13.25

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin normal ein eher ruhiger Mensch, und ich habe mir schon viel anhören müssen und habe schon viel ausgehalten (Zwischenrufe bei der SPÖ) – ich muss zugeben, in diesem Fall ist es mir etwas schwergefallen, aber ich ha­be mich entschieden, mich von Ihnen nicht provozieren zu lassen, Herr Abgeordneter Leichtfried. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Dönmez.)

Ich werde daher auch nicht auf alle Unterstellungen und Anpatzversuche reagieren, die Sie da jetzt schrittweise aufgelistet haben – ich glaube, es würde auch den zeitlichen Rahmen sprengen –, ich möchte vielmehr die Möglichkeit nutzen, Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, und natürlich auch den Österreicherinnen und Öster­reichern noch einmal meine Sicht auf die Dinge zu skizzieren und Ihnen auch zu be­schreiben, warum wir in der letzten Woche die Entscheidungen so getroffen haben, wie wir sie getroffen haben.

Ich möchte vielleicht zunächst mit einem Punkt beginnen, in dem wir, vermutlich wirk­lich alle Fraktionen, übereinstimmen. Die vergangene Woche war eine sehr turbulente Zeit für Österreich, war eine herausfordernde Zeit für die Republik, für die Politik in Summe, und sie hat sicherlich nicht dazu beigetragen, das Ansehen Österreichs in der Welt und auch das Ansehen der Politik in Österreich zu steigern.

Die vergangene Woche war, wenn wir so wollen, auch eine Zäsur in der politischen Arbeit in diesem Land. Ich möchte daher zu Beginn noch einmal festhalten, dass ich sehr, sehr stolz und auch zufrieden bin mit der Arbeit, die wir als Bundesregierung in den letzten eineinhalb Jahren geleistet haben. Ich möchte mich ganz deutlich bei allen Regierungsmitgliedern, ganz gleich, ob von Volkspartei oder Freiheitlicher Partei, für diese Zusammenarbeit bedanken! Es war eine Zeit, in der es uns gelungen ist, die Schuldenpolitik nach 60 Jahren zu beenden, in der es uns gelungen ist, gegen illegale Migration anzukämpfen, in der es uns gelungen ist, Steuerentlastungen durchzuführen, den Standort Österreich zu attraktivieren, die Arbeitslosigkeit zu senken und das Land endlich wieder in die richtige Richtung zu führen. Es war eine gute Arbeit, die geleistet wurde, und ich bedanke mich bei allen Mitgliedern der Bundesregierung dafür. (Beifall bei der ÖVP.)

Die Enthüllungen der vergangenen Woche haben leider Gottes nicht nur dazu geführt, dass eine politische Partei, nämlich die FPÖ, sich beschädigt hat, sie haben nicht nur dazu geführt, dass das Ansehen Österreichs in der Welt gelitten hat, sie haben nicht nur dazu geführt, dass das Vertrauen in die Politik zurückgegangen ist, sondern die Enthüllungen haben auch dazu geführt, dass diese gute, sehr erfolgreiche Zusammen­arbeit beendet wurde.

Ich habe mich daher in den Tagen nach den Enthüllungen um eines bemüht, nämlich in Österreich für Stabilität zu sorgen. Ich habe mich bemüht, gemeinsam mit dem Bun­despräsidenten sicherzustellen, dass wir eine handlungsfähige Regierung haben und vor allem auch, dass es zur Aufklärung aller Vorwürfe, die im Raum stehen, kommt. Das betrifft zum einen die Inhalte des Videos, die Ideen von Machtmissbrauch, den Umgang mit Steuergeld und ein falsches Politikverständnis, das betrifft aber auch die Art und Weise, wie dieses Video entstanden ist, die Frage, wer es erstellt hat und vor allem, wer es bezahlt und beauftragt hat. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich möchte mich an dieser Stelle beim Bundespräsidenten bedanken. Wie Sie wissen, kommt der Bundespräsident parteipolitisch nicht gerade aus der Ecke der Volkspartei, aber ich habe in dieser Woche erlebt, dass der Bundespräsident sich Tag und Nacht bemüht hat, für Stabilität zu sorgen, einen Beitrag zu leisten, dass die Monate bis zur Wahl in aller Ruhe und Ordnung über die Bühne gehen können, und ich bedanke mich an dieser Stelle explizit für die gute Zusammenarbeit in dieser für uns alle sehr for­dernden Phase. (Beifall bei der ÖVP.)

