11.08

Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (JETZT): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Kollege Wöginger, Sie stellen sich hier heraus und führen zwei Beispiele an: Sie rechnen auf der einen Seite hoch, was ein Mindestsicherungs-, ein Sozialhilfeemp­fänger zukünftig bekommen wird, schmücken es mit Familienbeihilfe aus und fügen al­le Sozialleistungen hinzu, die dieser Staat für Menschen, die eine Familie haben und auch bedürftig sind, zur Verfügung stellt. Dem stellen Sie ein Erwerbseinkommen ge­genüber, ohne anzuführen, dass es auch für diese Menschen und für diese Familien, die tagtäglich einem Beruf nachgehen, sehr wohl auch eine Familienbeihilfe gibt, sehr wohl auch Sozialleistungen gibt. Da würden die Zahlen nämlich ganz anders ausse­hen, da würden wir nicht auf dieselben Beträge kommen, sondern da würde man einen entsprechend höheren Betrag erwähnen müssen.

Wenn Sie hier draußen stehen und sagen, an diesem Pult solle die Wahrheit gesagt werden, es sei unredlich, hier etwas zu verschweigen, dann bitte ich Sie, bei der Wahr­heit zu bleiben (Abg. Wöginger: Ja!) und die Zahlen vollständig zu erwähnen, denn alles andere ist genau, was Sie gesagt haben: nämlich unredlich. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Neubauer: Eigentlich überall soll die Wahrheit gesagt werden, nicht nur dort!)

Ich möchte vielleicht mit dem Abänderungsantrag der Regierungsfraktionen, der heute eingelangt ist, beginnen. Wenn es mir auch schwer fällt, etwas Positives an dieser Re­gierungsvorlage zu finden, so möchte ich doch damit anfangen, jene Punkte zu erwäh­nen, die ich unterstützenswert finde.

Es gibt zwei wichtige Klarstellungen, die das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz betreffen: Erstens soll der Heizkostenzuschuss, der etwa von einer Gemeinde gewährt wird, nicht von der Sozialhilfe abgezogen werden.

Zweite Klarstellung: Private Spenden müssen oder dürfen – im Unterschied zum ur­sprünglichen Entwurf – auch nicht in Abzug gebracht werden. – So, das war es. Das sind die zwei Punkte, die ich als unterstützenswert einstufe.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie aber: Ist es nicht erschütternd, dass es, wenn hier eine Regierung ein Sozialhilfegesetz vorlegt – das heißt, ein Ge­setz, das Menschen in einer Notlage helfen soll –, die gesamte, geeinte Opposition braucht, es Sozialorganisationen braucht, es die Zivilgesellschaft braucht, die genau in diese Richtung drängen, damit es überhaupt zu so einem Abänderungsantrag kommt, der hier eingebracht wird? (Beifall bei JETZT.) Ist es nicht erschütternd? (Abg. Neu­bauer: Nein!) Ich bin der festen Überzeugung. Womöglich liege ich diesbezüglich falsch (Abg. Zarits: Ja, sicher!), vielleicht ist es mit dieser neuen türkis-blauen Regie­rung denkbar geworden, dass man es überhaupt in Erwägung zieht, Hilfeleistungen, die Menschen anderen Menschen gegeben haben, von der Sozialleistung abzuziehen. Vielleicht ist es im Sinne dieser neuen Regierung moralisch zu rechtfertigen, dass sich der Finanzminister am Ende des Tages genau diese Ausgaben spart – nämlich Spen­den von Menschen an andere Menschen, die sich in einer Notlage befinden. Dies ist nun nicht mehr geplant, aber ich muss wirklich sagen, auch wenn dieser Abänderungs­antrag unterstützenswert ist, fühlt es sich nicht richtig an, was aktuell hier debattiert wird. (Beifall bei JETZT.)

Es kann nicht sein, dass es die Zivilgesellschaft braucht, dass es soziale Organisa­tionen braucht, die an Ihrer Regierungsvorlage derartige Kritik üben müssen, derartig aufschreien müssen, damit es schlussendlich zu einem Abänderungsantrag in diese Richtung kommt.

