12.40

Abgeordneter Josef Schellhorn (NEOS): Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Minister! Herr Ottenschläger, lieber Kollege, ich bin in letzter Zeit auf Folgendes draufgekom­men: Die ÖVP ist mittlerweile zum Montgolfier der politischen Landschaft in Österreich geworden – Heißluftballone ohne Ende! Ihr produziert nichts anderes als Heißluft, Über­schriften, Gags, Gags, Gags! Das ist eigentlich der springende Punkt. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wenn ich an den Standort denke, denke ich nicht an die zehn Buchstaben des Wortes Wirtschaft, die in der Verfassung stehen müssen. Es war immer unsere Forderung, wir sind dafür gewesen, aber es unterscheidet uns etwas von euch. Der ÖVP geht es um ihre Klientel, aber das sind nicht mehr die Bürgerinnen und Bürger, das ist nicht mehr das Bürgertum, das sind nicht mehr die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen, das sind nicht mehr die Unternehmen. (Abg. Haubner: Geh! Aber ihr!) Wenn sich wer um die Unternehmer kümmert, wenn es – wir werden heute noch über den Mittelstandsbericht diskutieren – um eine Entlastung der Klein- und Mittelbetriebe, der Unternehmer, der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in diesem Land geht, dann sind die NEOS die Richtigen. (Abg. Haubner: Geh!) Dafür haben sie sich immer eingesetzt. (Beifall bei den NEOS.) Wir wollen bei der Symbolpolitik nicht mitmachen, und das unterscheidet uns ganz dramatisch. Wir haben es auch im Beitrag von Minister Blümel gehört. In Wahrheit brauchen wir keinen Schnitzelkanzler, wir brauchen eine Deregulierung, und diese Deregulierung muss in diesem Land stattfinden. Wir brauchen eine Abschaffung der kalten Progression. (Neuerlicher Beifall bei den NEOS.)

Wir brauchen eine dramatische Lohnsteuer- und Lohnnebenkostensenkung. Schaut euch einmal das an (eine Tafel mit einem Diagramm, das die Lohn- und die Lohnsteu­erentwicklung zeigt, in die Höhe haltend): Die Lohnsteigerung von 1990 bis 2019 be­trug 210 Prozent, während die Lohnsteuer um 355 Prozent gestiegen ist. Wer hat es gemacht? (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Wer war der Erfinder des Ganzen? – Die So­zialpartnerschaft war mit dabei, die Wirtschaftskammer war mit dabei. Was habt ihr in den letzten 30 Jahren für eine Entlastung der Unternehmer und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gemacht? – Das ist eine Symbolpolitik mit zehn Buchstaben, es kam kein Angebot von euch, unsere Forderungen wurden abgelehnt. Da machen wir nicht mit! (Beifall bei den NEOS.)

Wir sind sehr wohl für den Standort, das haben wir auch der Frau Ministerin mehrmals kundgetan. Wir sind euch sogar entgegengekommen: Macht etwas, das spürbar ist, schafft die Kammerumlage 2 ab! Die Wirtschaftskammer, die 1,7 Milliarden Euro an Rücklagen hat, braucht die Kammerumlage 2, die Sallinger damals temporär für drei, vier Jahre für notleidende Kleinunternehmer eingeführt hat, bei Weitem nicht mehr. Das habt ihr nicht weggenommen, weil ihr im Geld schwimmen wollt, weil ihr Geld ver­teilen möchtet, weil ihr für eine Parteiveranstaltung für den Bundeskanzler knapp vor der Wahl über 300 000 Euro ausgeben wollt, die Wirtschaftskammer! Darum wollt ihr die Kammerumlage 2 nicht abschaffen. (Beifall bei den NEOS.)