Abgeordneter Leichtfried hat die Ereignisse der letzten Woche aus seiner Sicht Revue passieren lassen, ich möchte noch einmal die Möglichkeit nutzen, auch meine Sicht der Dinge darzulegen.

Der Bundespräsident hat mich am Dienstag beauftragt, eine Expertenregierung zusam­menzustellen. Er hat mich gebeten, die frei werdenden Ressorts mit Personen aufzu­füllen, die über die notwendige Fachkenntnis verfügen, aber auch ein hohes Maß an Integrität mitbringen und betreffend diese Tätigkeit unumstritten sind. Ich habe binnen 24 Stunden gemeinsam mit meinem Team versucht, diese Expertinnen und Experten zu finden. Ich darf mich bei den Personen, die heute hier sitzen, ganz herzlich dafür bedanken, dass sie über Nacht bereit waren, in dieser schwierigen Situation für die Re­publik bereitzustehen und Verantwortung zu übernehmen. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich möchte mich dafür bedanken, dass Sie bereitgestanden sind, der Bitte des Bundes­präsidenten und auch meiner Bitte zu folgen, alles stehen und liegen zu lassen, teil­weise aus anderen Bundesländern nach Wien aufzubrechen und bereitzustehen, der Republik in dieser heiklen Phase zu dienen.

Wir als Übergangsregierung haben vergangenen Mittwoch bereits die Arbeit aufge­nommen, 24 Stunden nach dem Auftrag des Bundespräsidenten die erste Ministerrats­sitzung abgehalten und haben uns auf drei Ziele geeinigt, nämlich erstens: volle Auf­klärung aller im Raum stehenden Vorwürfe; zweitens: Handlungsfähigkeit der Regie­rung in Österreich zur Fortsetzung der Amtsgeschäfte bis zu den Wahlen, aber auch internationale und europäische Handlungsfähigkeit in einer für Österreich und Europa nicht unentscheidenden Phase. Wir haben uns zum Dritten dazu entschieden, die Op­positionsparteien einzuladen, an den Ministerratssitzungen teilzunehmen, um auch ein Maximum an Transparenz und Einbindung sicherzustellen.

Ich möchte auch gerne festhalten, dass ich in den vergangenen Tagen – auch wenn das teilweise anders medial kolportiert wurde – nicht nur mit dem Bundespräsidenten, sondern auch mit allen Parteichefs mehrere persönliche und auch telefonische Ge­spräche geführt habe. (Ah-Rufe bei der ÖVP.) Ich möchte mich explizit bei den NEOS für die konstruktive Herangehensweise bedanken. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Winzig: Super!) Es war nicht immer so, dass wir einer Meinung waren, wir sind es auch heute nicht – weder in inhaltlichen Fragen noch in Fragen der Vorgehensweise. Die NEOS waren aber trotzdem die einzige Partei, die mir ganz klare Wünsche und Anregungen mitgegeben hat, wie sie sich erwarten würde, dass diese Übergangsregierung agiert. (Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.)

Ich möchte darüber hinaus festhalten – und das erscheint mir durchaus wichtig –, dass ich bis heute keine einzige kritische Stimme zu den ausgewählten Experten gehört ha­be, zur Auswahl dieser Expertinnen und Experten, die parteipolitisch sehr unterschied­liche Hintergründe haben, die alle fachlich qualifiziert und integer sind. (Ruf bei der FPÖ: Na ja!)

