15.43

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Ich glaube, Sie hätten sich bei der Beantwortung der Fragen schon ein bisschen mehr Zeit lassen können – und in dem Fall die Wahlkampfrede und die lange Erklärung darüber ein wenig kürzer gestalten können –, dann hätten wir nämlich auch genauere Antworten auf die sehr wesentlichen Fragen gekriegt, die wir gestellt haben. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Sie haben gesagt, es sei ein Appell vor allem an die Eigenverantwortung der Bürger, dass sie selbst behutsam sein müssen. Das mag richtig sein, aber geben wir den Menschen auch wirklich die Instrumente in die Hand, die sie brauchen? Geben wir Kindern, Teenagern, Erwachsenen die Instrumente in die Hand, die sie brauchen, um Fake News auch wirklich erkennen zu können? Tun wir das?

Ich glaube, dass Sie jetzt mit Ihrer Anfragebeantwortung eine Ablenkung präsentiert haben, indem Sie über ganz viele andere Themen geredet haben. Über dieses kon­krete Thema, über dieses wichtige Anliegen und die Gefahr, darüber haben Sie sich im Endeffekt lustig gemacht. Sie haben es heruntergeredet, indem Sie über ganz andere Dinge gesprochen haben, die mit der konkreten Gefahr von Desinformation wenig bis absolut gar nichts zu tun hatten. Das zeigt, dass dieses Thema hier von der Bundes­regierung nicht ernst genommen wird. Es ist aber ein ernstes Thema, denn es betrifft unsere Demokratie. (Beifall bei den NEOS.)

Sie haben im Übrigen ein Beispiel aus dem letzten Nationalratswahlkampf genommen, nämlich die Diskussion, die es damals gegeben hat: Wer hat die größere Dreck­schleu­der bei Unwahrheitsverbreitungen? Ich finde das aber deshalb auch ganz interessant, weil das natürlich stimmt, es war extrem verwerflich, was damals passiert ist. Aber was ist denn in der Zwischenzeit passiert, um so etwas zu verhindern? Hat es in der Zwi­schenzeit in Schulen eine groß angelegte Offensive für Medienkompetenz gegeben? – Nein. (Zwischenbemerkung von Bundeskanzler Kurz.) Hat es eine Erhöhung der Presse- und Medienförderung gegeben – mit Qualitätskriterien, die gezielt darauf einwirken würden, dass sich Medien darauf konzentrieren, keine Falschmeldungen zu verbrei­ten –, die qualitativen Journalismus unterstützt? – Nein. Hat es immer wieder klare Zurückweisungen gegenüber der FPÖ gegeben, wenn diese die Pressefreiheit angegriffen hat? – Na ja, manchmal. (Beifall bei den NEOS.)

Was wäre also in der Zwischenzeit anders gewesen? Was wäre heute anders? Wäre die Bevölkerung anders gewappnet gegenüber solchen Geschichten, die Sie ange­sprochen haben? – Nein. (Bundeskanzler Kurz: Aber die Partei muss es ja auch nicht machen! Es ist eine Frage des Empfängers!) – Herr Bundeskanzler, okay, Sie sagen, die Partei soll es nicht machen. Aber wenn wir nicht wollen, dass solche Meldungen – unabhängig davon, ob sie jetzt von einer Partei in Österreich kommen oder aus dem Ausland – unsere Wahlen beeinflussen, dann müssen wir die Bevölkerung wappnen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.) Wir müssen sie mit Infor­mation, mit Bildung wappnen.

Man kann sich nicht sicher sein. Wir können nicht garantieren, dass das nicht passiert, nämlich Desinformationskampagnen, ob vom Inland oder vom Ausland ausgehend; und weil wir es nicht garantieren können, muss in der Bevölkerung Resilienz da sein. Man muss resilient sein gegenüber Desinformationskampagnen, Falschmeldungen und Lügen! (Beifall bei den NEOS.)