Abgesehen davon sind Sie aber Ihrer Linie treu geblieben. Das Expertenhearing ist schon einige Male erwähnt worden. Ich habe es erschütternd gefunden, wie sämtliche Bedenken, die von hochrangigen Sozialexperten und -expertinnen in diesem Land ge­äußert worden sind, sämtliche Kritik einfach zur Seite gewischt worden ist, als hätte es sie nicht gegeben. Vielleicht sind einige Punkte auch überhört worden, ich habe ge­dacht, ich werde bei dieser Gelegenheit auf alle Fälle noch einmal ansprechen, was die wichtigsten, zentralen Kritikpunkte im Hearing gewesen sind, um ein bisschen Sach­lichkeit in das Thema zu bringen.

Einer der größten Kritikpunkte war, dass Menschen, die sich bereits in einer sozialen Notlage befinden, weiter an den Rand gedrängt werden, weil bei den aktuellen Zahlen zur Armutsschwelle nämlich nicht die EU-SILC-Daten herangezogen werden, wodurch sich eine niedrigere Zahl ergibt.

Sie ignorieren auch völkerrechtliche Verpflichtungen, das war einer der größten Kritik­punkte. Es wurde bemängelt, dass nämlich unter anderem die Kinderrechtskonvention und die Behindertenrechtskonvention nicht in einem Ausmaß eingehalten werden, in dem es diesen Menschen eigentlich zustehen würde, nämlich was die Chancengleich­heit für Kinder und für Menschen mit Behinderung betrifft. Ich habe es im Ausschuss bereits angeführt: Ein Kind kann nichts dafür, dass seine Eltern Sozialhilfe empfangen. Ein Kind kann nichts dafür. Deshalb darf es auch nicht die Folge der Politik sein, dass wir diesen Kindern die Zukunftschancen verbauen. (Beifall bei JETZT und bei Abgeord­neten der SPÖ.)

Sie nennen das degressiv gestaffelt – das ist eine Umschreibung dafür, dass es in der Zukunft für mehrere Kinder weniger Unterstützungsleistungen geben wird, dass sich auf die Summe der Kinder gerechnet die Unterstützungsleistung mit einem weiteren Kind reduzieren wird. Das nennen Sie degressiv gestaffelt, ich nenne es Zukunftsraub diesen Kindern gegenüber. (Beifall bei JETZT.)

Was den Föderalismusdschungel betrifft, ist im Ausschuss auch schon einiges gesagt worden. (Zwischenruf des Abg. Stefan.) Unter anderem hat eine Behinderung nichts mit fehlendem Leistungswillen zu tun. (Abg. Gödl: Hat er ja gesagt!) Eine Behinderung hat nichts damit zu tun, dass ein Mensch nicht bereit wäre, zu arbeiten. Aber dem­entsprechend ist die Situation gegeben, dass diese Menschen auf eine Sozialleistung angewiesen sind, dass sie auf Mindestsicherung oder zukünftig Sozialhilfe angewiesen sind.

Was Sie aber machen, ist, nach dem Grad der Behinderung zu unterscheiden. Sie un­terscheiden gezielt: Wer hat über 50 Prozent Einschränkung der Erwerbsfähigkeit und wer hat weniger? Menschen, die weniger eingeschränkt sind, haben nämlich überhaupt keinen Anspruch auf den von Ihnen, Frau Ministerin, und von Ihnen, Kollege Wöginger, erwähnten Bonus für Menschen mit Behinderung. (Ruf bei der ÖVP: War bisher auch so!) Menschen mit unter 50 Prozent Behinderung haben keinen Anspruch darauf. (Abg. Gödl: Das ist nicht neu!) Warum unterscheiden Sie hier? Warum wird hier gezielt getrennt? – Je nachdem, ob ausreichend Behinderung vorliegt oder nicht, gibt es eine Unterstützung oder es gibt keine Unterstützung. Ich finde das wirklich nicht in Ordnung, das ist meiner Meinung nach keine Sozialpolitik, dieses Gesetz beinhaltet keinen ge­rechten Anspruch.