Im Gegenteil: Landeshauptmann Doskozil, ein hochrangiger Vertreter der Sozialdemo­kratie, hat sogar öffentlich in Interviews festgehalten, dass es bei diesem Misstrauens­votum eigentlich um ganz etwas anderes geht. Er hat wörtlich gesagt – ich zitiere: Es geht dabei um Parteiinterna. Man könne jetzt schlicht und ergreifend nicht mehr zurück. (Abg. Zarits: Ein Wahnsinn! – Abg. Winzig: Ein Wahnsinn! Ah! – Ruf bei der ÖVP: Die eigenen Leute sagen so etwas!)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, lassen Sie mich abschließend noch ei­nen Punkt festhalten, der mich wirklich verblüfft: Ich verstehe ja bei all der aufgeheizten Stimmung die Rachegelüste mancher, den Wunsch, sich vielleicht für die Wahl in eine bessere Position zu bringen, auch die Idee, Parteiinterna sprechen zu lassen und nicht das Wohl des Staates im Blick zu haben. (Abg. Noll: Geh bitte!) Was ich aber wirklich nicht verstehe, ist, dass die Reaktion auf das gestrige Wahlergebnis ist (Abg. Winzig: Unglaublich!), dass der Misstrauensantrag gegen meine Person jetzt auf die ganze Re­gierung ausgedehnt wird. Vor wenigen Tagen war noch das Ziel, mich als Bundes­kanzler abzuwählen, als Taktik vielleicht durchaus verständlich. Jetzt aber auch noch wenige Monate vor einer Wahl die ganze Regierung stürzen zu wollen, ist etwas, das, glaube ich, niemand in diesem Land nachvollziehen kann. (Lang anhaltender Beifall bei der ÖVP sowie Beifall der Abg. Meinl-Reisinger.)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bleibe bei meiner Haltung. Ich glaube, was wichtig ist, ist eine handlungsfähige Regierung in Österreich, auf europäischer Ebene und international, die Aufklärung aller Vorwürfe, die im Raum stehen, und eine partei­übergreifende Zusammenarbeit.

Ich möchte heute gerne das Versprechen abgeben, dass ich, ganz gleich, in welcher Funktion, meinen Beitrag dazu leisten werde, für Stabilität in Österreich zu sorgen. Sollte dieses Votum heute so ausgehen, wie ich es erwarte, dann werden wir der nächsten Regierung – ganz gleich, wie sie aussehen wird – sicherlich keine Steine in den Weg legen, sondern sie bestmöglich unterstützen. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Dönmez.)

Ich glaube, dass die Wählerinnen und Wähler – Gott sei Dank! – das Recht haben, am Wahltag eine Entscheidung zu treffen. Bis dahin ist allerdings das Parlament am Wort. Wir haben uns seitens der Bundesregierung bemüht, und auch ich persönlich habe mich bemüht, in der letzten Woche unseren beziehungsweise meinen Beitrag zur Sta­bilität zu leisten. Wir haben uns bemüht, eine handlungsfähige Regierung auf die Beine zu stellen, die die Amtsgeschäfte bis zur Wahl in aller Ruhe verwalten kann, die uns in Europa und international vertreten kann und die bereit ist, diese Aufgabe auch wahr­zunehmen. Im September ist die Bevölkerung am Wort, bis dahin liegt allerdings die Verantwortung, eine Entscheidung zu treffen, beim Parlament. (Abg. Noll: Wer sagt denn, dass im September die Bevölkerung am Wort ist?) Ich bin überzeugt davon, Sie werden das auch tun! – Vielen Dank. (Lang anhaltender Beifall bei der ÖVP sowie Bei­fall des Abg. Dönmez.)

Da mir schriftlich einige Fragen zugegangen sind, darf ich die gestellten Fragen beant­worten beziehungsweise die Antworten verlesen. Ich fasse aufgrund der Zeitknappheit die Antworten zu den einzelnen Fragen zusammen:

Zu den Fragen 1 bis 5, 10, 22 und 23:

So wie wohl die meisten von Ihnen, habe ich am Freitagabend um 18 Uhr erstmals das besagte Video gesehen. Der Vizekanzler hat mich bereits am Abend davor darüber in­formiert, dass aufgrund von Bild- und Tonaufnahmen eine mögliche negative Bericht­erstattung über ihn im Raum steht. Über Details konnte er mich aber damals auch noch nicht informieren.