Das macht das letztendlich aus und das haben wir in der Zwischenzeit nicht gemacht. Dabei gebe ich Ihnen recht: Ja, es liegt vor allem in der Verantwortung von Parteien, zu sagen, wir machen das nicht. Es liegt auch in der Verantwortung eines jeden Politi­kers, sachlich und ehrlich zu handeln. Das sollte im Mittelpunkt stehen. Hier im Nationalrat erleben wir das aber leider immer wieder nicht. Deshalb muss die Bevöl­kerung resilient sein, und wir müssen dafür sorgen, dass unsere Demokratie auch hier geschützt ist. (Beifall bei den NEOS.)

Bei der Europawahl steht wirklich verdammt viel auf dem Spiel in Bezug auf diese Fragen. Man hat es eben an diesem Interview von Steve Bannon in der „NZZ“ ge­sehen, das unsere Klubobfrau angesprochen hat. Er hat gesagt, nach der EU-Wahl ist in Brüssel jeden Tag Stalingrad. Ich halte das für eine harte Formulierung, aber das ist die Sprache, die er spricht. Er hat auch angekündigt: Die Nationalisten werden zusam­menarbeiten. Sie werden gemeinsam eine Allianz bilden, die, auch wenn sie noch keine Mehrheit haben, alles blockieren wird, was notwendig ist, um die Europäische Union weiterzubringen. Das ist die Gefahr, der wir bei dieser Wahl jetzt gegen­über­stehen. (Beifall bei den NEOS.)

Es ist die Gefahr der nationalen Internationalen, es ist die Gefahr der Allianz der Rechtspopulisten im Europaparlament; und wir dürfen keinen Millimeter weichen, wenn es darum geht, unsere europäische Demokratie und den Rechtsstaat zu schützen. Es gibt ganz viele Akteure in dieser Welt, die nur ein Ziel haben, nämlich eine Welt zu schaffen, in der den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr klar ist, was Wahrheit und was Lüge ist, und man es selbst auch kaum mehr herausfinden kann. Wem nutzt das? – All jenen, deren politisches Programm aus Lügen besteht und die davon profitieren, wenn Menschen unsicher sind, ob sie dem Staat noch vertrauen können, ob sie Institutionen noch vertrauen können, ob sie den Medien vertrauen können. Wenn wir uns gegen das, was immer wieder an Zweifel gesät wird, nicht sofort wehren, wird das die Demokratie nachhaltig zerstören. Es ist eine nachhaltige Gefahr.

Jedes Jahr, in dem wir es verabsäumen, Medienkompetenz in die Schulen zu bringen, jedes Jahr, in dem wir es verabsäumen, jungen Menschen diese Instrumente in die Hand zu geben, damit sie sich im Netz als mündige, informierte Bürger bewegen können, ist ein Jahr mehr, in dem Schüler aus der Schule kommen und nicht dafür gewappnet sind. Wir werden langfristig Probleme damit haben, und ich bin mir sicher, dass wir in zehn Jahren darauf schauen und uns wirklich fragen werden: Wie hat es sein können, dass wir es nicht geschafft haben, uns darauf vorzubereiten? (Beifall bei den NEOS.) Es wird für uns alle noch ein Problem sein.

Um jetzt ein Beispiel zu nennen, das, glaube ich, sehr praktisch darlegt, was das denn sein kann und wie Desinformation in sozialen Medien in Europa ausschaut, müssen wir nicht einmal über die USA oder das Brexitreferendum sprechen. Sie alle haben es gesehen, als Notre-Dame gebrannt hat. Das war eine sehr emotionale Situation für viele Franzosen, für alle von uns, für jeden Europäer, jede Europäerin. Schon während des Brandes haben sich im Netz in einer unfassbaren Geschwindigkeit Falsch­mel­dungen verbreitet, in denen es geheißen hat, das Feuer sei von Terroristen gelegt worden, obwohl es dafür natürlich keinen Anhaltspunkt gegeben hat. Es hieß, dass Muslime auf der ganzen Welt über das Feuer lachen. Das war eine von Rassisten und Spaltern verbreitete Lüge, die sich in so einer unfassbaren Geschwindigkeit verbreitet hat, dass einem wirklich schwindelig wird.

