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Abgeordnete Dr. Maria Theresia Niss, MBA (ÖVP): Frau Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Haus! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Unzählige Jah­reszahlen in Geschichte, die Lebenserwartung des Gürteltieres, der genaue Unter­schied zwischen den dorischen und den ionischen Säulen: Das sind Fakten, die ich während meiner Schulzeit von den Lehrern vorgetragen bekommen habe, dann ins Heft kopieren musste und vor dem Test auswendig gelernt habe. Wenn Sie mich heute danach fragen, ob ich das noch weiß, kann ich das wahrscheinlich meistens nur ver­neinen, was aber auch kein solch großes Problem ist, denn die meisten Fakten be­komme ich ganz leicht aus dem Internet – dort ist die ionische Säule auch besser als in jedem Schulbuch erklärt.

Leider wird auch heute noch oft so gelehrt. Ich bin davon überzeugt, dass wir so nicht weitermachen können. Die Welt da draußen verändert sich so schnell, so schnell können wir den Inhalt eines Buches nicht einmal denken, geschweige denn drucken. Darauf müssen wir reagieren. Wir müssen es schaffen, den Kindern vermehrt zu vermitteln, dass Motivation und Neugierde notwendig sind. Die Kinder sind in diesem Alter so neugierig, sie sind so wissbegierig und sie haben so großes Interesse an Neu­em. Das nimmt aber über die Zeit ab, und daran ist leider auch die Schule schuld. Da­ran müssen wir arbeiten. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Auf der anderen Seite erfordert die digitale Transformation kritisches Denken, Kreativi­tät, Kooperation und Flexibilität. Wenn wir bei uns im Unternehmen Mitarbeiter ein­stellen – das ist nicht nur bei uns so –, dann legen wir vor allem Wert auf diese Fähig­keiten, denn diese sind notwendig, damit wir die Herausforderungen der Zukunft be­wältigen und auch neue Produkte und Lösungen entwickeln können.

Sie werden also wettbewerbsentscheidend sein in der Frage, ob wir zukünftig Jobs nach Österreich bekommen oder nicht.

Meine Damen und Herren, mir ist es aber auch ganz wichtig, festzustellen, dass ich nicht infrage stelle, dass wir Basiswissen erlernen müssen: Rechnen, Schreiben, Le­sen, lebende Fremdsprachen, aber auch geschichtliche Zusammenhänge oder philo­sophische Grundlagen. Ich stelle aber infrage, ob dieses viele zusätzliche Detailwissen notwendig ist, das auf Kosten der vorhin erwähnten Fähigkeiten geht.

Am Ende der Schulzeit müssen wir Schüler haben, die Probleme erkennen, diese kri­tisch beleuchten können und Lösungsansätze dafür haben, die Werte haben und die eigenverantwortlich und vor allem kreativ handeln, denn genau das ist es, was uns von der Maschine unterscheidet. Damit ist das ja auch genau das, was in Zukunft mensch­liche Jobs und Aufgaben sichert. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Im vierten Teil des Bildungsberichtes, zu dessen Erstellung ich nicht nur gratulieren, sondern mich dafür auch bedanken will – wie gehört, ist es ein sehr profundes, umfas­sendes Werk –, beschäftigt man sich mit den Zukunftsperspektiven des Bildungssys­tems. Ich könnte viele Bereiche erwähnen, die für ein exzellentes Bildungssystem not­wendig sind, wie mehr Wirtschaft im Unterricht oder mehr Mint-Fächer. Ich bedanke mich dafür, dass im Rahmen der Überarbeitung der Lehrpläne daran auch gearbeitet wird, denn das werden die entscheidenden Aufgaben sein, damit wir den Wohlstand im Land nachhaltig sichern.

Entscheidend wird es aber vor allem auch sein, die Digitalisierung vermehrt in die Klas­senzimmer zu bringen. Digitalisierung in der Schule heißt nicht, dass wir in Zukunft auf den Tablets wischen, und – das möchte ich im Zusammenhang auch mit dem vorhin Gesagten erwähnen – das heißt es auch nicht im Kindergarten. Dennoch glaube ich, dass man sich auch schon im Kindergarten ein bisschen mit dem logischen Denken beschäftigen sollte, und das lernt man hie und da auch mit spielerischem Herantasten an die Programmierung. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP sowie der Abgeordneten Cox und Hoyos-Trauttmansdorff.)

Es ist nämlich erwiesen, dass der Einfluss von Computern auf den Lernerfolg gering ist, wenn er nicht entsprechend von den Pädagogen eingesetzt wird. Wenn er aber begleitet wird, dann ist er für den Lernerfolg sehr wichtig und kann auch starke Effekte erzielen. Dafür werden wir in Zukunft die dafür geschulten Pädagoginnen und Pädago­gen brauchen. Wenn wir das aber schaffen – und ich bin davon überzeugt, das werden wir schaffen –, dann haben wir auch die Chance, dass wir die Lehrer zukünftig frei­schaufeln, sodass sie den Kindern mehr und mehr zu Mentoren und zu Begleitern wer­den – kein Frontalvortrag mehr, kein Nivellieren nach unten, damit alle mitkommen. Der Einsatz von digitalen Medien kann es auch ermöglichen, die Kinder in ihrem Tem­po abzuholen und den Pädagogen Zeit und Raum zu lassen, die Kinder individuell zu fördern.

Meine Damen und Herren, manche Schulen machen das schon und sind dabei Vorzei­geschulen. Wir aber drängen immer wieder auf Chancengerechtigkeit. Ich glaube, wenn wir diese Chancengerechtigkeit wirklich leben wollen, brauchen wir eine umfas­sende Digitalisierung mit dem richtigen Konzept in allen Schulen. Es darf dann nicht darauf ankommen, ob man in Tirol oder in Wien ist, ob man in eine HTL oder in eine Mittelschule geht, denn das würde zu einem Digital Gap führen – zu einem Auseinan­derklaffen im Bildungssystem –, den wir uns ganz einfach nicht leisten können, denn er ist ein Startnachteil in das Leben und ganz besonders in die Berufswelt.

Wir kennen viele zukünftige Berufsbilder noch nicht, aber wir wissen, dass ungefähr 90 Prozent davon in Zukunft mit der Digitalisierung im Zusammenhang stehen. Mein Ziel ist es, die Kinder darauf vorzubereiten (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ), denn ich bin davon überzeugt, dass das besser ist, als sie nachher vermehrt in der Arbeitslosenversicherung zu betreuen – ähnlich wie es bei der Gesundheit bes­ser ist, vorzubeugen, anstatt nachher teuer zu sanieren oder zu behandeln.

Herr Minister, ich weiß und bin auch sehr dankbar dafür, dass Sie das Problem erkannt haben und gemeinsam mit dem Ministerium an einem umfassenden Plan für die Digita­lisierung arbeiten, um Österreichs Bildungssystem fit für das digitale Zeitalter zu ma­chen. Was man bisher hört, klingt sehr vielversprechend. Es scheint sich um einen Plan zu handeln, der die Bereiche Pädagogik, Lehrende und Technologie wirklich inte­grativ beleuchtet und Maßnahmen vorsieht, die unsere Schüler und Schülerinnen auf ein gelingendes Leben in einer digitalisierten und sich schnell verändernden Welt vor­bereiten.

Im Namen vieler PädagogInnen, Eltern und vor allem auch Schülerinnen und Schüler darf ich Sie und die Regierung aber nun bitten, diesen Plan besser gestern als morgen vorzulegen, denn ohne die rasche Umsetzung werden wir weiterhin in den Details der dorischen Säulen untergehen. – Danke sehr. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

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