Die Inhalte des Videos und die Reaktion der Freiheitlichen Partei haben uns sehr er­schüttert und gezeigt, dass es hier einen anderen Zugang zur Politik gibt. Das Video und auch der Umgang der FPÖ damit haben darüber hinaus dem Ansehen unseres Landes geschadet. Vor diesem Hintergrund war für mich klar, dass das das Ende der Koalition bedeutet.

Nach dem Erscheinen des Videos bin ich mit dem Bundespräsidenten in Kontakt ge­treten, der sich über die Inhalte auch sehr schockiert gezeigt hat. Seitdem stehe ich mit dem Bundespräsidenten selbstverständlich in laufendem Kontakt.

Zu den Fragen 6 und 7:

Wie gesagt, ich habe das Video das erste Mal gesehen, als es am Freitag um 18 Uhr online gestellt wurde. Seither sind diese Inhalte sowohl der Öffentlichkeit als auch den Ermittlungsbehörden gleichermaßen zugänglich.

Zu den Fragen 8 und 9:

Ein Auskunftsrecht des Bundeskanzlers gegenüber den genannten Behörden gibt es nicht. Im Regierungsprogramm war die Einführung entsprechender Berichtspflichten an Bundeskanzler und Vizekanzler vorgesehen. Eine Umsetzung war für die kommenden Monate bis zum Sommer geplant.

Zu den Fragen 11 bis 17:

Mein Ziel ist es, in dieser Phase alles zu tun, um Stabilität in Österreich sicherzustellen und auch zu gewährleisten, dass die Amtsgeschäfte in allen Ressorts fortgeführt wer­den können. Das ist laut Verfassung meine Aufgabe als Bundeskanzler und das ist auch das, womit mich der Bundespräsident betraut hat.

Der Bundespräsident hat mir am Dienstag den Auftrag gegeben, eine handlungsfähige Übergangsregierung auf die Beine zu stellen, das habe ich versucht, innerhalb von 24 Stunden zustande zu bringen.

Auch die Vertreter der im Parlament vertretenen Fraktionen und die Landeshauptleute habe ich zu Gesprächen getroffen. Ich habe sowohl persönlich mit ihnen Gespräche geführt als sie auch telefonisch am Laufenden gehalten.

Zur Frage 18:

Nach Bekanntgabe von Neuwahlen wird sich die neue Volkspartei selbstverständlich entsprechend für diese Wahl vorbereiten. Bis jetzt sind aber keine Plakatflächen reser­viert.

Zur Frage 19:

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kabinette pflegen einen sorgsamen Umgang mit Informationen und vor allem mit den Akten. Dazu sind sie verpflichtet. Bestehende Kabinettsakte werden nach Ausscheiden eines Regierungsmitglieds dem Österreichi­schen Staatsarchiv übergeben.

Zu den Fragen 20 und 24:

Ermittlungstätigkeiten zu strafrechtlich relevanten Vorwürfen obliegen der Exekutive und der Justiz. Ich setze mein Vertrauen in unseren Rechtsstaat und habe die zustän­digen Bundesminister ersucht, alle notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um eine unabhängige Aufklärung sicherzustellen.

Zur Frage 21:

Die neue Volkspartei hält sich selbstverständlich an alle geltenden gesetzlichen Rege­lungen in diesem Zusammenhang. Aufwendungen werden gemäß Parteiengesetz und allfälligen sonstigen Verpflichtungen auch entsprechend gemeldet.

Zur Frage 25:

Der Bundespräsident und ich haben uns bestmöglich bemüht, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Stabilität zu gewährleisten und die neuen Minister bestmöglich or­ganisatorisch zu unterstützen. Als oberste Organe sind sie natürlich letztverantwortlich und sind auch für Personalentscheidungen in ihren Ressorts und vor allem auch in ih­ren Kabinetten selbst verantwortlich. – Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der ÖVP.)

13.41

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Klubob­frau Rendi-Wagner. – Bitte. (Abg. Haubner: Jetzt kommt die Probe für die SPÖ-Partei­tagsrede! – Abg. Winzig: Das war schon gestern beim Wolf peinlich!)