13.48

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schimanek hat angesprochen, dass nicht alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger das Volksbegehren unterschrieben haben, aber es haben immerhin fast 482 000 Bürgerinnen und Bürger unterschrieben, und ich glaube, wir als Politikerinnen und Politiker wissen auch, welcher Aufwand dahinter steckt, so viele Menschen von einer Sache zu überzeugen.

Ich glaube, dass man auch sagen muss, es ist ja nicht nur Aufwand, sondern es ist sehr viel ehrenamtliche Arbeit, die damit einhergeht, sehr viel Geld, sehr viel Zeit, die man investiert, wenn man sich politisch engagiert. Das ist etwas, was wir hier im Hohen Haus grundsätzlich mehr wertschätzen sollten. Ich glaube, dass gerade der Umgang mit den Volksbegehren, wie wir heute sehen, aber auch beim Nichtraucher­volksbegehren gesehen haben, schon auch zeigt, dass wir dem eben nicht genügend Wertschätzung entgegenbringen, denn eine echte Wertschätzung von zivilgesellschaft­lichem Engagement und von BürgerInnenbeteiligung wäre, wenn man die Anliegen dann auch in politische Handlungen weiterführt, in Anträge, in Gesetzesvorschläge, und schlussendlich dann auch dem Willen der Bevölkerung in vielen Dingen entspricht. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Viele kämpfen auch gemeinsam dafür, dass Frauen und Männer dieselben Chancen im Leben haben, dass sie ihr Leben so gestalten können, wie sie es möchten, und auch selbstbestimmt Entscheidungen treffen können, wie sie ihre Karriere gestalten wollen, ob sie Kinder haben möchten, wie intensiv sie diese gerne selber betreuen möchten, ob sie Zeit damit verbringen möchten, ihre Angehörigen zu versorgen, näm­lich so, wie sie wollen, und nicht, wie es ihnen von außen durch schlechte Rahmen­bedingungen oder stereotype Darstellungen aufgezwungen ist, was von einem denn von der Gesellschaft her verlangt sein sollte oder nicht.

Manche nennen es Wahlfreiheit, ich nenne es einfach nur überhaupt Freiheit, die Frei­heit für Eltern – und das gilt genauso für heterosexuelle wie für homosexuelle Paare, welche Konstellation auch immer –, zu entscheiden, wann sie wie viel Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Das sollen diese selber tun. Um diese Entscheidung überhaupt frei treffen zu können, braucht es einiges an Rahmenbedingungen. Das bedingt, dass es ausreichend Kinderbetreuungsplätze gibt, also die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Vollzeitberufstätigkeit der Eltern ermöglicht wird, das heißt ganz­tägige und ganzjährige Öffnungszeiten sowie leichte Erreichbarkeit der Betreuungsein­richtungen. Ich zähle jetzt auch ein paar Dinge auf, die im Volksbegehren genannt sind, die ich für ganz essenziell halte –, vereinheitlichte bundesweite Qualitäts­stan­dards für bedarfsorientierte Betreuung und individuelle Frühförderung. Frühförderung zu erwähnen finde ich dabei auch ganz wichtig, da das auch ein wichtiger Punkt ist.

Wir kämpfen genauso auch für einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz wie auch für einen individuellen Anspruch auf Karenz für jeden Elternteil, was wir als ganz, ganz wesentlichen Hebel sehen, damit sich beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, vor allem auch bei einer gerechten Fifty-fifty-Verteilung von Betreu­ungsverantwortung, was schlussendlich auch die Lohnschere schließen wird, endlich etwas tut.

Ich möchte dazu gleich folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Claudia Gamon, MSc (WU), Kolleginnen und Kollegen betreffend „Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem 1. Geburtstag“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Rechtsanspruch auf einen Kinder­betreu­ungsplatz für jedes Kind ab Vollendung des ersten Lebensjahres zu schaffen. Außerdem soll ein weiterer Ausbau von qualitätsvollen Kinderbetreuungs- und Kin­derbildungseinrichtungen, vor allem mit längeren Öffnungszeiten und weniger Schließ­tagen, sichergestellt werden.“

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Ich halte das für einen ganz essenziellen und wesentlichen Punkt, um auch zu starten, und ich glaube, das ist etwas, bei dem die Bundesregierung auch zeigen kann, ob sie es denn mit dem Thema Frauenpolitik, mit dem Thema Gleichstellung überhaupt ernst meint.

