14.22

Abgeordneter Dr. Alfred J. Noll (JETZT): Herr Präsident! Hohes Haus! Sehr verehrte Mitglieder der Bundesregierung! Herr Bundeskanzler! Welch Freude, dass ich die Her­ren Kickl und Hofer jetzt auf dieser Seite (in Richtung FPÖ-Sitzreihen weisend) und nicht neben mir (in Richtung Regierungsbank weisend) sitzen sehe – das zunächst ein­mal vorweg –, aber wir haben ein anderes Thema.

Herr Bundeskanzler, Sie haben Ende Jänner 2017 – die Zeitungen stammen vom 30. Jän­ner 2017, meinem Geburtstag (Abg. Rosenkranz: Gratuliere!), darum habe ich es na­türlich mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen – ein Regierungsprogramm unter­schrieben. Sie haben damals bezeugt, dass Sie sich an dieses Programm halten wer­den, Sie haben sich mit dem Ziel einer gemeinsamen Regierungsarbeit verpflichtet, selbst verpflichtet. Ungeachtet Ihrer Selbstverpflichtung haben Sie dann die Koalition mit der SPÖ aufgekündigt und so 2017 vorgezogene Neuwahlen erzwungen. Ganz nüchtern betrachtet – und da kommt wahrscheinlich der Rechtsanwalt in mir durch –: Ihre Unterschrift war nichts wert. Sie haben Ihren Partner damals in die Irre geführt, und vielleicht haben Sie ihn sogar politisch betrogen.

Mitte Dezember 2017 haben Sie sich mit der FPÖ auf ein Regierungsübereinkommen geeinigt. Wiederum haben Sie damit bezeugt, dass Sie sich an dieses gemeinsame Programm halten werden, denn wozu sonst unterschreibt man und macht etwas aus. Sie haben versprochen, dass Sie sich mit dem Ziel einer gemeinsamen Arbeit selbst verpflichten. Ungeachtet Ihrer Selbstverpflichtung haben Sie dann vor nicht einmal zwei Wochen die Koalition mit der FPÖ aufgekündigt und so erneut vorgezogene Neu­wahlen 2019 oder auch später – wir werden ja noch sehen – erzwungen. Wiederum ganz nüchtern betrachtet: Schon wieder war Ihre Unterschrift nichts wert.

Da ich einer der wenigen wirklich Konservativen hier im Haus bin (Heiterkeit bei ÖVP und FPÖ – Zwischenruf bei der ÖVP), muss ich Ihnen sagen: Ein Bundeskanzler der Republik Österreich, dessen Unterschrift sich binnen zwei Jahren zweimal als völlig wertlos erweist, ist vertrauensunwürdig! (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.) Er provoziert bei wohlwollender Betrachtung entweder den Verdacht, generell politisch geschäftsunfähig zu sein oder es im Bereich politischer Gewerbsmäßigkeit da­rauf abzusehen, seinen jeweiligen Partner durch seine Unterschrift täuschen bezie­hungsweise betrügen zu wollen. – Ich empfinde das als schändlich. Das widerspricht allen Vorstellungen von Treu und Glauben. Es ist entweder Zeugnis eines überaus zweifelhaften Charakters oder es ist Ausdruck eines ausschließlich auf eigene Macht­erweiterung zielenden politischen Raubrittertums.

Die von der „Neuen Zürcher Zeitung“ am vergangenen Wochenende für Sie gefundene Bezeichnung eines Sprengmeisters ist sachlich berechtigt. Diese treffende Bezeich­nung zielt aber nur auf die Tatsächlichkeit Ihres Handelns. Lässt man nämlich Revue passieren, was Sie in den letzten beiden Jahren staatspolitisch gemacht haben, dann zeigt sich, Sie sind ein gegenüber sich selbst unkritischer Verräter an den von Ihnen selbst eingegangenen Verpflichtungen und Überzeugungen. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Sie haben damit den Beweis erbracht, dass Ihre Unterschriften nichts wert sind, und Sie haben gezeigt, dass Ihre Zusagen unglaubwürdig sind. Sie haben demons­triert, dass Ihre bezeugten Selbstverpflichtungen nur taktische Sprossen auf Ihrer ego­zentrischen Karriereleiter sind.

Damit – das ist meine Ansicht – darf ein österreichischer Bundeskanzler nicht durch­kommen, wenn die Rede von politischem Anstand, persönlichem Charakter und staats­relevanter Vertragstreue für Politiker in Zukunft noch irgendeine Bedeutung haben soll. Aus diesen Gründen stellen die unterfertigten Abgeordneten Dr. Noll, Dr. Pilz und die weiteren Abgeordneten von JETZT folgenden Antrag (Zwischenruf bei der ÖVP):

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Alfred J. NolI, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Versagen des Vertrauens gegenüber dem Bundeskanzler“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Dem Bundeskanzler wird im Sinne des Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Ent­schließung des Nationalrates das Vertrauen versagt.“

*****

So, das war die Pflicht.

