15.39

Abgeordneter Efgani Dönmez, PMM (ohne Klubzugehörigkeit): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Geschätzte Mitglie­der der Bundesregierung! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Medienver­treter und ZuseherInnen zu Hause vor den Bildschirmen!

Unsere Bundesverfassung, unser Glaube an Gleichheit und Freiheit, unsere historisch robuste Mittelschicht, unser großer Wohlstand, unser hoher Bildungsstand und unsere breit aufgestellte Wirtschaft, all dies sollte uns gegen einen Zusammenbruch der De­mokratie, wie wir ihn tagtäglich anderswo erleben, gefeit machen.

Trotzdem müssen wir besorgt sein, wenn führende Politiker – wenn auch bei illegal und geheim mitgefilmten Szenen in Urlaubsdestinationen – auch nur in Gedankenspielen andeuten, wie unter Nutzung von demokratischen Mitteln und deren Institutionen diese ausgehöhlt und an Günstlinge verscherbelt werden könnten. Wohin dieser Weg führt, erkennt man am Beispiel der ehemals säkular-laizistischen Türkei. Solche Leute versu­chen, die institutionellen Puffer unserer Demokratie – die Gerichte, die Nachrichten­dienste, die Exekutive, die Aufsichtsbehörden und so weiter – zu schwächen. Sosehr die öffentliche Empörung über die getätigten Aussagen der Protagonisten des illegal mitgefilmten Ibizavideos berechtigt ist, so sehr sind diese artikulierten Gedankenspiele nur die Spitze des Eisbergs unserer demokratischen Fassade.

Die Wahlen in Österreich sind zwar frei, aber sie sind nicht fair; viele der Vorredner und Vorrednerinnen haben es auch schon angesprochen. Wenn Parteien die Wahlkampf­kostenobergrenze um das Zigfache überschreiten, wenn Gerichte und Staatsanwalt­schaften sowie Antikorruptionsbehörden personalschwach, abhängig und stark politi­siert sind, wenn das Vereinsrecht missbraucht werden kann, um Konstruktionen für in­direkte Wahlkampffinanzierung zu legitimieren, oder wenn dem politischen Mitbewer­ber und Vereinen, die ihm nahestehen, Geldflüsse unterstellt werden, diese sich aber dann bei näherer Betrachtung als unwahr herausstellen – diese Anpatzerei, diese Unkul­tur muss ein Ende haben! –, wenn öffentliche Aufträge im Wert von unter 100 000 Euro ohne Ausschreibung und Transparenz vergeben werden können, wenn politische Un­terstützung zu einer Beschleunigung von Karrieren in den Bereichen Justiz, Exekutive und im Verwaltungsapparat führt und Personen mit mangelnden Qualifikationen durch persönliche Freundschaften und Seilschaften in höchste Ämter gehievt werden, dann reden wir hier nicht von Dschibuti, der Türkei oder Somalia, sondern von Österreich.

Der demokratische Rückschritt beginnt mit dem Vertrauensverlust durch Handlungen, welche von Politikern und Parteien gesetzt werden, und endet an der Wahlurne durch die Wähler. Die Erosion der Demokratie geschieht so unmerklich, dass sie viele nicht wahrnehmen.

Wir werden im September dieses Jahres wieder zur Wahlurne schreiten. (Abg. Noll: Wer sagt dir das?) Unabhängig davon, dass alle bisher im Parlament vertretenen Par­teien wieder antreten werden, muss eines als Gradmesser für uns alle herangezogen werden: Wenn mit Angst, mit Opportunismus und Feindbildern gearbeitet wird, dann ist dies nicht förderlich für unser Land und auch nicht für unsere Demokratie. Die nächs­ten Wochen und Monate bis zum Wahltag sollten von Achtung und Zurückhaltung ge­prägt sein. Die Parteien dürfen sich nicht gegenseitig bis aufs Messer bekämpfen und dabei die Demokratie schwächen, denn aus der Schwächung der Demokratie resul­tieren eine Polarisierung und ein Erstarken der Extremen. Diese Situation öffnet nun auch eine einzigartige Möglichkeit, dass sich neue Parteien mit neuen Ideen und Hal­tungen einbringen. Vielleicht gelingt es diesen, einen tatsächlichen Systemwechsel herbeizuführen.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Eines möchte ich zum Abschluss noch sagen: Ich werde weder Ihnen noch dieser Bundesregierung das Misstrauen aussprechen, denn es gehört nicht zu meinem Charakter und entspricht auch nicht meiner Person, dass ich Freunden, Weggefährten, Kollegen, ehemaligen Kollegen in den Rücken falle, auch wenn ich bei der erstbesten Gelegenheit aufgrund von Interpretationen, böswilligen Un­terstellungen wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen worden bin.

In jeder Demokratie stehen Politiker gelegentlich vor großen Herausforderungen. Sie, geehrter Herr Bundeskanzler, und auch unser geschätzter Herr Bundespräsident ha­ben in diesen schwierigen Tagen eine ruhige Hand und viel Besonnenheit an den Tag gelegt. Dafür möchte ich Ihnen aufrichtig danken. (Beifall bei der ÖVP.)

Danken möchte ich auch unserem Ex-Vizekanzler, Herrn Heinz-Christian Strache, wel­cher sofort nach Bekanntwerden der Causa die notwendigen Konsequenzen gezogen hat und den höchsten Preis, den man als Politiker bezahlen kann, bezahlt hat. Er hat sehr viel bösen Spott und Häme geerntet. Ich möchte aber dennoch hier meinen Dank für sein Engagement für unser Land aussprechen, auch wenn ich viele oder manche seiner Inhalte und Zugänge nicht geteilt habe.

Ich wünsche allen Entscheidungsträgern unserer Republik viel Kraft und ein scharfes Urteilsvermögen, um das Wohl unseres Staates und der Bürger über die eigenen Par­teiinteressen zu stellen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

15.46

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Josef Schellhorn. – Bitte, Herr Abgeordneter.