15.15

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (JETZT): Herr Bundeskanzler! Ich sage das besonders deutlich: Herr Bundeskanzler! Werte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Danke für das ahnungsvolle und berech­tigte mehrstimmige „Oje, oje!“ aus den ÖVP-Bänken. Ich werde versuchen, diese Er­wartung nicht zu enttäuschen. Ich lese Ihnen einmal etwas vor:

„[...] diese Vermischung von öffentlichem Amt und privaten Interessen, wie sie für diesen Fall typisch zu sein scheint, ist auch ein typisches Kennzeichen feudaler Syste­me. [...] Einer demokratischen Republik ist das unwürdig! [...] Wenn jemand nicht bereit ist, die Mindest-Spielregeln einer demokratischen Republik zu beachten, dann [...] bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als ihn zum Rücktritt aufzufordern. [...] In formaler Hinsicht stelle ich daher folgenden Antrag: [...] Der Nationalrat wolle beschließen: Dem Bundesminister [...] wird durch ausdrückliche Entschließung gemäß Artikel 74 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz das Vertrauen versagt.“

Dieser Entschließungsantrag, dieser Misstrauensantrag stammt vom 18. Juni 2003. Das war der erste Entschließungsantrag gegen das Role Model von Sebastian Kurz, nämlich Karl-Heinz Grasser. Der Abgeordnete, der diesen Entschließungsantrag einge­bracht und mit diesen Worten erklärt hat, warum er meint, dass diesem Minister das Vertrauen zu versagen ist, heißt Alexander Van der Bellen. Alexander Van der Bellen hatte 2003 gegenüber Karl-Heinz Grasser genauso recht, wie die antragstellenden Abgeordneten der SPÖ und unserer Liste heute gegenüber Sebastian Kurz recht ha­ben. (Beifall bei JETZT. – Zwischenrufe bei der ÖVP. – Abg. Winzig: ... das passt nicht zusammen!)

Es ist sehr selten, in meinen über 30 Jahren als Abgeordneter habe ich nur zwei Mal Politiker in führenden Regierungsfunktionen erlebt, die ein außerordentliches Talent mit einem außerordentlichen Ehrgeiz und einer außerordentlichen Skrupellosigkeit verbun­den haben (Hallo-Ruf bei der ÖVP – weitere Zwischenrufe bei der ÖVP), und deren Handeln nur ein Ziel hatte: sie selbst und niemand anderer. – Das war Karl-Heinz Grasser und das ist Sebastian Kurz. (Abg. Winzig: Und Peter Pilz!) Beide haben größ­ten Schaden für diese Republik angerichtet (Ruf bei der ÖVP: Und Sie?), und es ist notwendig (Abg. Winzig: Sie entziehen sich ja den Ermittlungen!), nach Karl-Heinz Grasser auch Sebastian Kurz zur Verantwortung zu ziehen. (Ruf bei der ÖVP: Wer sagt das? – Weiterer Ruf bei der ÖVP: ... aus der Verantwortung ...!)

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Grasser und Kurz. Bei Grasser ist das fi­nanzielle Interesse im Vordergrund gestanden, bei Sebastian Kurz gibt es ein ganz an­deres, alles dominierendes Interesse: das Interesse, die gesamte Macht sich und sei­ner Partei zu sichern. (Ruf bei der ÖVP: Welches Interesse haben Sie?) Das zieht sich durch das Handeln von Sebastian Kurz als Außenminister, als Parteiobmann und jetzt als Bundeskanzler. (Abg. Haubner: Moralapostel Pilz! – Abg. Winzig: Stellen Sie sich den Ermittlungen!)

Gehen wir die Vorkommnisse der letzten Tage miteinander durch: zuerst das Ibizavi­deo – und es lohnt sich wirklich, das Ibizavideo im Detail zu studieren, weil es uns noch lange beschäftigen wird. (Abg. Haubner: Auf Wiedersehen! Ist das die Abschieds­rede?)

