11.39

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehr­ter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, ich bin der ÖVP eigentlich dankbar für diese Aktuelle Europastunde (Ruf bei der ÖVP: Na end­lich!), denn diese Debatte gibt endlich die Möglichkeit, wenige Tage vor dieser wich­tigen Richtungsentscheidung zu zeigen, wo die Sozialdemokratie hier steht und wo der türkis-blaue Block steht. Und ich sage ganz bewusst Block, denn es ist ein Block, weil diese Regierungsparteien – auf der einen Seite die türkise ÖVP und auf der anderen Seite die FPÖ – weder in ihrer Rhetorik noch in ihren Inhalten noch in ihrer europa­politischen Ausrichtung voneinander zu unterscheiden sind. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und JETZT.)

Ja, das ist erstens besorgniserregend, das ist eine Feststellung, die uns als Proeuro­päer mehr als mit Sorge erfüllt, und es ist zweitens vor allem auch eine gefährliche Perspektive, die sich hier anbahnt. Die türkise ÖVP ist eine Partei geworden, die rechte Inhalte, rechte Rhetorik, rechte Sprache übernommen hat. (Abg. Winzig: Nicht aufge­passt, gell?) Das hat der EU-Wahlkampf in den letzten Tagen und Wochen sehr deut­lich gezeigt: Die ÖVP ist keine Europapartei mehr! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Ab­geordneten von NEOS und JETZT.)

Die ÖVP hat vor fast zwei Jahren eine andere Führung bekommen, eine andere Füh­rung, die der Partei eine andere Farbe gegeben hat (Abg. Haubner: Ihr hättet gern ei­ne schwächere, gell?) und offenbar auch eine fundamental andere Europa-Ausrich­tung. Die türkise ÖVP, die binnen zwei Jahren von einer Proeuropapartei im Geiste eines Alois Mock, der Österreich gemeinsam mit dem damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky – Sie wissen es genau – in den Neunzigerjahren in die EU geführt hat, von einer Europapartei zu einer Partei geworden ist, die in ihrer Polemik, in ihrer Rhetorik Europa geißelt, einer Rhetorik, die man bisher – wir haben es heute schon gehört – nur von den Le Pens, den Straches, den Orbáns und den Salvinis kannte.

Sebastian Kurz spricht von Bevormundung, Regulierungswahn, Bürokratiekorsett. Hier dient die EU der ÖVP im Wahlkampf als Prügelknabe – das ist wirklich eine neue Fa­cette der Türkisen –, ja, für eine schnelle Schlagzeile im Wahlkampf immer gut; einem Wahlkampf, der offenbar gegen Europa geführt wird und nicht gegen andere politische Mitbewerber, wozu Wahlkämpfe eigentlich da sind.

Heute hätte der Bundeskanzler die Chance gehabt, das zu machen, was ein Bundes­kanzler eigentlich tun sollte, wofür er Verantwortung hat und was eigentlich seine Auf­gabe ist, nämlich den Menschen in diesem Land eines zu erklären: wozu es Regeln in der Europäischen Union braucht – nämlich um das Zusammenleben besser zu gestal­ten –, wozu es das braucht, was es an Schützenswertem in der Union gibt. Das hätten sich die Menschen verdient, aber stattdessen kommt er abschätzig und fast polemisch mit der Pommes-Verordnung. Hierbei geht es jedoch um nichts anderes als den Ver­such der EU, europaweit einen Gesundheitsschutz für alle voranzutreiben, egal, ob wir in Ungarn, in Österreich oder in Schweden Pommes essen – um nicht mehr oder weni­ger. (Beifall bei der SPÖ.)

Genau das hat er heute nicht getan. Er hat es auch in den vergangenen Tagen und Wochen nicht getan, stattdessen hat er von tausend Verordnungen gesprochen. Ich frage mich: Welche genau meint er denn? Meint er die Verordnungen im Bereich des Naturschutzes, des Konsumentenschutzes, des Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerin­nenschutzes, des Gesundheitsschutzes, welche genau? Und: Warum haben Sie Ihre Ratspräsidentschaft nicht genützt? Warum haben Sie Ihre Vorschläge in die eigens dazu auf europäischer Ebene eingesetzte Taskforce 2018 nicht eingebracht, in der Herr Lopatka vertreten war? Auch das frage ich mich. (Abg. Jarolim: Kein Wort! Kein Wort!)

Wir erwarten hier eine ehrliche, vernünftige und verantwortungsvolle Politik eines Bun­deskanzlers – gerade jetzt, wenn wir nach Italien schauen, wo Salvini gegen Minder­heiten hetzt, nach Polen, wo die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten wird, nach Un­garn, wo antisemitisch gehetzt wird und die illiberale Demokratie ein Schlagwort von Orbán ist (Abg. Steger: Oder nach Rumänien, wo die Sozialdemokraten - -!), und nach Österreich, wo die FPÖ in der Rechtsextremismus-Szene tiefer drinnen steckt, als es uns recht ist, wie wir jeden Tag lernen. Genau diese Kräfte wollen nur Europa zerstö­ren, destruktiv, jeden Tag. Das ist keine Utopie, diese Gefahr ist real! (Abg. Hafen­ecker: Reden Sie einmal mit dem Kollegen Schieder, bitte!)

Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich richte einen Appell an Sie und den Bundes­kanzler: Haben Sie wieder Mut zur Ehrlichkeit! Kehren Sie zur Verantwortung zurück, für Europa, für die Zukunft und für die Menschen, und werden Sie nicht zum Erfül­lungsgehilfen der größten Zerstörer des größten Friedensprojektes auf unserem Konti­nent! – Danke schön. (Anhaltender Beifall und Bravorufe bei der SPÖ sowie Beifall der Abg. Zadić.)

11.45

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste zu Wort gemeldet: Frau Abgeordnete Petra Steger. – Bitte.