16.06

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Vorweg, Herr Kollege Nehammer: Sie haben wörtlich gesagt – ich glaube, es ging um den Unterschied zwischen der SPÖ und der FPÖ –, bei jeder Entgleisung gibt es bei der FPÖ Konsequenzen. Ich muss Ih­nen, glaube ich, jemanden hier im Haus vorstellen, das ist Kollege Höbart, Christian Höbart, Abgeordneter der FPÖ. Das war der, der auf Facebook ein Posting gemacht hat und Migranten als „Höhlenmenschen“ diskreditiert hat. Die Konsequenz darauf habe ich nicht mitbekommen, er sitzt immer noch da. Es gibt offensichtlich nicht bei je­der Entgleisung Konsequenzen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Was ich auch nicht verstanden habe, ich sage es Ihnen ganz ehrlich, ist: Ja, es mag sein, dass es in der SPÖ auch viele Dinge gibt, die nicht in Ordnung sind, aber das ist eigentlich nicht das, finde ich, worüber wir hier jetzt reden sollten. (Rufe bei der ÖVP: Wieso nicht? Wieso nicht?) – Okay, ich weiß nicht, wieso die ÖVP so ein zwingendes Bedürfnis hat, über die Entgleisungen der SPÖ zu reden.

Ich sage Ihnen etwas, ich habe ein ganz anderes Anliegen: Mir geht es darum, dass es meiner Meinung nach in der Politik rote Linien gibt und dass diese roten Linien zu Recht auch – da gebe ich Ihnen recht, Herr Vizekanzler, und auch dem Herrn Bundes­kanzler – immer wieder aufgestellt werden. Das Problem ist nur, dass wir wöchentlich dann über diese Linien und über diese Linienverschiebung reden, weil immer ein ver­meintlicher Einzelfall kommt und diese Linie verschoben wird. Ich habe es ehrlich ge­sagt satt, dass wir uns hier in diesem Parlament darüber unterhalten müssen, wo denn die rote Linie ist und was denn gerade noch in Ordnung ist.

Ich habe auch schon aufgehört, bei der Summe aller Einzelfälle, die da in der FPÖ passiert sind, mitzuzählen. Was ich wirklich auch zurückweisen will, ist etwas, was so­wohl der Herr Vizekanzler – Sie (in Richtung Vizekanzler Strache) haben das ange­sprochen – als auch jetzt Herr Klubobmann Rosenkranz gesagt haben: dass das jetzt etwas mit der Europawahl zu tun hat. Ich meine, der Vorfall mit dem Rattengedicht, das von einem – mittlerweile – ehemaligen FPÖ-Vizebürgermeister geschrieben wurde, war jetzt vor Kurzem, und das haben nicht wir uns oder die SPÖ oder sonst jemand sich ausgesucht, dass es jetzt an die Öffentlichkeit gekommen ist, und das hat auch nichts mit der Europawahl zu tun. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das Problem ist, dass ich mich frage, wie wir denn damit umgehen, wenn jedes Mal diese rote Linie überschritten wird, die aufgestellt wird, und wie unglaubwürdig es dann ist, nach Konsequenzen zu rufen und zu sagen: Ja, man muss jetzt etwas machen, ich stelle hier erneut eine rote Linie auf und sage, das und das geht gar nicht! – Diese Verschiebung der roten Linien führt erstens dazu, dass es eine Vergiftung des politi­schen Klimas gibt, dass gegen Bevölkerungsgruppen gehetzt wird, und zweitens ist ei­ne rote Linie ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr sonderlich ernst zu nehmen, wenn sie andauernd überschritten wird und wir sie dann woanders aufstellen. Das ist eigentlich etwas, was ganz logisch ist, und das Problem ist: Wenn ich jedes Mal nach einer neuen Konsequenz rufe, egal ob der Bundeskanzler oder der Vizekanzler oder wer auch immer, merke ich am Schluss irgendwann einmal nicht mehr, was denn kon­kret eigentlich diese rote Linie gewesen sein soll.