Ich lese Ihnen das vor, weil es fast unter Wahrheitspflicht von H.-C. Strache in Kame­ras gesagt worden ist: Ja, es gibt ein paar sehr Vermögende – Sie kennen alle diese Vermögenden, Herr Kurz –, die zahlen zwischen 500 000 und 1,5 bis 2 Millionen; die zahlen aber nicht an die Partei, sondern an einen gemeinnützigen Verein. Das musst du erklären: Verein. Du musst erklären, dass das nicht an den Rechnungshof geht. Die Spender, die wir haben, sind in der Regel Idealisten; die wollen Steuersenkungen, Steuersenkungen von Regierungen, Steuersenkungen. Gaston Glock als Beispiel, ge­nau – und so weiter –, und René Benko, der die ÖVP und uns zahlt, einer der größten Immobilienmakler Österreichs. Novomatic zahlt alle. – Zitatende.

So, und jetzt stellt sich eine weitere Frage: Warum musste nach Bekanntwerden dieses Videos nicht nur, was eine Selbstverständlichkeit ist, H.-C. Strache sein Amt zur Verfü­gung stellen, Herr Gudenus sein Mandat zur Verfügung stellen, sondern auch der In­nenminister gehen? Wären wir in der Regierung oder wären wir in irgendeiner verant­wortlichen Position gewesen, wir hätten hundert Gründe dafür gehabt, dass der Innen­minister gehen muss; aber der Bundeskanzler selbst hat ja immer wieder beteuert: Zwischen mich und Innenminister Kickl passt kein Blatt Papier, wir sind ein Herz und eine Seele (Abg. Winzig: Welches Zitat ist das? Zitieren Sie richtig!), in der Ausländer­politik, in der Einwanderungspolitik, in der Politik, die Kleinen zu verfolgen und die Gro­ßen zu schonen! (Ruf bei der ÖVP: ... peinlich! – Zwischenrufe der Abgeordneten Stein­acker und Schwarz.)

Da hat doch nichts zwischen Sie gepasst, und plötzlich muss Herbert Kickl als Innen­minister gehen. – Ich habe ja nichts dagegen, ich habe persönlich nichts dagegen, aber warum Sie das gemacht haben, das veranlasst haben, Herr Bundeskanzler, das ist eine wichtige Frage. Sie haben damit jedenfalls eine Brücke zur Freiheitlichen Partei abgebrochen.

Dann haben Sie gesagt: Ich mache ein Expertenkabinett!, und plötzlich war das Exper­ten-und-Expertinnen-Kabinett eine ÖVP-Minderheitsregierung. Bruno Kreisky hat auch einmal eine Minderheitsregierung angeführt. Sein erster Weg hat ihn ins Parlament ge­führt, und seine erste Frage war die Frage ans Parlament: Ich stelle die Vertrauensfra­ge, ich möchte wissen, ob meine Minderheitsregierung das Vertrauen des Parlaments genießt. (Zwischenruf des Abg. Hörl.)

Kanzler Kurz interessiert das Parlament nicht, er erklärt öffentlich, es ist eine - - (In Richtung Bundeskanzler Kurz, der auf sein Handy blickt:) Entschuldigung, dass ich Sie am Handy störe, ich kann meine Rede kurz unterbrechen. (Abg. Hörl: Sie stören nicht! – Abg. Winzig: Sie stören nicht! Das gelingt Ihnen nicht! Ist ziemlich wurscht! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Nein, ich habe auch das Gefühl: Auch in der Stunde seiner möglichen Abwahl interessiert sich der Bundeskanzler nicht fürs Parla­ment (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ – Zwischenrufe bei der ÖVP), er interessiert sich für sein Handy. Vielleicht schreibt er René Benko gerade eine SMS: René, ist eh okay, wir hätten da noch eine Immobilie in der Mariahilfer Straße! (Beifall bei JETZT.) Vielleicht gibt es da einige, die dringend etwas vom Bundeskanzler erfah­ren müssen. (Zwischenrufe der Abgeordneten Winzig und Haubner.) Das werden wir ja hoffentlich erfahren, wenn sich die Staatsanwaltschaft hier einiges anschaut. (Abg. Wöginger: Ja, genau! – Abg. Winzig: Ihre Abschiedsrede!)