Es geht dann weiter, was die Einrechnung von Wohnkosten betrifft, es geht weiter, was die Einrechnung von Lebenshaltungskosten betrifft – all diese Punkte schieben Sie auf die Länder ab. Sie gehen her und sagen: Wir machen eine Obergrenze. Doch ein Min­destmaß für ein menschenwürdiges Leben schreiben Sie nicht fest, das überlassen Sie den Ländern. Das ist genau meine Kritik, denn da entsteht dieses Föderalismusmons­ter, das Sie hiermit entfesseln. Sie starten ein Race to the bottom – wer weniger So­zialleistung zahlt, wird am Ende des Tages belohnt werden. Wer bietet weniger? – Das ist genau dieser Ausgrenzungswettbewerb, den ich gezielt ablehne.

Sie gehen auch in Richtung Sachleistungen – es gab große Kritik eines Experten, von Professor Dimmel von der Universität Salzburg, der angeführt hat, für Menschen, die aus der Sozialhilfe eine Sozialleistung erhalten, Sachleistungen im Wohnkostenbereich einzuführen, entspreche einer Stigmatisierung dieser Menschen. Er hat auch geschil­dert, warum: Es ist für einen Vermieter oft nicht wünschenswert, einem Sozialhilfeemp­fänger eine Wohnung zu vermieten, einfach weil diese Menschen vielleicht für unzuver­lässig gehalten werden und in der Folge zudem in eine Situation gedrängt werden, die es ihnen verunmöglicht, Zugang zu adäquatem Wohnraum zu erhalten.

Ein Punkt, der mir im Hearing besonders wichtig war und den ich auch stark kritisiert habe, ist die Sanktionierung, wenn sich Menschen um einen Job bemühen. Sie bemü­hen sich um einen Job, sie bemühen sich um eine Ausbildung, aber sie beziehen noch Sozialhilfe. Genau bei diesen Personengruppen planen Sie eine finanzielle Einschrän­kung. Sie verlangen nämlich, dass eine betroffene Person, die eine Ausbildung braucht, sich diese selbst bezahlen soll – und Sie wollen die Sozialhilfe noch um 300 Euro kür­zen. Einen Gruß an alle Menschen da draußen, die noch nicht die Ausbildung haben, die diese Regierung vorschreibt, die noch nicht die Kriterien erfüllen, die diese Regie­rung zukünftig vorschreibt! Es wird finanzielle Kürzungen geben, mit denen eine Kür­zung der Sozialhilfe einhergehen wird.

Das ist die aktuelle Situation, die wir vorfinden. Das ist auch der Grund, aus dem ich frage, warum in dem Entwurf keine Mussbestimmung für Alleinerziehende enthalten ist. Sie rühmen sich und sagen: Wir werden die Situation für Alleinerziehende verbes­sern. – Nein, das machen Sie nicht. Sie lassen es offen. Sie lassen offen, ob es durch die Länder etwas dazu kommen kann oder nicht. Wieso schafft es diese Bundesregie­rung allerdings nicht, ein Mindestmaß für ein menschenwürdiges Leben zu definieren und dieses zu gewährleisten, anstatt dies den Bundesländern zu überlassen? (Abg. Gödl: Haben Sie schon etwas von Artikel 12 gehört?) Denn das ist es, was wir als ge­recht der Bevölkerung gegenüber empfinden, die sich in einer Notlage befindet. (Abg. Gödl: Sie brauchen einen Nachhilfekurs in Verfassungsrecht! – Abg. Steinacker: Bil­den Sie ... Bundesverfassung!)