Ein weiteres wichtiges Thema, das das Volksbegehren aufgebracht hat, ist sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Rechte, weil wir viel zu selten in diesem Haus darüber reden. Wir sprechen viel zu selten darüber, wie es auch die individuelle Frei­heit von jungen Mädchen negativ betrifft, wenn das nicht gegeben ist. Frauen müssen die Möglichkeit haben, selbstbestimmt mit ihrer Sexualität umzugehen. Wir wollen, dass jede Frau, wenn sie in die Situation kommt, ungewollt schwanger zu sein, die Möglichkeit hat, frei zu entscheiden, wie sie damit umgeht. Dazu braucht es auch ausreichend Bildung, Beratung und einen einfachen, niederschwelligen Zugang zu Verhütungsmitteln, und es muss auch einen Zugang zum Schwangerschaftsabbruch ohne gesellschaftliches Stigma und Ächtung in jedem Bundesland in Österreich geben. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wir kämpfen auch gemeinsam dafür, dass es endlich eine Finanzierung aus einer Hand im Gewaltschutz gibt.

Sie wissen ja, ich habe nicht alle Forderungen vollinhaltlich geteilt – das ist hinreichend bekannt, und ich habe das auch in den Ausschusssitzungen ausgeführt –, aber ich glaube, dass es wichtig ist, zum Schluss dieses ganzen Prozesses in der Behandlung des Volksbegehrens auch zu sagen, was einen eint. Was uns eint, sind eine konstruk­tive Haltung und der Wunsch, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für alle Bür­gerInnen in diesem Land zu schaffen, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben, ihr eigenes Potenzial voll auszuschöpfen, in ihrem Leben selbstbestimmt zu handeln, aus ihren Träumen zu machen, was sie wollen.

Deshalb möchte ich betonen, was wir gemeinsam haben: Wir kämpfen gemeinsam für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wir kämpfen gemeinsam für echte sexuelle Selbstbestimmung, reproduktive Rechte und körperliche Integrität, und wir kämpfen gemeinsam dafür, dass keine Frau, kein Kind, kein Mann mehr Opfer von häuslicher Gewalt sein soll. Das ist etwas, was wir alle gemeinsam haben, und ich möchte hier mit einem Aufruf betonen, dass es wichtig ist, sich auch auf das Ge­meinsame gerade in dieser Frage zu konzentrieren und einen wertschätzenden Um­gang auch mit den Forderungen von 481 959 Menschen zu haben. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

13.55

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Claudia Gamon, MSc (WU), Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem 1. Geburtstag

eingebracht im Zuge der Debatte in der 70. Sitzung des Nationalrats über den Bericht des Gleichbehandlungsausschusses über das Volksbegehren (433 d.B.) "Frauen­volksbegehren" (513 d.B.) — TOP 1

Bis zur vollständigen Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt ist es noch ein weiter Weg. Wenngleich die Erwerbstätigenquote von Frauen in Österreich stetig steigt und im Jahr 2017 68,2 Prozent betrug, arbeitet nach wie vor fast jede zweite Frau in Österreich Teilzeit (vgl. Statistik Austria). Während die Teilzeitquote im EU-Schnitt im letzten Jahr gesunken ist, ist sie in Österreich gestiegen. Betrug sie im Jahr 2015 rund 46,8 Prozent, so ist sie im Jahr 2016 auf 47,1 Prozent gestiegen (vgl. Eurostat). Bei Männern liegt dieser Prozentsatz bei ca. 10 Prozent.

Wesentlich ist aber nicht nur die Differenz zwischen Männern und Frauen was Teilzeitbeschäftigungen angeht, sondern vor allem die Gründe dafür. Denn während Männer häufig ihr Stundenmaß reduzieren, um sich weiterzubilden, geben 38 Prozent der Frauen zwischen 15 und 59 Jahren an, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um Be­treuungsaufgaben für Kinder oder pflegebedürftige Erwachsene wahrzunehmen. Bei den 15- bis 64-jährigen Männern geben nur fünf Prozent die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Erwachsenen als Beweggrund an. Viel mehr Gewicht haben Bildungsambitionen: 28,8 Prozent der Männer üben einen Teilzeitjob aus, weil sie eine schulische oder berufliche Aus- oder Fortbildung absolvieren. Nicht einmal ein Fünftel der Männer (18,2 Prozent) und Frauen (17,6 Prozent) wollen keine Vollzeitbe­schäfti­gung (vgl. WIFO 2017).

