14.12

Abgeordneter Josef Schellhorn (NEOS): Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Minister! Zu meiner Vorrednerin: Ich komme ein bisschen später dazu, was Sie jetzt gesagt haben, was die NEOS so wollen. Man weiß gar nicht, was die SPÖ so will, aber das werden wir später ein bisschen beleuchten.

Nun: Es gibt 129 Kassenarztstellen, die unbesetzt sind. Wie wir heute aus einer Grafik erfahren haben, sind 68 der Allgemeinmedizin zuzuordnen, 61 sind Facharztordi­na­tionen, die nicht besetzt werden können. 2018 sprach die Ärztekammer sogar von 1 400 fehlenden Plätzen. Wer das berechnet hat, ist fraglich, das ist, glaube ich, eine Fantasierechnung, wir können es nicht nachvollziehen.

Eines aber ist ganz klar: Die Versicherten sind in der Grundversorgung zunehmend auf Wahlärzte angewiesen. Das ist de facto ein Dilemma der ÖVP, der SPÖ und der FPÖ. Das ist auch klar zu kritisieren, weil aus ihrer Sicht da überhaupt kein Handlungsbedarf be­steht. Das empfinde ich als fatal. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Hartinger-Klein.– Ja, da komme ich auch noch auf Sie zu.

Was da passiert ist, ist Folgendes: Es gibt ein klares Versagen der Kammerselbst­ver­waltung, das heißt, es ist ein Versagen der Kammern. Diese Kammern, um sie na­mentlich zu nennen – Peter Haubner wird jetzt überrascht sein –, sind das: natur­gemäß die Wirtschaftskammer, die Arbeiterkammer, die Landwirtschaftskammer, der ÖGB, aber auch die Ärztekammer. Es muss uns bewusst sein, dass wir da einfach ein Komplettversagen haben.

Eines überrascht mich aber vor allem bei der SPÖ. Ich frage mich, wie stringent Ihre Politik eigentlich ist. Ich verstehe das nicht mehr ganz: Im Jänner sind Sie noch für mehr Kassenärzte gewesen, da hatten wir sogar einige parlamentarische Anträge dabei. Jetzt schützen Sie, die SPÖ, die Kassenbürokraten, die die Kassenarztstellen nicht besetzen. Das ist irgendwie ganz komisch: also im Jänner noch so und im März jetzt so. Vielleicht hat das auch damit etwas zu tun, dass gerade Arbeiterkam­mer­wahlen sind und dass Sie da einfach Ihre Bonzen auch schützen wollen? Das ist, glaube ich, die Tatsache, dessen müssen wir uns bewusst sein. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Wie das Ganze aber geht, hat schon auch etwas damit zu tun – die Regierung darf sich da jetzt nicht wegducken –, dass von dieser Sozialversicherungsreform – August Wöginger hat davon gesprochen – niemand etwas spüren wird. Das glauben wir. Vor allem die Versicherten werden keine Entlastung spüren. Das ist das Thema. Ansonsten spürt jeder Kammerfunktionär eigentlich etwas, nämlich dass es ihm ein bisschen bes­ser geht.

Die Regierungsvertreter, die sozusagen noch immer glauben, dass die Kassenreform Probleme löst, die glauben, glaube ich, auch an den Osterhasen; der kommt recht bald. Es gibt aber auch welche, die auf der Regierungsbank sitzen und an Chemtrails glauben – es obliegt Ihnen, woran Sie glauben –, nur dass diese Reform den Ver­sicherten zugutekommt, das glaubt mittlerweile fast kein Bürger mehr.

Darum: Der gelernte Österreicher weiß auch, worum es geht. Diese Selbstverwaltung löst die Probleme der Menschen nicht, diese Selbstverwaltung arbeitet nicht für die Versicherten. Diese Selbstverwaltung arbeitet nur für die Selbstverwaltung, das sagt ja schon der Name.

Es gibt natürlich genügend Kammerfunktionäre in diesem Land – in Arbeiterkammer, Wirt­schaftskammer, Gewerkschaft, Landwirtschaftskammer –, die ein Pöstelchen brauchen, und diese Sozialversicherungsreform berücksichtigt einfach nur diese Kammerfunk­tionäre.

Darum stelle ich zum Schluss einen Entschließungsantrag, der folgenden Text hat:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Josef Schellhorn, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Moderni­sierung der Selbstverwaltung – Versichertenvertreterwahlen jetzt“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat schnellstmöglich eine Regie­rungsvorlage vorzulegen, die zum Inhalt hat, dass die Mitglieder in den Gremien der Sozialversicherungsträger künftig nicht mehr von den Kammern beschickt werden, sondern von den Versicherten und Unternehmen direkt gewählt werden.“

*****

Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

14.17

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Josef Schellhorn, Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Modernisierung der Selbstverwaltung - Versichertenvertreterwahlen jetzt

eingebracht im Zuge der Debatte in der 66. Sitzung des Nationalrats über den Bericht des Gesundheitsausschusses über den Antrag 646/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnahmen gegen die restriktive Stellenplanungspolitik der Kassen und Ärztekammern (540 d.B.) – TOP 8

Problem: die Kammer-beschickten Kassen und Ärztekammern betreiben entgegen der Versicherteninteressen eine restriktive Stellenplanungspolitik

Die Anzahl der Vertragsarztstellen ist seit 2006 um 3% zurückgegangen, gleichzeitig ist der Bevölkerungsanteil mit einem Alter über 75 Jahren um 26% angestiegen. Das Angebot an Vertragsärzt_innen und die Demographie sind somit seit längerem nicht mehr im Gleichgewicht. Es ist zudem ein starker Anstieg des Wahlarztsektors zu beobachten (seit 2006: +36%). Aufgrund dieser Entwicklungen ist die Bevölkerung mit immer höheren privaten Gesundheitskosten konfrontiert.