Wir haben euch ein zweites Angebot gemacht – für die Steuerzahlerinnen und Steuer­zahler –: Führt bei den Lohnnebenkosten Senkungen herbei, kommt uns da entgegen! Das habt ihr auch nicht gemacht. Was kommt? – Der Vorwurf der Junktimierung. Was hat denn die Sozialpartnerschaft in den letzten 40 Jahren gemacht, außer junktimiert? Was hat die ÖVP in den letzten 40 Jahren gemacht, außer junktimiert? – Natürlich wol­len wir junktimieren, aber für die Unternehmer und nicht für eine Partei, für die Steuer­zahlerinnen und Steuerzahler, aber nicht für die Partei! (Beifall bei den NEOS.)

Ihr habt die Möglichkeit, dass ihr den Antrag noch einmal ein bisschen umschreibt. Wir stimmen mit, wenn ihr auf unsere Forderungen zum Wohle der Unternehmer, zum Wohle der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eingeht.

Darum bringe ich folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Josef Schellhorn, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Staatsziel Wirtschaft – Es braucht mehr als zehn Buchstaben in der Verfassung!“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat schnellstmöglich einen Ge­setzesentwurf zuzuleiten, welcher vorsieht,

- die Tarife bzw. Tarifgrenzen von Lohn- und Einkommenssteuer ab 1.1.2020 so anzu­passen, dass die ‚Kalte Progression‘ jährlich in voller Höhe abgegolten wird,

- die Unfallversicherungsbeiträge auf ein adäquates Maß zu senken, das die Verände­rung der Arbeitswelten reflektiert, sowie

- die Kammerumlage 2 in einem ersten Schritt durch eine Beitragsfreistellung für die Kammerumlage 2 aller Einkommensteile bis zu 1.000 Euro Bruttolohn zu senken und in einem zweiten Schritt abzuschaffen, um eine echte Entlastung österreichischer Un­ternehmen zu ermöglichen.“

*****

(Beifall bei den NEOS.)

12.45

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Josef Schellhorn, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Staatsziel Wirtschaft - Es braucht mehr als zehn Buchstaben in der Verfas­sung!

eingebracht im Zuge der Debatte in der 74. Sitzung des Nationalrats über TOP 1: Be­richt des Verfassungsausschusses über die Regierungsvorlage (110 d.B.): Bundesver­fassungsgesetz, mit dem das Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Le­bensmittelversorgung und die Forschung geändert wird (598 d.B.

Die versteckte Steuererhöhung:

Die Kalte Progression, also die heimliche Steuererhöhung, entsteht, weil die Einkommen zwar Jahr für Jahr steigen, die Steuerstufen aber nicht an die Inflation angepasst wer­den. Somit erhöhen sich der Durchschnittssteuersatz und die Steuerschuld stärker als die Inflation. Das heißt, die Kalte Progression betrifft alle Lohnsteuerpflichtigen und - entgegen der gängigen Auffassung- nicht nur jene, die aufgrund der Inflationsabgel­tung in die nächst höhere Steuerstufe rutschen. Wenn der Bruttolohn steigt, steigen auch der Durchschnittssteuersatz. Jener Anteil des Einkommens, der an den Finanzmi­nister geht, nimmt zu. Sie entsteht sobald das zu versteuernde Einkommen einer Per­son an die Inflation angepasst wird und in der Folge zumindest den ersten Grenzsteu­ersatz überschreitet.

Steuerdynamik abseits der Gesetzgebung:

Durch die Kalte Progression verändert sich nicht nur die Steuerbelastung, sondern auch deren Verteilung. Das kann zu einer einkommensbezogenen Steuerverteilung führen, die in dieser Form niemals vom Gesetzgeber legitimiert wurde. Durch das Hineinrut­schen in höhere Grenzsteuersätze kommt es auch zu einer Verschiebung der Steuer­last und somit zu einer Abweichung von den ursprünglich vom Gesetzgeber intendier­ten Verteilungswirkungen des Steuersystems. Die Beschlüsse des Gesetzgebers wer­den durch die Kalte Progression nachträglich (automatisch) geändert. Diese Steuer­lastverteilung ist aber nicht explizit demokratisch legitimiert. Das Phänomen der Kalten Progression kann als Irrtum des Steuersystems bezeichnet werden. Die Kalte Pro­gression schwächt zum Teil auch die Verteilungswirkungen des Steuersystems und führt zu einer Ausweitung der Steuerquote, die sich der demokratischen Kontrolle ent­zieht. 

