechnungshof 2014 in seinem Bericht geschrieben.

„Der RH verkannte nicht die systembedingt unterschiedlichen Anspruchs­voraus­setzun­gen und Ziele und die sich daraus ergebenden Leistungsunterschiede der Mindest­siche­rung und der Notstandshilfe. Dessen ungeachtet hielt er es für zweckmäßig, insbesondere im Falle längerer Bezugszeiträume eine Harmonisierung beider Systeme zu erwägen. Der RH empfahl daher [...] auf eine Harmonisierung bzw. Überführung in ein einziges Versorgungssystem für jene Fälle, in denen längere Notstandshilfe- bzw. Mindestsicherungsbezugsdauern vorlagen, hinzuwirken.“ – Ja, das kommt alles nicht.

Das, was uns die Regierung bei Erwerbsanreizen kredenzt, ist natürlich auch eine Mogelpackung. In Wahrheit braucht es flexible Zuverdienstgrenzen, weg von alles oder nichts oder niedlichen Boni, die man ausschüttet. Es ist auch niemandem geholfen, wenn Sie Sprachkenntnisse postulieren, die man in vielen Bundesländern unseres Landes gar nicht erwerben kann, denn wenn oana in Vorarlberg ischt, dann lernat a ned so Hochdütsch, dass’r a Prüfung bestoht, aber für d’Boustell langat des allwil (Beifall bei den NEOS) – wenn einer in Vorarlberg ist, lernt er nicht so Hochdeutsch, dass es für eine Prüfung reicht, aber für die Baustelle reicht es allemal. Und gell (in Richtung Abg. Gahr), Hermann, in Tirol is des a so! (Heiterkeit und Beifall bei den NEOS.)

Will man ein System der sozialen Sicherung umsetzen, das es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, so schnell wie möglich aus der staatlichen Abhängigkeit heraus­zukommen, dann muss man in Richtung liberales Bürgergeld gehen und darf das nicht auf der Ausländergeschichte, auf einer Erzählung aufsetzen.

Ein Nebeneinander von solchen Leistungen ist bürokratisch unsinnig und ist gegenüber den Bezieherinnen und Beziehern dieser Leistungen unfair, weil man sie von Behörde zu Behörde schickt. Und ja, es ist keine leichte Aufgabe, ein neues System zu schaf­fen, es ist keine leichte Aufgabe, Notstandshilfe und Mindestsicherung zusammen­zuführen. Es wäre schwierig, es wäre ein echt großer Wurf. Ich weiß, Geschichten zu erzählen, das geht leichter. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

9.58

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Abgeordnete Holzinger-Vogtenhuber ist zu Wort gemeldet. – Bitte.