So, und dann kommt der nächste Punkt; dann wird der SPÖ signalisiert: Ich mach eine ÖVP-Alleinregierung, ich pfeif euch was, ich red nicht mit euch! Das Sozialministerium wird mit einem ehemaligen SPÖ-Mitglied besetzt, die Provokation auf die Spitze getrie­ben (Zwischenruf des Abg. Rädler); dazwischen wird immer gesagt: Silberstein, Silber­stein, Silberstein!, damit es richtig wirkt, und dann gesagt: Die SPÖ will nicht mit mir, die SPÖ vertraut mir nicht mehr! (Zwischenruf des Abg. Haubner. – Weitere Zwischen­rufe bei der ÖVP.) Eine Riesenüberraschung: Die SPÖ vertraut Sebastian Kurz nach diesen ganzen Verhöhnungen nicht mehr.

Dann sagen wir: Machen wir doch einen Misstrauensantrag!, weil es uns allen reicht – uns allen, bis auf wenige in der ÖVP. Hätten wir eine geheime Abstimmung, würden einige von Ihnen (Zwischenrufe bei der ÖVP) auch gegen Sebastian Kurz stimmen. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.) – Präsident Sobotka nicht, der ist diszipliniert, aber andere, bei denen noch Hoffnung ist. (Heiterkeit des Abg. Sobotka.)

An diesem Punkt war es klar: Hoppla, jetzt könnte etwas passieren, mit dem Miss­trauensantrag – und prompt die nächste Kurve. Die nächste Kurve war: Ich lade euch alle zu mir ins Bundeskanzleramt ein und mache Vorschläge. Vorschlag eins: Ich, Se­bastian Kurz, gewähre euch als Bundeskanzler das Gnadenrecht: Es darf in der nächs­ten Legislaturperiode Untersuchungsausschüsse geben. (Abg. Schwarz: Da sind Sie eh nicht mehr dabei!) Gnadenrecht des Bundeskanzlers!

Gnadenrecht zwei: Ich, Sebastian Kurz, mache, solange ich Bundeskanzler bin, keine ÖVP-Parteibuchwirtschaft bis September! (Ruf bei der SPÖ: Großzügig!) – Fußnote: Nachher geht’s weiter, nachher wird wieder umgefärbt. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Und drittens: Ich möchte im Ministerrat nicht allein mit meinen schwarzen Freundinnen und Freunden Gesetze und Regierungsvorlagen beschließen, ich hätte gerne ein paar Klubobleute der Opposition als Muppets dabei – die nichts zum Reden haben, nichts zum Mitstimmen haben, die nur zuschauen können, wie die Politik beschlossen wird, die sie zutiefst ablehnen! An diesem Punkt sind wir.

Herr Kurz, das begründet kein Vertrauen! (Abg. Haubner: Schlechte Rede! Schlechte Rede!) Das ist Ihnen nicht passiert, Sie sind nicht zufällig hingefallen oder es hat Ihnen wer ein Haxl gestellt und Sie sind hingefallen und dann als Märtyrer wieder aufgestan­den.

Präsidentin Doris Bures: Herr Abgeordneter, Sie müssen den Schlusssatz formulie­ren, bitte.

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (fortsetzend): Mein ganz einfacher Schlusssatz lautet: Auch wenn mir der SPÖ-Misstrauensantrag in einigen Punkten zu weit geht und auch wenn ich es für einen Fehler halte, dass dem Innenminister, den ich in jeder Hinsicht sehr schätze, voreilig das Misstrauen ausgesprochen wird, halte ich es trotzdem für richtig, dass dieses Misstrauen von einer möglichst großen Zahl von Abgeordneten ausgesprochen wird. Nur dieser Misstrauensantrag und eine große Mehrheit für diesen Antrag gibt uns eine Chance für mehr Stabilität, für ein Ende des Kurz-Chaos und für einen politischen Neubeginn in dieser Republik. – Danke sehr. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: JETZT ist eh nicht mehr dabei! – Abg. Rädler: Pilz bei der SPÖ! – Abg. Haubner: Bewerbungsrede für die SPÖ! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

15.26

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Dipl.-Ing.in Martha Bißmann. – Bitte.