Ich möchte auch noch einen Antrag einbringen – wenn es nichts hilft, dann schadet es wenigstens nicht. Sie gehen her und sagen, die UN-Kinderrechtskonvention ist Ihnen egal, es wird pro Kind schlussendlich gestaffelt weniger bezahlt, sie sollen es sich auf­teilen, Menschen mit Behinderung werden nach dem Grad ihrer Behinderung beurteilt, Wohnkosten werden eingerechnet, wenn diese in einer Haushaltsgemeinschaft mit den Eltern leben, sollen sie entsprechend weniger erhalten, oder die Bundesländer regeln es. Dazu möchte ich wirklich sagen: Wenn Sie die UN-Kinderrechtskonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention einhalten wollen, dann bitte ich Sie, diesen Antrag zu unterstützen, weil er das gewährleisten und Ihre Behauptung, dass Sie das ohnehin tun würden, entkräften würde.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Daniela Holzinger-Vogtenhuber, Kolleginnen und Kollegen betref­fend „Einhaltung der Bestimmungen der UN-Konventionen zu Kinderrechten und Be­hindertenrechten im Rahmen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insb. die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und KonsumentInnenschutz, wird aufgefordert, im Rahmen des Sozialhilfe-Grundsatzgeset­zes die vollumfängliche Einhaltung der Bestimmungen sowohl der UN-Behinderten­rechtskonvention, als auch der UN-Kinderrechtskonvention sicher zu stellen.“

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Stimmen Sie dem zu! Wenn Sie behaupten, Sie würden das ohnehin tun, dann kann das ja kein Problem sein, hier Ihre Zustimmung zu signalisieren. – Vielen Dank. (Beifall bei JETZT.)

11.19

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Daniela Holzinger-Vogtenhuber, Kolleginnen und Kollegen

betreffend „Einhaltung der Bestimmungen der UN-Konventionen zu Kinderrechten und Behindertenrechten im Rahmen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes“

eingebracht im Zuge der Debatte zum Tagesordnungspunkt 1: Bericht des Ausschus­ses für Arbeit und Soziales über die Regierungsvorlage (514 d.B.): Sozialhilfe-Grund­satzgesetz.

Begründung

Das ExpertInnenhearing vom 15.4.2019 zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz hat eindeutig ergeben, dass die Vorlage der Regierung ungeeignet ist, Österreichs völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Kindern (UN-Kinderrechtskonvention), aber auch gegen­über behinderten Menschen (UN-Behindertenrechtskonvention) in gebührender Weise nachzukommen.

Im Hinblick auf das Wohlergehen und die Chancengleichheit aller Kinder – die für die prekäre Lage ihrer Eltern keinerlei Schuld tragen – ist hier insbesondere die degressive Staffelung der Kinderrichtsätze zu kritisieren. Selbst unter der Maßgabe, dass die Sum­me der für Kinder gebührenden Beträge rechnerisch gleichmäßig auf alle Minderjäh­rigen im Haushalt aufzuteilen ist, genügt nicht, um eine derart drastische Verringerung (25%, 15%, 5%) wie vorgesehen zu rechtfertigen. Es ist daher klar, dass mit steigender Kinderzahl die Chancen im Leben für jedes einzelne Kind sinken – eine solche Si­tuation mutwillig herbeizuführen darf keine Zielsetzung eines modernen Sozialstaates sein und widerspricht dem Ziel, Kindern eine dem gesellschaftlichen Durchschnitt gleichkommende Existenzsicherung zu gewähren.

Im Hinblick auf Menschen mit Behinderung wiederum, ist dem Normalisierungsprinzip folgend festzuhalten, dass eine dem gesellschaftlichen Durchschnitt entsprechende, nachfragefähige Situation zu gewährleisten ist. Durch den Vorrang der Sachleistungen im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz ist augenscheinlich, dass dies nicht der Fall ist und Menschen mit Behinderung auch aus dem Grund diskriminiert werden, weil sie kör­perlich nicht über die Voraussetzung verfügen, eine Situation herbeizuführen, in der sie unabhängig von sozialen Hilfeleistungen werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insb. die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und KonsumentInnenschutz, wird aufgefordert, im Rahmen des Sozialhilfe-Grundsatzge­setzes die vollumfängliche Einhaltung der Bestimmungen sowohl der UN-Behinderten­rechtskonvention, als auch der UN-Kinderrechtskonvention sicher zu stellen.“

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, er steht daher auch mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Werner Neubauer. – Bitte.