Bei der Verteilung der Last geht es aber nicht nur um die Verteilung zwischen den ver­schiedenen Einkommensklassen, sondern um die Aufteilung von erwirtschafteten Er­trägen zwischen privat und öffentlich. Die zusätzlichen Mittel, die an die öffentliche Hand gehen, sind auch aus ökonomischer Sicht problematisch – vor allem vor dem Hintergrund der hohen Abgabenbelastung auf den Faktor Arbeit. Hier nimmt Österreich einen absoluten Spitzenplatz unter allen OECD Ländern ein. Es mangelt dem mit der Kalten Progression verbundenen Anstieg der Steuerquote an Rechtfertigung. Auch aus ökonomischer Sicht ist es nicht schlüssig, warum eine heimliche Steuererhöhung im Sinne der Bürger_innen wäre, ohne dass der Gesetzgeber darlegt, dass die Nachfrage nach öffentlichen Gütern schneller steigt als die Nachfrage nach privaten Gütern – nur eine solche Nachfrageverschiebung würde eine Erhöhung der Steuerbelastung recht­fertigen.

D.h. eine Diskussion über eine Belastungsverteilung steht dem Gesetzgeber in jeder Form zu, diese sollte aber unabhängig von einer illegitimen, automatisierten Zusatzbe­lastung stattfinden. Fakt ist jedenfalls: Jede Steuerreform, ohne Abschaffung der Kal­ten Progression, stellt nichts anderes als eine zukünftige Steuererhöhung dar. Eine Steuererhöhung, die nicht vom Parlament beschlossen werden muss und somit nur selten das Ergebnis einer öffentlichen politischen Debatte ist. Diese Debatte ist aber dringend zu führen.

Ohne Abschaffung der Kalten Progression wird es keinen Druck für echte Strukturre­formen geben

Man ist sich dieser Problematik seitens der Bundesregierung durchaus bewusst – und zwar schon seit Jahren:

Im März 2017 brachte Staatssekretär Fuchs selbst noch einen Unselbständigen Ent­schließungsantrag ein, der zum Ziel hatte, die Kalte Progression abzuschaffen.

Weitere hochrangige Regierungsvertreter der Vergangenheit meinten:

·         „Die Kalte Progression ist ungerecht“ und „Nach jetzigem Plan könnte es 2016 so­weit sein“, sagte der wahlkämpfende damalige Vizekanzler und ÖVP-Chef Michael Spindelegger am 23.8.2013 in den Vorarlberger Nachrichten.

·         „Meine Wunschvorstellung wäre, dass die Kalte Progression ab 2018 abgeschafft ist. Man muss das wie bei der Steuerreform machen: klare Ziele, klare Terminvor­gaben – dann wird geliefert.“ Das hörten wir von BM Schelling am 22.6.2016.

Pläne gab es immer. Passiert ist bisher nichts.

Bei der jüngsten Präsentation der Steuerreform am 30.4.2019 gab die Regierung sogar offen zu, dass sie den Reibach aus der Inflationsbesteuerung benötigt, um Spielraum für die angesprochene „Steuerreformen“ zu haben. Die jetzige Reform, hieß es, wäre ohne die Kalte Progression gar nicht möglich gewesen.

Diese Argumentationslinie der Bundesregierung spricht Bände und ist als absolutes Ar­mutszeugnis zu werten. Denn hätte man sich eine echte Reform des schon reichlich in Schieflage geratenen Steuersystems überlegt, dann hätte man diesen nämlich gar nicht benötigt. Damit hätte man den dringend nötigen Reformprozess anstoßen kön­nen. Ohne finanziellen Druck denkt die Bundesregierung jedoch nicht im Traum daran, Strukturreformen, die Wähler_innen wehtun könnten, ins Auge zu fassen. Solang die Lohnsteuereinnahmen, unter anderem wegen der kalten Progression, so sprudeln wie jetzt (in den ersten Monaten ein Plus von über 8%), solang wird auch auf der Reform­baustelle nichts weitergehen.