Jetzt wird es etwas holprig, weil es wirklich kompliziert ist. Was ich von der FPÖ poli­tisch halte, muss ich dem Hohen Haus, so meine ich, nicht weiter darlegen, Sie alle wissen es. Für mich ist der vormalige FPÖ-Chef ein Rechtsradikaler, ein Xenophober, ein politisch-genetisch seit jeher Korruptionsanfälliger und deshalb mit allen demokra­tisch-rechtlichen Mitteln zu bekämpfender politischer Gegner. Strache und Gudenus haben uns aber durch das Ibizavideo die Evidenz für etwas geliefert, was wir alle – und gerade auch die ÖVP – seit jeher schon über Strache und Gudenus wussten. Bis hi­nein in die abstrusen Gedankenspiele Ihres vormals höchsten Funktionärs zeigt sich im Ibizavideo eine antidemokratische, realitätsuntüchtige und auch regierungsuntaugliche Gesinnung. Dennoch – so viel nämlich jetzt dann zu meinem Konservativismus –: Auch gegenüber der FPÖ muss gelten, was gegenüber allen anderen gelten muss: Ein Handschlag verpflichtet! Die Vertreter der FPÖ hier im Haus, meine ich, werden mir beipflichten, dass ich selbst ungeachtet politischer Abgründe, die uns trennen, stets das Gespräch gesucht und nach persönlicher Verbindlichkeit getrachtet habe. Und ich meine mit ganz pathetischer republikanischer Inbrunst: Wer sich wie der Herr Bundes­kanzler gegenüber der FPÖ verpflichtet, ist zur Vertragstreue auch gegenüber der FPÖ verpflichtet.

Nun, das Ibizavideo gäbe durchaus einen sachlichen Anlass, von der einmal eingegan­genen Verpflichtung zurücktreten zu wollen. Die Besonderheit der Sache liegt – und das ist das Holprige und etwas Komplizierte an der Sache – darin, dass die FPÖ nach 17, 18 Monaten völlig zu Recht davon ausgehen durfte, dass der Rücktritt von Strache und Gudenus die ausreichende Basis dafür abgibt, die Regierungsarbeit fortzusetzen. Sebastian Kurz hat bei allen sogenannten Einzelfällen zwar gelegentliche Nöte gehabt, seine Peristaltik zu kontrollieren, er hat aber niemals seinen Zweifel daran gelassen, dass er die ach so erfolgreiche Regierungsarbeit mit dieser FPÖ fortsetzen will.

Sebastian Kurz hat geschwiegen, nicht weil er sich beherrscht hat, er hat geschwiegen, weil für ihn diese Einzelfälle eben keine Überraschung waren und weil er immer schon darum wusste, mit wem er es zu tun hat. Anders gesagt: Kurz darf gegenüber der FPÖ jetzt nicht geltend machen, was er immer schon über die FPÖ wusste oder zumindest gewusst haben musste. (Beifall bei JETZT.)

Ich persönlich vermag dieser mangelnden Fairness gegenüber einem demokratisch gewählten Regierungspartner auch dann nicht die Absolution zu erteilen, wenn es die FPÖ trifft, eine Partei, die ich lieber hinter dem Mond als auf der Regierungsbank se­hen würde, denn diese Form mangelnder Treue zu einer freiwillig eingegangenen Ver­pflichtung widerspricht meines Erachtens dem höchsten Gebot zivilisierter Bürgerlich­keit: pacta sunt servanda. Was der Bundeskanzler getan hat, zeugt davon, dass er ei­nen Anlass zum Vorwand genommen hat, um das zu tun, was er immer schon vorhat­te: auch diesen Partner, wie schon zuvor die SPÖ, hineinzulegen und abzuservieren.

In meiner ersten Rede hier im Hohen Haus habe ich die FPÖ als die größten Verlierer gekennzeichnet. Heute wissen Sie, meine Damen und Herren von der FPÖ – die Sie mich damals allesamt ausgelacht haben –, warum ich Sie so gekennzeichnet habe. Sie haben sich von Sebastian Kurz täuschen lassen und sich für seine egomanischen Ziele unumschränkter Führerschaft instrumentalisieren lassen. (Ruf bei der ÖVP: Unglaub­lich! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wer Bundeskanzler Kurz noch traut, der soll ihm das Vertrauen aussprechen, so wie die NEOS das heute machen werden. (Abg. Ofenauer: Wir auch!) Ich kann ihm nicht vertrauen und werde ihm deshalb mein Vertrauen versagen. – Danke. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Ofenauer.)

14.31

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Alfred Noll, Dr. Peter Pilz, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Versagen des Vertrauens gegenüber dem Bundeskanzler

eingebracht im Zuge der Debatte über die Dringliche Anfrage in der 78. Sitzung des Nationalrates, XXVI. GP, am 27. Mai 2019.

Begründung

In den letzten beiden Jahren hat Sebastian Kurz zwei Bundesregierungen zum Schei­tern gebracht: als Außenminister eine Regierung mit der SPÖ und jetzt als Bundes­kanzler eine Regierung mit der FPÖ.

Zunehmend entsteht der Eindruck, dass dieses Scheitern kein Zufall ist. Es geht Kanzler Kurz nicht darum, eine bestimmte Partei und eine bestimmte Politik von der Regierungsverantwortung auszuschließen. Es geht ihm offensichtlich vor allem darum, die eigene Macht auszubauen.

Stabilität kann in der aktuellen Situation wohl kein Wahlkampfkabinett Kurz, sondern nur eine Regierung, die ausschließlich aus parteiunabhängigen Expertinnen und Ex­perten besteht, schaffen. Die Versagung des Vertrauens in Bundeskanzler Kurz durch den Nationalrat ist eine Voraussetzung, damit der Bundespräsident diese parteifreie Regierung bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung nach der Nationalratswahl einsetzen kann.

Aus diesen Gründen stellen die unterfertigenden Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Dem Bundeskanzler wird im Sinne des Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Ent­schließung des Nationalrates das Vertrauen versagt.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht in Verhandlung.

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Jarolim. – Bitte. (Abg. Hammer: Das letzte Aufge­bot der SPÖ ...! – Abg. Rädler: Der letzte SPÖ-Wähler! – Abg. Jarolim – auf dem Weg zum Rednerpult –: Vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas ein! Ich glaube, es wird dann not­wendig sein!)