Die Aufgabe der vertragsärztlichen Stellenplanung wurde vom Staat an die Selbst-verwaltung (Kammern, Krankenkassen und Ärztekammern) übertragen. Aufgrund der oben geschilderten Entwicklungen ist diese Situation nicht mehr hinnehmbar. Die Diskussion über die Sonderklasse-Ambulanzen hat zudem gezeigt, dass die Ärzte­kammern an steigender privatmedizinischer Versorgung interessiert sind. Die Kranken­kassen haben ebenfalls ein Interesse, Kosteneinsparungen über eine restriktive Stellen­planung zu erwirken. Zwar ist gegen die Privatmedizin grundsätzlich nichts einzuwen­den, aber der zunehmende Privatmedizinanteil in der Grundversorgung ist auf keinen Fall wünschenswert, vor allem wenn die Versicherten mit konstant hohen KV-Beitrags­sätzen konfrontiert sind.

Es braucht echte Versicherten-Vertretung statt Kammerfunktionärs-Nicht-Vertretung

Auch die SV-„Reform“ 2018 macht das österreichische Gesundheitswesen weder fairer noch effizienter oder effektiver. Bei den Wahlfreiheiten der Versicherten ändert sich nichts. So dürfen die Versicherten nicht einmal ihre eigenen Versicherten­vertreter_in­nen direkt wählen. Genau diese Direktwahl der Versichertenvertreter_innen würde aber dazu führen, dass Versicherteninteressen endlich wahrgenommen werden. Derzeit erfolgt glaubwürdige Versichertenvertretung nur über die Patientenanwaltschaft. Be­zeichnend ist hier zudem, dass die Arbeiterkammern, welche sich gern als die Ver­sichertenvertretung sehen, keine Konsumentenschutz-tests zu den enormen Kassenleistungsunterschieden machen. Dadurch würde man aber erst erkennen, dass GKK-Versicherte bei den Leistungen mit erheblichen Nachteilen konfrontiert sind. Stattdessen schützen die Arbeiterkammern ihre eigenen Kassen-Funktionär_innen dadurch, indem Konsumentenschutztests nur für private Versicherungen durchgeführt werden.

Versichertenvertreterwahlen („Urwahlen“) hat es bereits in der Anfangsphase der Republik gegeben.

Ursprünglich gab es in Österreich Versichertenvertreterwahlen, die sogenannten „Ur­wah­len“. Nach dem zweiten Weltkrieg hat man sich aber dazu entschieden, die Ver­sichertenvertreter_innen durch Kammerfunktionär_innen zu ersetzen. Unter anderem mit der Begründung, dass die „Vornahme solcher Urwahlen bei den gegenwärtigen Verhältnissen (Verkehrshindernisse, Papiermangel, unvollständige Versicherungsevi­denz usw.) größten Schwierigkeiten begegnen würde“. Das war 1947. Mittlerweile kann keine Rede mehr von Verkehrshindernissen, Papiermangel oder unvollständigen Ver­sicherungsevidenzen sein, womit wieder zu den ursprünglichen Urwahlen übergegan­gen werden kann.

Experten im SV-Reform-Experten-Hearing zu Versichertenvertreterwahlen

Mehrere Experten haben im SV-Reform-Experten-Hearing auf Versichertenver­treter­wahlen hingewiesen (Pichlbauer, Leisch). Zudem wurden die Demokratisierung und mehr Anreize zur Beteiligung der Versicherten gefordert (Hofmarcher). Ein Experte wies sogar darauf hin, dass er als Nicht-Kammermitglied nicht einmal indirekt an der Entsendung von Kammerfunktionär_innen in die SV-Gremien beteiligt sei (Raschauer). In Zusammenhang mit den Versichertenvertreter_innen stellte ein Experte zudem fest, dass eine höhere Zahl an Versichertenvertreter_innen nicht notwendigerweise nach­teilig sei, sofern sie sich als echte Versichertenvertreter_innen sehen (anstatt als Kam­merfunktionär_innen) und ihre Aufgabe dementsprechend im Sinne der Versicherten­vertretung wahrnehmen (Pichlbauer).

Deutsche Sozialversicherung als Vorbild („Sozialwahlen“) - Beispiel: Techniker Kranken­kasse (TK)

In der deutschen SV sind Versichertenvertreterwahlen (Sozialwahlen) etwas völlig Normales (https://www.tk.de/techniker/unternehmensseiten/unternehmen/verwaltungsrat-der-tk/sozialwahl-2017-2012900). Dabei können die Versicherten und Unternehmen ihre eigenen Listen erstellen. Danach wählen die Versicherten und Unternehmen getrennt Versichertenvertreter_innen aus beiden Gruppen (z.B.: TK-Verwaltungsrat: 15 Vertre­ter_innen der Versicherten, 15 Vertreter_innen der Unternehmen). Dabei haben die Mitglieder der Kasse je ein Stimmrecht. Das Stimmrecht der Unternehmen orientiert sich an der Zahl ihrer Mitarbeiter_innen, die bei der jeweiligen Kasse versichert sind

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat schnellstmöglich eine Regie­rungsvorlage vorzulegen, die zum Inhalt hat, dass die Mitglieder in den Gremien der Sozialversicherungsträger künftig nicht mehr von den Kammern beschickt werden, sondern von den Versicherten und Unternehmen direkt gewählt werden.“

*****

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Der soeben eingebrachte Antrag wurde aus­reichend unterstützt, ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Fichtinger. – Bitte, Frau Abgeordnete. (Abg. Haubner: ...gleichzeitig mit Nationalratswahlen!)