10.36

Abgeordnete Dipl.-Ing. (FH) Martha Bißmann (ohne Klubzugehörigkeit): Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, Hohes Haus! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Frau Ministerin! Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mich sehr gerne hier ans Red­nerpult stellen und unserer Regierung Applaus spenden für eine progressive, huma­nistische und nachhaltige Politik, die unser schönes Land Österreich fit macht für die Zukunft. (Beifall des Abgeordneten Schmuckenschlager.)

Bei der Reform der Mindestsicherung müsste ich mich allerdings für den Applaus stark verbiegen. Leider wird Österreich in diesem Zusammenhang nämlich in vergangene Zeiten zurückkatapultiert. Es beginnt schon bei der Bezeichnung: Ich bin Bezieherin von Mindestsicherung!, impliziert, dass ich in einem Land lebe, in dem jeder Mensch das Recht hat, abgesichert zu sein. Ich bin Sozialhilfeempfängerin!, nimmt der betrof­fenen Person den letzten Rest an Würde.

Wir leben also in einem Land, in dem die Sozialhilfe wiedereingeführt wird, und das in einer Zeit, in der wir kurz davor stehen, dass ein Land nach dem anderen das bedin­gungslose Grundeinkommen einführt. Diesbezüglich sind sich alle Zukunftsforscher einig, auch in Österreich, wie der bekannte Philosoph Richard David Precht kürzlich in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ verlautbart hat.

Herr Klubobmann Rosenkranz! Frau Ministerin! Warum wollen Sie angesichts dieser Entwicklungen dann aber die Stimmung im Land verschlechtern und reihenweise redliche Bürgerinnen und Bürger vorsätzlich in die Armut stoßen? Genau das passiert nämlich durch die geplante Reform der Mindestsicherung.

Wer glaubt, dass nur Zuwanderer von den Kürzungen betroffen sind, der irrt sich. Tatsächlich werden auch die Kinder einheimischer Familien den Magenschlag spüren, der nicht zuletzt den Zugang zur Bildung, der oft der einzige Ausweg aus Armut ist, erschwert. Diese neue Sozialhilfe schafft nur eines, nämlich die nächste Generation an Sozialhilfeempfängern, und nicht mehr arbeitende und steuerzahlende Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Armut war nie einfach, doch seit dieser Regierung sind Armutsbetroffene einfach selbst schuld, weil sie angeblich nicht wollen und weil ihnen anscheinend die Anreize fehlen. Die Mindestsicherung hat diesen Namen, weil sie genau das Mindeste ist, das benötigt wird, um ein Leben, und zwar ein würdiges Leben, leben zu können. Die Sozialhilfe sichert vielleicht das Überleben, mehr nicht. Soziale oder kulturelle Teilhabe für Armutsbetroffene, Kinobesuche, Frau Ministerin, brauchen die anscheinend nicht. Um den Kindern ein halbwegs normales Leben in einer Gemeinschaft zu ermöglichen, sollen sich doch die Eltern mehr anstrengen! Wenn sie nur wollen, dann geht das schon!

Armut macht krank, die Betroffenen und ihre Familien. Gleich, ob hier geboren oder nicht: Armut hat kein Mascherl. Sie hält sich an keine Geburtsurkunde. Jeder kann betroffen sein.

Was bringt es nun, die Armen gegen die Ärmsten auszuspielen? – Nichts, außer eine Politik des Auseinanders statt des Miteinanders. Und um jenen, die von den Kürzungen betroffen sind, das Gefühl zu geben, dass sie nicht am schlimmsten betroffen sind, setzt man bei den Zuwanderern noch eins drauf. Bringt die neue Sozialhilfe Fair­ness? – Nein. Sie bringt den Armutsbetroffenen noch mehr Angst, noch mehr Isolation, noch mehr Ausgrenzung. Sie bringt der Mindestpensionistin oder dem Mindest­invali­ditätsrentner nicht mehr Geld. Kein Mensch wacht eines Tages auf und sagt zu sich: Toll, ab heute bleibe ich zu Hause und kassiere Mindestsicherung, mein Traumleben!

Armut treibt einen in die Isolation. Sie macht es still und leise; sie bringt Depressionen und Burn-out; sie lässt weder schlafen noch Ruhe finden. Wenn diese sogenannte Reform nun nur noch mehr Armut und Krankheit bringt, worauf zielt sie dann eigentlich ab?

Die Wahrheit ist, die Sozialhilfe soll nicht den Zuwanderern diesen sogenannten Traum vom Sozialstaat nehmen, sie soll nicht Armutsbetroffenen helfen, nein, sie soll Men­schen in Österreich, die jetzt noch in scheinbar guten Arbeitsverhältnissen sind, Angst machen und somit Türen für den Niedriglohnsektor beziehungsweise in Richtung von noch mehr prekären Arbeitsverhältnissen öffnen – Stichwort Lohndumping. (Abg. Hauser: Ah geh ... Kollektivverträge! So ein Blödsinn!)

Wir sind eine Gesellschaft, wir brauchen keine Politik, die aufhetzt. Was wir in diesem Land brauchen, ist Solidarität mit Not leidenden Mitmenschen, mit Mitmenschen in Notsituationen. Ich erwarte mir von einer modernen Regierung faire Umverteilung von Wohlstand, den wir hier in diesem Land haben, Steuern für superreiche globale Kon­zerne, etwa die Finanztransaktionssteuer. Damit könnte man mit links das bedingungs­lose Grundeinkommen für alle finanzieren und damit dauerhaft Frieden und Wohlstand in unserem Land sichern.

Ich habe diese Rede gemeinsam mit einer armutsbetroffenen Mitbürgerin erstellt. Ihr Name ist Daniela Brodesser, sie wohnt mit vier Kindern und Ehemann in Oberöster­reich. Es ist mir wichtig, dass wir hier zeigen, dass wir Volksvertreterinnen und Volks­vertreter auch diese armutsbetroffenen Menschen – gerade diese Menschen! – ver­treten. – Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der NEOS.)

10.41

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Efgani Dönmez. – Bitte.