Diese Geschichte wurde auch von österreichischen Accounts geteilt, aber vor allem von russischen. Das ist ein ganz lebensnahes Beispiel dafür, wie das funktionieren kann. Es geht nicht nur um Wahlen. Es geht um unseren Alltag, es geht um unsere Realität. Es geht darum, dass man auch sehen kann, was Wahrheit und was Lüge ist. Es sind Desinformationsportale, die dem Kreml nahestehen, die diese Geschichten aufgreifen und ganz gezielt weiterverbreiten.

Die Europawahl ist auch ein Testlauf, ob die Abwehrmechanismen gegen eine solche Einflussnahme wirklich funktionieren. Es ist ein Testlauf, den wir unbedingt bestehen müssen. Wenn wir nämlich am Tag nach der Europawahl dastehen und ähnlich wie damals bei der Wahl in Deutschland eine riesige Kampagne wieder aufgefahren wird von wegen Wahlbetrug – denn man weiß ja nie, die Rechten?, da gibt es ja diesen linken Mob, der will das nicht, die haben das deshalb verhindert, und die Eliten haben sich gegen uns verschworen –, dann weiß man nicht mehr, was Wahrheit und was Lüge ist. Das ist die größte Gefahr, der die europäische Demokratie jetzt gegenüber­steht. (Beifall bei den NEOS.)

Wenn wir es nicht schaffen, gemeinsam die europäische Demokratie in diesem Kampf zu verteidigen, dann haben wir alle verloren. Diese Frage stellt sich jetzt bei dieser Europawahl und natürlich stellt sich die Frage: Was machen wir jetzt? – Ich zweifle gar nicht an, dass die Bundesregierung da Arbeitsgruppen, Kontaktstellen, Koordinations­runden und so weiter hat. Das ist auch richtig und wichtig, aber es dürfen keine Schein­maßnahmen bleiben und sein.

Wir alle müssen uns dem widmen! Das ist wirklich ein Aufruf. Es ist eine überpar­tei­liche Aufgabe, dass wir uns dem widmen. Es ist eine überparteiliche Aufgabe, dass wir uns endlich zusammenreißen und sagen: Wir wollen Medienkompetenz in die Schulen bringen, wir wollen die unabhängigen Medien in Österreich stärken, wir wollen qualita­tiven Journalismus unterstützen, wir wollen uns vor allem europaweit vernetzen, damit es in keinem europäischen Land passiert. Das ist unsere Verantwortung als Politike­rinnen und Politiker, die wir alle haben, um die Demokratie weiterleben zu lassen.

Eines muss auch einmal geklärt sein: Es geht hier nicht um das Thema Meinungs­freiheit. Es geht um Lügen. (Beifall bei den NEOS.) Eine Meinung kann man haben, wenn man auf Fakten basierend andere Schlüsse zieht. Dann hat man eine andere Meinung. Was wir aber nicht machen können, ist, zuzulassen, dass sich Menschen auf Lügen basierend vermeintlich Meinungen bilden und das dann weitergesponnen wird, um irgendeine politische Agenda zu unterstützen. Das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Wir müssen die Meinungsfreiheit schützen, indem wir es verunmöglichen, dass Lügen im Internet verbreitet werden, denn das zerstört unsere Demokratie! Das ist unsere Aufgabe als österreichischer Nationalrat und das ist auch unsere Aufgabe im Hinblick auf diese Europawahl.

Es ist auch wichtig, dass es im Europaparlament eine breite proeuropäische Mehrheit gegen den rechten Block gibt. Das ist wichtig, um den Menschen die Zuversicht zu geben, dass Europa ein Ort ist, wo morgen immer besser ist als heute und wo es eine klare Ansage gegenüber jenen gibt, die Europa zerstören wollen, die die europäische Demokratie zerstören wollen und sich lieber von Externen beeinflussen lassen, anstatt selber zur Wahrheit zu stehen und ihre Meinung ordentlich zu verteidigen. Das ist keine demokratische Auseinandersetzung, das ist das Niveau, das Rechtspopulisten haben.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Schlusssatz bitte!

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (fortsetzend): Ich rufe Sie auf, zur Europa­wahl zu gehen, und ich rufe diese Bundesregierung auf, das Thema Desinformation ernst zu nehmen, weil es um unsere Demokratie geht. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Lindner.)

15.53

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Lopatka ist zu Wort gemel­det. – Bitte.