Wie die folgende Grafik zeigt, hat die Kalten Progression wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Löhne seit 1990 zwar verdoppelt-, die Einnahmen aus der Lohnsteuer sich allerdings mehr als verdreifacht haben:

Tariflöhne:

http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=030947

Lohnsteuereinnahmen:

https://www.oenb.at/isaweb/report.do;jsessionid=8982EB069AF2BE63162E5A0A9B91C2E5?report=7.20

Man versucht zudem, die Untätigkeit der Regierung mit dem populistischen Argument zu rechtfertigen, dass die Abschaffung der Kalten Progression nur den höheren Ein­kommen zugutekommen würde. Das ist schlicht unwahr, denn beispielsweise entspre­chen die steuerfreien 11.000 Euro aus dem Jahr 2009 wertmäßig 14.000 Euro im Jahr 2021 – somit sind auch kleine Einkommen von der Kalten Progression stark be­troffen.

Staatsziel Wirtschaft - so nicht!

Eine echte Entlastung der Unternehmer_innen kann nur durch eine Senkung der Lohn­nebenkosten erreicht werden, die von NEOS seit Jahren gefordert wird. Dazu reichen uns reine Lippenbekenntnisse und Ankündigungen nicht länger aus. Wie aber mehr­fach betont, möchten NEOS mehr als eine symbolische Verankerung des Wirtschafts­standorts – diese bringt den Unternehmen nichts. Wichtiger als zehn Buchstaben in die Verfassung zu schreiben, wären sofortige Entlastungsschritte für Unternehmen und ge­nau diese sucht man vergebens in der angekündigten Steuerreform.

Aus unserer Sicht könnte eine Entlastung nur gelingen, wenn die viel zu hohen Kam­merumlagen gesenkt werden. Insbesondere die Kammerumlage II, die Lohnnebenkos­ten darstellt. Schließlich war sie bei der Einführung 1979 auch nur als „vorübergehen­de“ Maßnahme angedacht, um „notleidende“ Unternehmen zu unterstützen. Eine Strei­chung ebendieser würde zu einer Entlastung von rund 350 Mio Euro führen. Diese Maßnahmen könnten und müssten unserer Ansicht nach bereits ab 2020 umgesetzt werden.

Eine zusätzliche Entlastung würde außerdem die Senkung der Unfallversicherungsbei­träge bedeuten. Durch die Veränderung der Arbeitswelten kommt es zu immer weniger Arbeitsunfällen. Durch eine Abnahme der Zahl der Arbeitsunfälle sind die Beitragsein­nahmen der AUVA stark gewachsen, weil die Zahl der Beschäftigten, die Lohnsumme und die Höchstbeitragsgrundlage stets gestiegen sind. In-zwischen beläuft sich das Fi­nanzvermögen der AUVA auf ca. 500 Mio Euro und es konnten Rücklagen im Umfang von ca. 1,1 Mrd Euro angehäuft werden. Dieses Geld könnte direkt für die Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat schnellstmöglich einen Ge­setzesentwurf zuzuleiten, welcher vorsieht,

•           die Tarife bzw. Tarifgrenzen von Lohn- und Einkommenssteuer ab 1.1.2020 so anzupassen, dass die "Kalte Progression" jährlich in voller Höhe abgegolten wird,

•           die Unfallversicherungsbeiträge auf ein adäquates Maß zu senken, das die Ver­änderung der Arbeitswelten reflektiert, sowie

•           die Kammerumlage 2 in einem ersten Schritt durch eine Beitragsfreistellung für die Kammerumlage 2 aller Einkommensteile bis zu 1.000 Euro Bruttolohn zu senken und in einem zweiten Schritt abzuschaffen, um eine echte Entlastung österreichischer Unternehmen zu ermöglichen.“

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Harald Stefan. – Bitte.