"Die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit hochwertiger Betreuungsein­rich­tun­gen für Kinder ist ein Schlüsselfaktor, der es Frauen, aber auch Männern mit Be­treuungspflichten ermöglicht, am Erwerbsleben teilzunehmen. Eine hochwertige früh­kindliche Betreuung, Bildung und Erziehung ist ferner ein wichtiges Instrument, um gegen eine mögliche soziale Benachteiligung von Kindern vorzugehen; darüber hinaus ist sie der kognitiven und sozialen Entwicklung von Kindern von frühem Alter an förderlich", folgert auch die EU-Kommission in ihrem Bericht zu den Barcelona-Zielen im Jahr 2018.

Österreich hinkt, was zur Verfügung stehende Kinderbetreuungsplätze für unter Drei­jährige betrifft, immer noch anderen EU-Staaten hinterher. EU-weit wurde das Barcelona-Ziel, wonach zumindest für jedes dritte Kind unter drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen soll, von zwölf Mitgliedstaaten erreicht — Österreich ist nicht darunter. Dieses Ziel hätte schon 2010 erreicht werden sollen.

Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen kann nur unter der Bedingung funktio­nieren, dass bei Bedarf ausreichend Infrastruktur und Hilfe zur Verfügung steht. Da-für ist ein sicherer Platz in einer Kinderbetreuungseinrichtung Grundvoraussetzung.

Ziel muss es sein, für jedes Kind einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, und zwar ab dem ersten Kindergeburtstag. Durch einen so geschaffenen Rechtsanspruch entsteht kein Zwang für Eltern, ihr Kind frühestmöglich einer entsprechenden Betreu­ungseinrichtung zu überlassen. Es wird lediglich die Möglichkeit für all jene geschaffen, die Betreuungsplätze wollen oder brauchen. Dadurch gewährleisten wir ein hohes Maß an persönlicher Freiheit und Chancengerechtigkeit für alle. Sowohl für Kinder als auch für Eltern. Und vor allem schaffen wir eine Erleichterung für Frauen, die nach wie vor den Großteil der Care-Arbeit in unserer Gesellschaft leisten. Das zur Verfügungstellen von Kinderbetreuungseinrichtungen als Sachleistung führt zudem zu mehr Chancen­gerechtigkeit, weil dadurch niederschwelliger Zugang zu elementarer Bildung für alle Kinder, unabhängig des sozioökonomischen Hintergrundes der Eltern, ermöglicht wird.

Damit ein Rechtsanspruch auch sinnvoll ist, müssen Betreuungsplätze vor allem für unter Dreijährige weiter ausgebaut werden. Dem Ziel, mehr Betreuungseinrichtungen für alle Kinder zur Verfügung zu stellen, hat sich auch die Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm verschrieben: "Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine qualitätsvolle Kinderbetreuung wichtig, die sich an den Bedürfnissen der Kinder und Eltern orientiert. Der weitere Ausbau eines qualitätsvollen Kinderbetreu­ungs­an­gebots muss dabei im Fokus stehen, der Kindergarten im Sinne der Stärkung der Elementarpädagogik zur Bildungseinrichtung weiterentwickelt werden." (Regierungs­pro­gramm, S. 101). Auch das Frauenvolksbegehren 2018 greift diese Forderung auf und will einen derartigen Rechtsanspruch.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Rechtsanspruch auf einen Kinder­betreuungsplatz für jedes Kind ab Vollendung des ersten Lebensjahres zu schaffen. Außerdem soll ein weiterer Ausbau von qualitätsvollen Kinderbetreuungs- und Kinder­bildungseinrichtungen, vor allem mit längeren Öffnungszeiten und weniger Schließ­tagen, sichergestellt werden."

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung. Es wird nicht der letzte sein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Cox. – Bitte.