11.07

Abgeordnete Dr. Irmgard Griss (NEOS): Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Meine Damen und Herren! Ich hätte meinen Beitrag, unabhängig von dieser Aufregung jetzt, ohnehin etwas ruhiger und allgemeiner angelegt. (Beifall bei den NEOS.)

Ich möchte von einem Kommentar ausgehen, der am vergangenen Montag in der „Pres­se“ erschienen ist. In diesem Kommentar wurde beklagt, dass die Opfer von Christ­church so viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, dass aber kaum darüber berichtet wird, dass Christen verfolgt und getötet werden. Meiner Meinung nach ist dieser Kom­mentar, dieser Artikel typisch für eine bestimmte Geisteshaltung. Ich glaube, dass die­se Geisteshaltung wesentlich ist und nicht, wo der Attentäter sich überall aufgehalten hat, denn diese Geisteshaltung beruht darauf, dass zwischen Menschen unterschieden wird, dass Opfer unterschiedlich eingeordnet werden, dass Leid gewichtet wird, dass es schwerer wiegt, wenn das unsere Leute betrifft, und nicht so schwer, wenn es die anderen betrifft, dass es Menschen gibt, die anders sind, anders als wir (Zwischenruf des Abg. Taschner), dass Menschen in ein bestimmtes Kästchen eingeteilt werden, so wie das Thomas Bauer in der „Vereindeutigung der Welt“ beschreibt, dass wir die Men­schen sortieren (Abg. Taschner: Das ist falsch! Da haben Sie ihn falsch gelesen!), nach ihrer Ethnie, nach ihrem Religionsbekenntnis. Thomas Bauer führt als Beispiel auch die sexuelle Orientierung an. Das sind dann andere Menschen, sie sind anders, und was anders ist, macht Angst. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Sie kennen wahrscheinlich die Erzählung von Franz Kafka „Die Verwandlung“. Gregor Samsa verwandelt sich in einen Riesenkäfer. Wenn man diese Erzählung liest, spürt man die Angst, die mit dieser Verwandlung, mit diesem Fremdwerden verbunden ist, geradezu körperlich. Es ist beängstigend.

Diese Angst vor dem Anderen ist auch die Grundlage dieses Buches, das der Herr In­nenminister zitiert hat: Renaud Camus’ „Le Grand Remplacement“ – The Great Re­placement, der große Austausch. Wir sind in einer Situation, in der die Gefahr besteht, dass Menschen aus Nordafrika – Nordafrikaner, Menschen ist in diesem Zusammen­hang schwierig – und aus Subsahara-Gebieten Europa kolonialisieren, dass es hier zu einem Austausch der Bevölkerung kommt. Dieser drohende Austausch der Bevölke­rung zwingt uns, unsere Kräfte zu mobilisieren, und er rechtfertigt dann in der obskuren Ideologie mancher Menschen solche Taten. Sie fühlen sich dadurch gerechtfertigt, sie sehen sich als Mittel, um eine große Gefahr für uns abzuwenden. Sie sehen den Men­schen, den anderen, nicht mehr als Menschen so wie uns, sondern als ein Objekt, und sie wenden sich damit von allem ab, was Grundlage unserer Zivilisation und Kultur ist.

Artikel 1 der Grundrechtecharta sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da heißt es nicht: Die Würde des weißen Europäers ist unantastbar, die Würde des Chris­ten ist unantastbar. Es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und JETZT.)

Immanuel Kant, dem wir die Aufklärung und damit unsere Zivilisation zu einem großen Teil verdanken, hat gesagt, der Mensch muss immer auch Zweck sein, er darf nie nur Mittel sein. Wenn es, wie beim Attentäter von Christchurch, zur Verbindung von unbe­grenzter Überheblichkeit – ich gehöre der besseren Rasse an! – und religiösem, ras­sistischem Fundamentalismus kommt, dann fühlt sich so jemand gerechtfertigt, so eine Tat zu begehen. Er fühlt sich als Werkzeug seiner verqueren Hoheit – Gott oder wes­sen Willen er immer hier auf Erden verwirklichen will.

Die Wurzel all dessen aber ist die Abgrenzung – der andere ist anders –, denn aus der Abgrenzung folgt die Ausgrenzung, und die Ausgrenzung führt in extremen Fällen zur Auslöschung. Gerade wir – mit unserer Geschichte – müssen besonders wachsam sein. Wir werden nicht sagen können: Wir haben das nicht kommen sehen! Daher rufe ich Sie alle, uns alle auf: Wehren wir den Anfängen und treten wir gegen solche Geis­teshaltungen auf! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und JETZT.)

11.13

Präsidentin Doris Bures: Ich begrüße auf unserer Galerie Vertreter des Senioren­bundes aus Kobersdorf. – Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Amon. – Bitte.