11.56

Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M. (JETZT): Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Wie wir wissen und jetzt auch schon diskutiert haben, hat der Herr Bundeskanzler in den letz­ten Tagen mit drei Meldungen aufhorchen lassen, und diese drei Vorschläge, die er ge­bracht hat, möchte ich schon noch einmal thematisieren.

Erstens hat er vorgeschlagen, den EU-Vertrag neu zu verhandeln. – Grundsätzlich ein spannender Vorschlag, über den man auch diskutieren sollte, denn wir müssen ja die Europäische Union auch weiterentwickeln und müssen immer und immer wieder über Reformen nachdenken. Aber wie ernst meint man es denn im EU-Wahlkampf wirklich mit Reformbestrebungen? Wenn der Herr Bundeskanzler die EU so grundlegend reformieren möchte, warum wurde denn nicht die österreichische Ratspräsidentschaft dafür genutzt? Man hätte ja die ersten Weichen stellen können. Man hätte auch erste echte, innovative proeuropäische Ideen vorschlagen können. Dass diese Forderung aber jetzt im EU-Wahlkampf kommt, legt für mich den Schluss nahe, dass sie wahr­scheinlich und vermutlich wieder geräuschlos in einer Schublade landen wird (Abg. Leichtfried: Das ist ein richtiger Schluss, ein sehr richtiger Schluss!), so wie wir das aus dem Nationalratswahlkampf kennen, denn zum Beispiel auch das Versprechen der Absicherung des Kindesunterhalts ist geräuschlos in der Schublade verschwunden.

Das Zweite, womit der Bundeskanzler aufhorchen hat lassen, war der Regulierungs­wahnsinn aus Brüssel oder die EU-Bevormundung. Das hat mich an ein Zitat des leider verstorbenen österreichischen Kabarettisten Werner Schneyder erinnert, der gesagt hat: „Europa besteht aus Staaten, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, was sie selbst beschlossen haben.“ Ich dachte daher zunächst, dass die Aussagen unseres Regierungschefs wohl Satire sein werden, denn er kann ja wohl nicht allen Ernstes meinen, er würde von Brüssel bevormundet werden. Ich dachte, ich lese einen Artikel aus der österreichischen Satirezeitung „Die Tagespresse“, aber, meine Damen und Herren, dem war nicht so. Es war kein Artikel der Satirezeitung „Die Tagespresse“ und es war auch keine Satire, es war bitterer Ernst.

Der Grund, warum das für mich so absurd ist, ist einfach: weil die Minister und die Re­gierungschefs ja dafür verantwortlich sind, weil sie einen maßgeblichen Einfluss auf Gesetze der Europäischen Union ausüben. Der Europäische Rat, der ja aus Staats- und Regierungschefs der einzelnen Mitgliedstaaten besteht – und dem der Bundes­kanzler angehört! –, ist ja auch dafür verantwortlich, gemeinsam mit dem Europäischen Parlament, welche Gesetze beschlossen werden und welche nicht. Der Europäische Rat kann ja sogar die Europäische Kommission beauftragen, Gesetze auszuarbeiten. Vor dem Hintergrund dieser Gesetzeslage verstehe ich es einfach nicht, wie der Herr Bundeskanzler, der Regierungschef eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, sa­gen kann, er werde von Brüssel bevormundet, denn er ist ja selbst für diese Gesetze verantwortlich. (Beifall bei JETZT sowie des Abg. Leichtfried. – Ruf bei der SPÖ: Das ist ihm nicht aufgefallen bis jetzt!)

Dann kommen wir zu dieser Aussage betreffend die tausend EU-Verordnungen, die Streichung von tausend EU-Verordnungen: Weshalb die Zahl tausend? Sie sind uns immer noch schuldig geblieben, die ÖVP ist uns immer noch schuldig geblieben, uns zu erklären, welche tausend Verordnungen da tatsächlich gemeint sind.

Ich möchte kurz auf eine Statistik eingehen: Derzeit gibt es insgesamt etwa 6 600 in­haltliche EU-Verordnungen. Knapp ein Drittel dieser Rechtsakte geht auf das Konto von EU-Regierungen zurück. Der Rat der Europäischen Union als Vertretung der Re­gierungen der Mitgliedstaaten ist somit der zweithäufigste Autor dieser EU-Verordnun­gen. Wenn man tausend streichen will, dann kann man das wohl nur erreichen, wenn man den europäischen Binnenmarkt auflöst, und das würde faktisch auch die vollstän­dige Zerschlagung der Europäischen Union bedeuten. Ich glaube aber nicht und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie das so gemeint haben. Ich freue mich daher auf diesbezügliche Ausführungen.

Wenn wir aber wirklich über Reformen reden wollen, dann machen wir das doch! Re­den wir über die großen proeuropäischen Reformen! Reden wir davon, dass wir eine Republik Europa brauchen, dass sie notwendig wäre, dass es endlich an der Zeit wäre, dass das europäische Recht auch vom europäischen Volk ausgeht, von europäischen Bürgerinnen und Bürgern – denn diese Maßnahmen würden die europäischen Bürge­rinnen und Bürger ins Zentrum der Debatte rücken! – Vielen Dank. (Beifall bei JETZT sowie des Abg. Jarolim.)

12.01

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster spricht Herr Abgeordneter Dr. Reinhold Lo­patka. – Bitte.