Herr Vizekanzler, mir geht es in Wirklichkeit um etwas ganz anderes. Ich erkenne ja sogar an, dass Sie da schnell reagiert haben. Das haben Sie gemacht. Sie haben den FPÖ-Vizebürgermeister aus der Partei rausgeschmissen – oder er ist selbst gegan­gen –, Sie haben gesagt: So etwas hat in der FPÖ keinen Platz!, aber Sie wissen auch, dass das nicht nur gerade jetzt passiert. Das ist ja nicht der Erste bei Ihnen, der eine rote Linie überschreitet; Sie wissen, Kollege Höbart als Beispiel, und ich habe ein paar der wirklich ganz widerlichen Beispiele mitgebracht, Sie kennen die auch alle. Sie ha­ben ja auch zu Recht in vielen Fällen wirklich reagiert, das muss man Ihnen auch las­sen, aber Sie kennen den ehemaligen Gewerkschafter in Wels, der NS-Devotionalien verteilt und mit ihnen dealt. Sie wissen, dass Noch-FPÖ-Landtagsabgeordnete aus Wien immer wieder bei der Ehrenveranstaltung für den NS-Piloten Walter Nowotny an seinem Grab teilnehmen.

Sie kennen das Posting des FPÖ-Mitarbeiters des burgenländischen Landeshaupt­mannstellvertreters Johann Tschürtz – insofern haben Sie da nicht unrecht, die SPÖ toleriert das offensichtlich auch, das stimmt; das ist aber das grundsätzliche Problem. Der hat während des Vienna City Marathons ein Posting gemacht, bei dem dunkelhäu­tige Läufer dabei waren, und geschrieben: „Habens heute Ausgang?“ – Und die Kon­sequenz war, dass man mit ihm spricht.

Sie hatten FPÖ-Funktionäre, die ehemaligen Politikerinnen der Grünen eine Gruppen­vergewaltigung gewünscht haben.

Sie kennen ein Mitglied des Vorstands der FPÖ Tulln; dieses hat auf Facebook über „Untermenschen“ geredet und dann gesagt, sie kannte die Begrifflichkeit nicht. Selbst wenn man die Begrifflichkeit nicht kannte, ist das, finde ich, kein Begriff, den man ver­wenden sollte.

Sie kennen den nunmehrigen Mitarbeiter von Ihnen, Herr Bundesminister Hofer, der geschrieben hat, dass Widerstandskämpfer in der NS-Zeit Verräter waren. Er hat sich irgendwann einmal dafür entschuldigt, aber er hat das zumindest nichtsdestotrotz ge­macht.

Sie kennen Postings, wo Leute als „Kongoaffen“ bezeichnet wurden.

Sie kennen – sehr faszinierend, insbesondere sehr widerlich – das ehemalige Mit­glied – da haben Sie auch Konsequenzen gezogen, das ist richtig – der freiheitlichen Gewerkschaftsfraktion. Das hat auf Facebook ein Bild einer älteren Dame mit Keksen in Hakenkreuzform gepostet und dann daruntergeschrieben: „Omas Kekse sind die besten!“

Sie kennen das Rattengedicht, das wir gehört haben.

Herr Vizekanzler, das Problem ist nicht, dass Sie dann die Konsequenz ziehen, das Problem ist, dass es offensichtlich wesensimmanent in der DNA der FPÖ ist (Beifall bei NEOS, SPÖ und JETZT), dass Sie solche Leute anziehen, das ist das Problem. Ich nehme es Ihnen ja ab, dass Sie sie ausschließen, aber Sie müssen sich darüber Ge­danken machen, wie es dazu kommt, dass sehr viele Leute, die solch ein Gedankengut haben, bei Ihnen Funktionärinnen und Funktionäre sind. Das ist die große Frage, die wir uns stellen müssen.

Es hilft nichts, wenn man jedes Mal, wenn man so etwas Widerliches mitkriegt, eine neue Grenze aufstellt und sagt: Bis hierher und nicht weiter, ich ziehe die Konsequen­zen!, sondern Sie müssen sich im Kern fragen, was Sie machen – ich sage jetzt nicht, dass Sie persönlich dafür verantwortlich sind, aber Sie sind Parteiobmann der FPÖ –, dass solche Leute in größerer Anzahl bei Ihnen mitwirken wollen. Das ist eine Aufgabe, die schlichtweg nur Sie selbst erfüllen können. – Diese Gedanken müssen Sie sich machen.

Die ÖVP muss sich folgende Frage stellen – und das ist die, die mich in den letzten Ta­gen auch im Zusammenhang mit dem Rattengedicht am meisten beschäftigt –: Wie geht es Ihnen damit, dass Sie in einer Koalition mit einer Partei sind, die offensichtlich wesensimmanent in ihrer DNA drinnen hat, dass sie Leute mit solch einem Gedan­kengut anzieht? Das sind einerseits die Fragen, die sich die ÖVP stellen muss, und das ist andererseits auch die Frage, mit der sich die FPÖ beschäftigen muss. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und JETZT. – Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

16.12

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Pilz. – Bitte.